Das Monster als Model

Amelie Nothombs Roman "Attentat"

Von Ansgar VautRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ansgar Vaut

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Epiphane Oto sich in all seiner Hässlichkeit auf der Straße blicken lässt, zucken die Menschen unwillkürlich zusammen. Epiphane selbst hat großes Verständnis dafür, findet sogar ein wenig Gefallen daran, wenn sein Äußeres Abscheu erregt. Dass es das tut, ist kein Wunder: Sein Gesicht hat die krumme Form eines Ohrs und ist mit Geschwüren übersäht. Die Augen zwei eitrige Höhlen. An seinem knochigen Körper hängt die Haut wie eine schlaffe Hülle herab. Beschreibt Epiphane sich selbst, zitiert er Victor Hugos Worte über den Glöckner von Notre-Dame "Die Fratze war sein Gesicht".

Die belgische Schriftstellerin Amelie Nothomb hat in ihren Romanen stets Gespür für skurrile Geschichten und Charaktere gezeigt. Auch mit Epiphane stellt sie etwas Unerwartetes an: Sie macht das Monster zum Model. Er wird zum internationalen Star auf dem Laufsteg. Seine Hässlichkeit soll die Schönheit der hoch bezahlten Modells (erst recht) zum Leuchten bringen. Durch die Arbeit lernt er Ethel kennen. Die junge Frau ist nicht nur schön, sondern auch noch ein guter Mensch. Die beiden werden Freunde, was nicht lange gut geht, denn Epiphane verliebt sich in sie. Wegen ihres tadellosen Charakters? Oder, weil er sich von ihrer Schönheit gefangen nehmen lässt und also genau so oberflächlich ist, wie all jene, die ihn wegen seines abscheulichen Äußeren verachten?

Amélie Nothomb macht aus der unmöglichen Liebe zwischen Epiphane und Ethel kein schulmeisterliches Stück über innere Werte. Stattdessen zerpflückt sie genüsslich die Erwartung, dass ein hässlicher Mensch wenigstens ein "guter Kerl" ist. So wird "Attentat" zum Gegenentwurf von Victor Hugos Quasimodo: Hugos Leser sind auf Seiten des Glöckners; seine Hässlichkeit wird zum Garant für seine Menschlichkeit und macht ihn rührend. Epiphane dagegen ist nicht nur ein hässlicher Kerl, sondern auch ein wenig sympathischer Zeitgenosse.

Die große Kunst Amélie Nothombs besteht jedoch darin, bei großer sprachlicher Kühle und tiefem Zynismus, absurd-witzig zu schreiben. Als Höhepunkt des Romans darf die Stelle gelten, in der Epiphane sich in einen Kampfstier hineinphantasiert, der in einem römischen Kolosseum eine Jungfrau zerstampft. Über mehrere Seiten wird das in blutigen Details beschrieben. Einerseits sehr grausam, andererseits mit subtilem Humor. Im Grunde genau so, wie das Leben die Helden in den Romanen der Belgierin behandelt.


Titelbild

Amelie Nothomb: Attentat.
Übersetzt aus dem Französischen von Wolfgang Krege.
Diogenes Verlag, Zürich 2006.
194 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3257065256

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