Blick hinter die Kulissen

Ernst Klees Kultur- und Personenlexika zur Frage "Wer war was vor und nach 1945" gehören in jedes Bücherregal

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Und schon wieder sind drei Herren in die Schlagzeilen geraten. Auch Martin Walser, Siegfried Lenz und der Kabarettist Dieter Hildebrand sollen nach neuesten historiografischen Erkenntnissen in den 1940er-Jahren in die NSDAP eingetreten sein. Die nicht abreißende Welle derartiger Entlarvungen, ihrer Dementis oder auch Relativierungen durch die Betroffenen zeigt, wie unabgeschlossen die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte bis heute ist - gerade auch in Deutschlands Kultur- und Literaturbetrieb.

Der kollektive Umgang mit solchen Nachrichten ist nicht zuletzt deshalb so aufschlussreich, weil er von großen Widersprüchen gekennzeichnet ist. Ähnlich wie dem Schriftsteller und ehemaligen SS-Frontkämpfer Günter Grass verzeiht das Publikum auch den berühmten Germanisten Walter Jens und Peter Wapnewski mehr oder weniger alles. Ihre Alterspublikationen verkaufen sich gut und werden vom Feuilleton mit Lob nur so überschüttet. Schon vor längerer Zeit ist im Zuge der Publikation des "Internationalen Germanistenlexikons" (2002) herausgekommen, dass sowohl Jens als auch Wapnewski im "Dritten Reich" in die NSDAP eingetreten waren. Die Erinnerung wurde von den Ertappten mit der Behauptung vom Tisch gewischt, sie hätten nichts davon gewusst. "Ich habe nie einen Mitgliederantrag gestellt", erklärte Jens, und Wapnewski nörgelte, dass er "gerne wüßte, wer wann in eine Parteikartei eine Mitgliedsnummer geschrieben und versäumt hat, mich davon in Kenntnis zu setzen."

In solchen Fällen kann es sich lohnen, Ernst Klees "Kulturlexikon zum Dritten Reich" zur Hand zu nehmen. Bereits in seinem Vorwort kommt Klee auf Jens und Wapnewski als exemplarische Persönlichkeiten der BRD zu sprechen und konfrontiert ihre offensichtlichen Schutzbehauptungen mit einer Studie des Historikers Michael Buddrus. Der beantwortet die Frage, ob es möglich gewesen sei, ohne eigenes Wissen Mitglied der NSDAP zu werden, kurz und knapp damit, dass es "automatisierte kooperative Übernahmen von Angehörigen einzelner Geburtsjahrgänge" nicht gegeben habe. "Diesbezügliche und immer wiederkehrende Erzählungen sind beständig perpetuierte Legenden", schreibt Buddrus. Sei es doch bis 1945 niemals möglich gewesen, "ohne eigenes Zutun Mitglied der NSDAP zu werden".

Doch so gerne man in den Einzelartikeln des Lexikons noch mehr über Jens (geboren 1923) und Wapnewski (Jahrgang 1922) erfahren hätte - obwohl Klee angibt, "in der Regel" habe er Personen bis zum Geburtsjahr 1924 in seinem Nachschlagewerk aufgenommen, finden sich zu den beiden über die aufmachende Erwähnung im Vorwort hinaus keine weiteren Informationen im Buch. Solche Irritationen haben dazu geführt, dass Klees "Kulturlexikon" bereits mit scharfer Kritik bedacht wurde. In der Tat legt der Autor seine Systematik zu wenig offen. So wirkt es verstörend, wenn man in einem offensichtlich eher auf die Erhellung der Täterkarrieren zielenden Buch sporadisch auch ihre Opfer findet - beziehungsweise Emigranten wie Theodor W. Adorno oder Sigmund Freud mit Angaben verzeichnet sieht, die fast schon als Allgemeinwissen voraussetzbar und entsprechend obsolet erscheinen.

Stößt man zudem in einem Buch mit dem Untertitel "Wer war was vor und nach 1945" auch noch auf Einträge für Georg Friedrich Händel, Gotthold Ephraim Lessing und William Shakespeare, so ist man in der Tat verblüfft. Auch die Martin Luther, Richard Wagner und dem italienischen Faschisten Benito Mussolini gewidmeten Artikel scheinen zunächst einmal nicht oder bestenfalls mittelbar in das Konzept des Bands zu passen.

Doch so katastrophal, wie mancher Kritiker meint, wirken sich diese Seitenblicke nun auch wieder nicht auf die Nutzbarkeit des Lexikons aus. Klee scheint einfach eine wahre Sammelwut gepackt zu haben, mit der er alles, was das deutsche Kulturleben vor und nach 1945 ins tiefbraune Zwielicht taucht, festgehalten hat. Dazu gehören für ihn offenbar auch die absurden Vereinnahmungsversuche, mit denen nationalsozialistische Germanisten, Musikwissenschaftler und Theologen versuchten, kanonische Figuren der Kunst- und Geistesgeschichte wahlweise zu kulturellen "NS-Propheten" zu modellieren oder als "jüdisch" zu diskreditieren und aus dem kollektiven Gedächtnis zu streichen. Klee prangert die Kontinuität des radikalen Antisemitismus in der Familie Wagner ebenso an, wie er herausragende Opfer des deutschen "Kulturlebens" immer dann zu Wort kommen lässt, wenn dies der umfassenden Anklage unaufgearbeiteter NS-Vergangenheit dient, als die sein Nachschlagewerk zu lesen ist.

Bereits mit seinem 2003 erschienenen "Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945" hatte Klee ein "Standardwerk" (Die Zeit) abgeliefert, dem "Zuverlässigkeit" und "unübertroffene Vollständigkeit" (Frankfurter Rundschau) bescheinigt wurde. Die nun erschienene Fortsetzung ist ein Dokument einer zur fruchtbaren Obsession gewordenen titanischen Rechercheleistung: Wann ist es je schon einmal einem einzelnen Autor gelungen, in jahrelanger Archivarbeit, alles in allem jedoch erstaunlich knapper Zeit, ein solch umfassendes Nachschlagewerk zustande zu bringen?

Kleine Fehler, die in jeder Enzyklopädie vorkommen, wie Klee übrigens auch in der Taschenbuchausgabe des "Personenlexikons" einräumt, sind da unvermeidlich. In dem Artikel zu dem Schauspieler Emil Jannings etwa, der auf der "Gottbegnadeten-Liste" Adolf Hitlers stand, auf der die privilegiertesten Künstler des "Dritten Reichs" verzeichnet waren, erfahren wir, dass der Filmstar klassische antiimperialistische Argumentationen vorbrachte, um den NS-Kampf gegen die Briten zu legitimieren. Laut Klee war er Gesamtleiter des "antibritischen Hetzfilms Ohm Krüger", der mit der "NS-Lüge" aufwarte, "die KZs seien eine britische Erfindung".

An solchen Stellen sollte man, will man es genauer wissen, besser anderswo weiter lesen. In Wolfgang Wippermanns Buch "Konzentrationslager. Geschichte. Nachgeschichte. Gedenken" (1999) etwa erfährt man, dass die spanische Kolonialmacht bereits 1896 auf Kuba so genannte "campos de concentración" errichtete; zwei Jahre später waren es die Amerikaner, die "concentration camps" auf den Philippinen einführten - gefolgt von dem Briten, die 1900 in Südafrika die Angehörigen der aufständischen Buren in ähnliche Einrichtungen steckten.

Um die aus Jannings Bemerkungen sprechende perfide Argumentation der Nationalsozialisten auszuhebeln, sie kämpften für die Beendigung des weltweiten inhumanen Imperialismus des Commonwealth, hätte Klee also genauer arbeiten müssen. So aber haben seine Kritiker leichtes Spiel. Andere Irrtümer wie der, der ebenfalls auf Hitlers "Gottbegnadeten-Liste" stehende Bestsellerautor Gustav Frenssen habe 1936 ein Buch über das "germanisch-heidnische Gottesgefühl" mit dem Titel "Nordmark" (recte: "Der Glaube der Nordmark") geschrieben, fallen dagegen nicht unbedingt ins Gewicht.

Klees Lexika gehören trotz der genannten Mängel in jedes Bücherregal derjenigen Leser, die sich von dem hohen öffentlichen Ansehen nach wie vor beliebter Figuren des deutschen Kultur- und Geisteslebens nicht für dumm verkaufen lassen wollen. Lobt ein Regisseur wie Claus Peymann, der sich gerade wieder einmal als Hans Dampf in allen Gassen für die Freilassung des RAF-Täters Christian Klar einsetzte und als letzter standhafter Kapitalismuskritiker in die Brust warf, die Wiener Burgtheaterschaupielerin Paula Wessely (1907-2000), so rückt Klees Nachschlagewerk diese unkritische Verehrung in ein fragwürdiges Licht. Wessely begrüßte den "Anschluss" Österreichs an das "Dritte Reich" öffentlich und spielte, von Goebbels verehrt, in rassistischen NS-Hetzfilmen wie "Heimkehr" (1941) mit, der den Überfall Polens rechtfertigte.

Wer sich schon immer gefragt hat, warum wir über Jahrzehnte Hampelmänner wie Georg Thomalla und Johannes Heesters im deutschen Fernsehen sehen mussten (und im Falle Heesters' tatsächlich immer noch müssen), die unsere Großeltern mit ihren mediokren Faxen in Verzückung brachten, sobald ihre Bilder in alten Filmen oder den üblichen Talkshows auftauchten - auch der schlage einmal bei Klee nach. Thomalla, der nach 1945 "bald zum Parade-Spaßvogel der bundesdeutschen Film-Klamotte" avancierte, wie Klee erinnert, agierte zur NS-Zeit in zahlreichen kriegshetzenden Propagandastreifen wie "Über alles in der Welt" (1941), der die "Schlacht um England" medial vorbereiten sollte.

Der laut Hitler "gottbegnadete" Heesters schwang seinen Zylinder in Goebbels "Wunschkonzert für die Wehrmacht" zur Hebung der "Truppenmoral" und trat 1941 sogar im KZ Dachau auf. Klee widerlegt Heesters Lüge, er habe dort damals bestenfalls für einen Schnappschuss posiert und sei dann schnellstens wieder abgefahren. Und zwar mit dem Widmungsblatt eines seinerzeit vom KZ-Kommandanten überreichten Fotoalbums, das Heesters und seinem Ensemble für den "frohen und heiteren Nachmittag im K.L. Dachau" dankt. Noch 2006 behauptete Heesters in der ARD-Talkrunde "Beckmann" über den KZ-Auftritt: "Ich habe nicht gesungen." Zusätzlich zitiert Klee einen Bettelbrief Heesters' an den "Führer", in dem der Schauspieler sogar darum bittet, in noch mehr Propagandafilmen mitspielen zu dürfen: "Ich wäre sehr froh, wenn Sie mich einmal zu einer persönlichen Rücksprache empfangen würden. Heil Hitler! Ihr sehr ergebener Johannes Heesters."

Nicht zuletzt gibt Klees unschätzbare Materialsammlung Aufschluss über die hehre Welt der NS-Literatur und ihrer Folgen. Gertrud Fussenegger, der soeben im deutschspachigen Feuilleton als "Grande dame der österreichischen Literatur" herzlich zum 95. Geburtstag gratuliert wurde und die man in der Nachkriegszeit mit regelmäßig verliehenen Preisen ehrte, trat bereits 1933 in die österreichische NSDAP ein und gratulierte Hitler 1938 zum "Anschluss" mit dem netten Poesiealbumsvers: "Führer des Volkes, dem es gegeben war, / Tränen der Freude zu locken aus lange erblindetem Aug'."

Wussten Sie, dass Erich Trunz, der Kommentator der nach wie vor zitierfähigen Hamburger Ausgabe der Werke Goethes, zunächst in der nationalsozialistischen Germanistik als Parteimitglied 'internationale' Karriere in den eroberten Niederlanden und der besetzten Tschechoslowakei machte? Überhaupt wieder einmal die Germanisten, die auch schon in Klees "Personenlexikon" zu finden sind: Wilhelm Emrich etwa, dessen große existenzialistische Kafka-Studie zwar veraltet ist, aber auch heutigen Literaturstudenten im Bibliotheksregal unweigerlich begegnet, erhielt vor seinem Tod 1998 in Berlin noch die Goethe-Medaille der Goethe-Gesellschaft Weimar. 1942-44 war er Referent der Abteilung Schrifttum im Reichspropagandaministerium und verfasste 1943 einen instruktiven Beitrag mit dem interessanten Titel "Der Einbruch des Judentums in das wissenschaftliche und fachliche Denken."

Wer mehr von dem lesen will, was andere noch immer gar nicht wissen wollen, der besorge sich Klees Lexika. Ohne die darin enthaltenen Basisinformationen kann man vieles, was bis heute in Film, Funk und Fernsehen, der Literatur und der Wissenschaft das deutsche Leben prägt, überhaupt nicht richtig verstehen. Es ist an der Zeit, einen ersten Blick hinter die Kulissen zu wagen.


Titelbild

Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
731 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3100393090

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Titelbild

Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
718 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783100393265

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