Zwo, eins, Wir-Gefühl!

Manuel J. Hartungs "Uni-Roman" bringt das Studentenleben auf den kleinsten gemeinsamen Nenner

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Haben wir die Liebe verlernt?", "Trennen oder kämpfen?", "Darum haben wir noch kein Kind": Wer Nachhilfe im Jungsein braucht, der liest "NEON". Seit Anfang 2004 protokolliert das Jugendmagazin des "Stern" die Banalitäten jungen Alltags, gibt Ratschläge fürs Leben und den Lifestyle, immer unter dem Fokus, "wie das denn so ist": mit Freunden in den Urlaub zu fahren. Sich die erste eigene Wohnung zu suchen. Für Sex zu bezahlen. Gutgelaunt und blumig beschreiben authentisch junge Vielschreiber, "warum uns Gutscheine nerven" oder wie man sich fühlt, wenn man abends, beim Heimradeln vom Badesee, in einen Glühwürmchenschwarm rauscht ("Nichts lässt einen so schnell spüren, dass der Sommer da ist."). Eine Zeitschrift wie ein Regenbogen: Schön, aber nutzlos.

Das neue, erst sechs Ausgaben alte Studentenmagazin "ZEIT Campus" schlägt den Bogen noch etwas weiter: Auch hier gibt es toll bonbonbunte Photoshopcollagen und lässig ausgebleichte Snapshots von coolen Fransenpony-Mädels, auch hier sind die allerwichtigsten Worte "Wir" (verbrüdernd und verschwörerisch) und "Du" (handwarm und penetrant). Doch der Nutzwert ist höher, der Service-Anspruch verbissener. "NEON" titelt beim Thema Praktikum lapidar: "Wir lassen uns ausbeuten!" "ZEIT Campus" dagegen verspricht "Sommer für alle - Jobs in der Sonne", und schlägt mit Kontaktadressen und Insidertipps um sich.

Faszinierend an beiden Magazinen ist ihr ernster, konsequenter Egalitarismus: Sie feiern keine Lifestyle-Eliten, pflegen keine Nischen-Kulturen; sie suchen den Zeitgeist im Klischee, nicht in der Avantgarde. "Auch DU kannst dabei sein - wenn du dir Mühe gibst!", das war das Heilsversprechen von Fitness- und Konsumbibeln wie "Fit for fun", "Instyle" und "Men's Health". "NEON" beschwichtigt: "Du musst gar nichts kaufen oder tun, du bist schon dabei, gehörst längst dazu - in all deiner Mittelmäßigkeit!"

Dieses "Wir-Gefühl" ist auch im "Uni-Roman" von Manuel J. Hartung zentraler Schlüsselreiz: Hartung, geboren 1981 und stellvertretender Chefredakteur von (ach so, passt!) "ZEIT Campus", studierte Geschichte, Jura und Psychologie in Bonn und verfasste kurze Studentenalltags-Kolumnen für den UNISpiegel. Aus diesen Kurztexten ist jetzt ein (durchdramaturgisierter, also durchaus "richtiger") Roman erwachsen. Auf dem Cover sind jene uniformen Junge-Leute-Schuhe abgebildet, die früher "Converse" genannt wurden und jetzt "Chucks" heißen (Warum eigentlich? Und gab es keinen großen "NEON"-Hintergrundbericht über die Namensimplikationen?). Innendrinnen erzählt Hartung auf 220 Seiten, "wie das denn so ist", das Studentenleben.

Hartungs fiktives Prosa-Double heißt Markus Rüttgers, ist naive 20 und im ersten Semester Jura an der Uni Bonn: ",Warum studierst du eigentlich', fragte Daniel. 'Ich weiß es nicht', sagte ich. 'Vielleicht, weil alle studieren?'" Der nette, aber sehr farblos-gefällige Kerl steht inmitten einer Ansammlung aus Klischeefiguren und -situationen: Die sexy Jura-Schnalle Jasmin stolziert nackt aus dem WG-Badezimmer und will trockengerubbelt werden. Der verpeilte Langzeitstudent Chekka ist im 21. Semester und fragt sich, ob "Leistungsnachweis" und "Teilnahmenachweis" Pseudonyme (!) für "Schein" sind ("Ey, ich check' das einfach nicht!"). Auch Burschenschafter Scheitel verwechselt "Katharsis" mit "Katalysator", und wünscht sich eine "großdeutsche Lösung".

"Der Uni-Roman", das sind Klischeesituationen, erwartbar erzählt: Das überfüllte Grundlagenseminar, die erste große Studentenparty, der deprimierende Mensabesuch, skurrile Begegnungen mit betrunkenen Dozenten, Flirts, Frustessen und Prüfungsstress. Dazwischengeschaltet sind längere "Wer kennt das nicht?"-Passagen im Plaudertonfall (offenbar Hartungs ursprüngliche Kolumnen, die in den Plot geschmuggelt sind): Darüber, wie ungern man auf eine Antwort-SMS wartet, wie wenig "echte" Bildung zählt, weil ein eindrucksvoller Lebenslauf mit vielen Praktika viel wichtiger ist, oder, dass Referate weder Spaß noch Lehrwert bringen.

Literarischer Eigenwert? Ambitionen, aus dem Rahmen zu fallen? Keine Spur! Hartung geht allem Besonderen, Kantigen, Interessanten aus dem Weg, erzählt seine Reißbrettgeschichte in flacher und gefälliger Sprache, fordert nicht, kitzelt nicht. Er gibt sich alle Mühe, den Leser an keiner Stelle durch Nie-Gehörtes zu irritieren: "Ich gehe zur Uni, wenn ich muss. Ich habe einen Stundenplan und arbeite ihn ab. [...] Natürlich macht die Uni Spaß, aber mehr Spaß macht eigentlich der Kosmos drumherum. Vielleicht bin ich damit typisch für meine Generation: leistungsgerecht, selbstoptimiert, süchtig nach dem perfekten Lebenslauf - und gleichzeitig wenig selbstmotiviert."

Konsenssprache, Konsensthemen, Konsensfiguren: Bereits Lebensgefühl-Bestseller wie "Generation Golf" lebten von der Spannung, mit der man sich bei der Lektüre gleichzeitig mitziehen ließ und abgrenzen musste. Wie man sich den eigenen Lebensentwurf an allerlei steilen Thesen und Verallgemeinerungen darüber, "wer WIR sind und was WIR wollen", abrieb. Dass Manuel Hartung mit seiner fliehenden Stirn und der doofen Klassensprecherbrille genauso brötchenhaft aussieht wie Florian Illies, passt ins Muster: Warum werden die großen feuilletonistischen "WIR"s immer von jener Sorte Axel-Springer-Preisträger und Adenauer-Stipendiat konstatiert, die man am liebsten ausklammern würde aus der eigenen Generationenerfahrung?

"Scheiße, Junge, jetzt gib dir mal Mühe!", flucht man, weil Hartung seinen Figuren Bright-Eyes-Songtexte in den Mund schiebt wie Atempastillen, aber statt jugendlicher Freshness nur Mist rauskommt ("Die ganze Parade hipper Altbauwohnungsmusik, von Bright Eyes bis Conor Oberst.") Weil er immer wieder Tom Wolfes Campusroman "Ich bin Charlotte Simmons" zitiert, ansonsten aber klingt wie einer, der noch NICHTS gelesen und verstanden hat ("Mein Lieblingsbuch ist 'Spieltrieb' von Juli Zeh." Oh verdammt!). Und weil jeder erzählerische Einfall klingt wie ein Wiedergänger von Tommy Jaud: "Man müsste mal eine Initiative für niveauvolle Klosprüche gründen." Au ja, Manu. Mach mal!

"Dieses Buch ist nicht mehr und nicht weniger als eine Liebeserklärung", schreibt er im Nachwort, "An Bonn, an die Universität, an ihre Bewohner und Bewohnerinnen, an den ganz normalen Wahnsinn des Alltags und an eine Zeit, die so aufregend und verwirrend ist wie wohl kaum eine Zeit früher oder später". Und wie jeder Hartung-Satz weckt er ein aggressives Kribbeln und tausend Widerspruchsimpulse: "Dieses Buch ist eine unmotivierte Abzocke, eine Universität hat gar keine 'Bewohner', den 'ganz normalen Wahnsinn des Alltags' sollte man totschweigen, und wer das erste Semester für die aufregendste Zeit seines Lebens hält, ist ein armer Tropf!"

Doch mittendrin in diesem lahmen, dürren, opportunistischen Aufreger - und das ändert nicht alles, aber eine Menge! - blüht eine wunderbar sperrige, viel zu verkopft geratene, sehr charmante Liebesgeschichte. Nicht das allergrößte Kino, aber eben doch: etwas Eigenes, etwas Anderes, etwas, das Hartung mit einer spürbaren Dringlichkeit ordentlich zu Ende erzählen will. Die (im besten Sinne des Wortes) eigentümliche Anna ist der einzige Baustein des Romans, der keine "Wer kennt das nicht?"-Schlüsselreize sendet; der einzige Baustein, der sich nicht passgenau und bequem ins Schema fügt, und den man deshalb umso begeisterter kennenlernt. Anna also, und - ach so, genau - die leitmotivische Setzung von Deodorant (!) als prominentestes dramaturgisches Schlüsselsymbol. Schöne Idee. Sollte man unbedingt mal einen "Wie ist das eigentlich so?"-Artikel drüber bringen!


Titelbild

Manuel J. Hartung: Der Uni-Roman.
Piper Verlag, München 2007.
222 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-13: 9783492249225

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