"Burn, ware-house, burn!"

Zu den Flugblättern der Kommune I

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Einige Vorbemerkungen

Die Kommune I gehört wohl zu den zentralen Beständen des kollektiven Gedächtnisses zumindest der bundesdeutschen Linken. Ihre mediale Präsenz Ende der sechziger Jahre, ihre Happenings und schließlich ihre provokativen Flugblätter zeigen bis in die Gegenwart Wirkung. Vor allem ihre Fotos gehören zum allgemeinen Bildbestand der bundesdeutschen Kulturgeschichte. Namen wie Rainer Langhans, Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann sind bis heute bekannt.

Ihre eigentliche Bedeutung hat die Kommune I allerdings auf einem anderen Gebiet erlangt, das nicht notwendig mit ihrem Beitrag zum bundesdeutschen Bildreservoir zu tun hat. Sie mag bis heute umstritten sein, die Wirkungen der Jahre 67 bis 69 mögen kritisch bewertet werden, unabhängig davon war die Kommune I aber einer der wichtigsten Faktoren bei der Umwälzung gesellschaftlicher Habitusformen. Die Provokationen, die sie über lange Jahre auf den Weg brachte, die Reaktionen, die sie auslöste, die Möglichkeiten, die sie aufzeigte, haben zu der radikalen Veränderung der bundesdeutschen Gesellschaft in den folgenden Jahrzehnten entscheidend mit beigetragen. Sie gehört zu den gesellschaftlichen Faktoren, die massiv die Unantastbarkeit des Subjekts im gesellschaftlichen Kontext einforderte, die seine Erlebnisfähigkeit betonte und seine Selbstverwirklichung vorantrieb. Zugleich verdankt die bundesdeutsche Gesellschaft ihr, auch ihr, dass die Legitimationsprozesse gesellschaftlicher Institutionen weiter vorangetrieben worden sind.

Damit nicht genug: So antikapitalistisch die Kommune I auch aufgetreten ist, ist sie zugleich doch auch Agentin der medialen Durchdringung von Gesellschaft und des Ausbaus der Konsumgesellschaft gewesen. Die Kommune I hat zum Teil souverän die Medien für ihre Zwecke eingesetzt, sie hat über die Ästhetisierung des Selbst nicht zuletzt die Auflösung von gesellschaftlich vorgeprägten Habitusformen vorangetrieben und damit das Verhältnis der Subjekte zur Kultur-, Freizeit- und Modeindustrie neu definiert. Das Marketing hat darauf reagiert, zum Teil mit Instrumentarien und Techniken, die von der Kommune I mit entwickelt worden sind - und das sehr schnell. Schneller jedenfalls als die politischen Eliten der Bundesrepublik. Das führt zu dem denkwürdigen Umstand, dass auf der einen Seite die bundesdeutsche Gesellschaft, vorangetrieben von der Freizeitindustrie und den sozialen Mittelschichten, sich habituell entformalisiert und damit revolutioniert. Auf der anderen Seite führt die Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Studenten, Außerparlamentarischer Opposition und staatlichen Institutionen und einem Teil der Massenmedien zur harten Konfrontation mit einer militant gewordenen, relativ kleinen Gruppe, die bis weit in die 1980er-Jahre hinein besteht und die politischen Diskurse mitbestimmt.

Dagegen verblasst ein wenig, dass die Kommune I nur eine relativ kurze Zeit existierte, zudem ein sehr fragiles soziales Gebilde war und nach einem sehr heftigen Auftakt politisch gesehen kaum noch in Erscheinung trat. Die Kommune I als abgrenzbare soziale Gruppe bestand knapp drei Jahre, vom 1. Januar 1967 an bis zur gewaltsamen Auflösung Anfang November 1969. Die Namen der Gründer-Kommunarden: Fritz Teufel, Volker Gebbert, Dagmar Seehuber, Dagrun E. Kristensen, Hans-Joachim Hameister, Rainer Langhans, Dorothea Ridder, Dieter Kunzelmann, Karl Pawla, Antje Krüger und Ulrich Enzensberger. Ihr wichtigstes Druckmedium waren die - teilweise berühmt gewordenen - Flugblätter.

Sichtung

Die Kommune I hat zwischen 1967 und 1969 folgt man dem Bestand des APO-Archivs der FU Berlin 39 Flugblätter publiziert. 26 von ihnen sind nummeriert und bilden den Kern des Kommune I-Flugblattbestands. Einige wenige der Flugblätter sind möglicherweise als Schreiben zu bewerten und aus dem Flugblattbestand auszuschließen. Eines stammt aus dem Zeitraum vor der konkreten Gründung der Kommune I, vom 26.11.1966, und ist als "Fachidiotenflugblatt" bekannt geworden. Ulrich Enzensberger, selber Kommune I-Mitglied, schreibt es aber den späteren Kommune-Mitgliedern zu. Er benennt zudem ein Flugblatt zum Berliner Ostermarsch 1967 am 26.3.67 als erstes Kommune I-Flugblatt. Die Reihe der nummerierten Kommune I-Flugblätter, auf die in der Diskussion um die antiautoritäre Revolte immer wieder Bezug genommen wird, beginnt am 3. Mai 1967, das letzte nummerierte Flugblatt ist auf den 27. September 1967 datiert. Danach folgen noch drei Flugblätter, vom 6.10.1967, 6.4.1968 und 21.6.1968. Zumindest die letzten beiden stehen aus heutiger Perspektive eher als situationsgebundene Nachzügler denn als genuines Element einer politischen Aktion da. Die Hochzeit der Kommune I-Flugblätter umfasst also lediglich knapp fünf Monate, vom Mai bis zum September 1967. Für eine Gruppierung dieser Prominenz ist das ein bemerkenswerter kurzer Zeitraum, der zu Fragen Anlass gibt, nicht zuletzt über die Wirksamkeit politischer Aktions- und Kommunikationsformen in dieser konkreten historischen und gesellschaftlichen Situation.

Die Produktionsmittel, die der Kommune I zur Verfügung gestanden haben, sind anscheinend denkbar einfach gewesen. Das Erscheinungsbild der Fugblätter und eine knappe Bemerkung Ulrich Enzensbergers deuten auf einer Wachsmatrizendruckmaschine hin. Enzensberger bemerkt beiläufig, dass es "abwegig" gewesen sei, technisch mit der Springerpresse zu konkurrieren: "Eine Matrize war nach tausend Exemplaren abgenutzt." Daraus lassen sich die normale Auflage der Kommune I-Flugblätter schließen, die wohl 1.000 Exemplare in der Regel nicht überstiegen hat, und ihre Produktionsweise. Man kann davon ausgehen, dass die Flugblätter nicht mehrfach auf Matrizen getippt und damit höhere Auflagen erzielt worden sind, sondern dass verschiedene Flugblätter zeitgleich erstellt wurden. 25 der 26 nummerierten Kommune I-Flugblätter sind offensichtlich auf diese Weise produziert worden, lediglich Flugblatt 10, das eine Montage von BZ-Artikeln enthält, und die beiden Steckbriefe sind anders, im Offsettdruck hergestellt worden. 24 dieser 25 Flugblätter enthalten zudem keine grafisch-visuellen Elemente, sondern sind rein typografisch gestaltet; sie bestehen nur aus Fließtext, der gelegentlich durch Versalien oder Einrückungen gestaltet worden ist. Lediglich in Flugblatt 9, das zu einer thematisch besonders interessanten Gruppe von Flugblättern gehört, ist der Text handschriftlich in einer Spirale angeordnet. Hier sind mir zudem zwei Varianten bekannt, sodass dieses Flugblatt in der Tat eine höhere Auflage erreicht haben könnte als die übrigen (es sei denn, es handelte sich bei einer der beiden Varianten um eine Nachschrift).

Die Gestaltung der Kommune I-Flugblätter ist also - zumindest aus heutiger Sicht - für eine spontaneistische, als höchst kreativ geltende, neue oder ungewöhnliche Kunst- und Aktionsformen wie das Happening und die Provokation setzende antiautoritäre Gruppe bemerkenswert schlicht. Auch wenn den Gestaltungsmöglichkeiten auf Matrizen Grenzen gesetzt sind, so sind doch ein beinahe völliger Verzicht auf grafische Elemente und die erkennbare Fokussierung auf den Text auffällig.

Warum Text?

Allerdings ist das zugleich konsistent. Die Explosion der gestalterischen Kreativität, für die gerade die späten 1960er-Jahre stehen, hatte die politische und insbesondere die antiautoritäre Szene noch nicht erreicht. Als die Kommune I gegründet wurde, mag sie in ihrem Verhalten und ihren Texten revolutionär und provokativ gewesen sein. Dass junge Leute auf engstem Raum zusammenleben und neue Beziehungs- und Verhaltensformen einübten, war in der Tat etwas Neues, Ungewohntes, Provokantes. In der Namensgebung Kommune I zeigt sich ja auch das Gründungsbewusstsein der Gruppe deutlich genug. Auch die Texte sind provokativ.

Auf Fotos jedoch bis weit ins Jahr 1967 hinein zeigen sich die Kommunarden aber noch vergleichsweise konventionell, bestenfalls leger gekleidet, die Haare sind noch kurz, Anzug, Hemd und Krawatte etwa sind noch Standards männlicher Bekleidung. Der kreative Schub, der auch die Ästhetisierung des Selbst erfassen würde, hatte die Mitglieder noch nicht erreicht. Erst mit den folgenden Happenings, den Büßergewändern, dem Ku'damm-Auftritt, auf dem Langhans einen Strohhut und einen Rock trägt, schreitet diese Entwicklung fort, die möglicherweise auch den Verzicht auf die Flugblätter, wie sie die Kommune I bis dahin produziert hatte, nach sich zog. "Klau mich" von 1968, das wohl bekannteste (Buch-)Produkt der Kommune, geht schon deutlich spielerischer mit dem Material um, setzt Farben und grafische Elemente in Kombination mit dem Textmaterial kreativ ein.

In der Flugblattphase jedoch setzte die Gruppe noch auf den Text und seine Provokation. Sie konnte dabei allerdings immer noch sicher sein, dass das genügte. Der soziale Referenzraum, in dem sich die Gruppe bewegte, die Freie Universität Berlin, West-Berlin, die Massenmedien bis hin zu den Handlungsräumen der Popularmedien etwa der Musik waren gleichfalls von den Formexperimenten der Pop-Art und der neuen Medienästhetik noch nicht vollständig erfasst und verändert worden. Insbesondere der öffentliche Raum der politischen Rede wurde zwar als medial bestimmt beschrieben, scheint aber immer noch auf Text, Rede und Argumentation und persönliche politische Begegnung bestimmt gewesen zu sein. In diesem Raum, zu diesem Zeitpunkt spricht man noch miteinander und liest das, was die Beteiligten schriftlich niederlegen. In dieses Kommunikations- und Habitusmodell stoßen die Flugblätter. Und sie tun dies nicht zuletzt deshalb so effektiv, weil sie nicht durch ihre Form bereits ankündigen, dass sie anders sind. Sie signalisieren formal ihre Zugehörigkeit - umso provokativer muss dann sein, was sie inhaltlich mitzuteilen haben.

Warum die Nummerierungen?

Zugleich sind bereits hier Verfahren unterlegt, die von Beginn an den Absender kenntlich und wieder erkennbar machen, also die Kommune I dem Kommunikationsraum implementieren. Offensichtlich folgt die Nummerierung der Kommune I-Flugblätter einer Auszeichnungsstrategie, die wir heute als Corporate Design bezeichnen würden: Durch die Nummerierung werden die Flugblätter auch ohne Unterschrift eindeutig einer Gruppe zuweisbar. Spätestens mit der ersten Serie von fünf Flugblättern und der hochschulöffentlichen, ja berlinweiten Reaktion war dieses Verfahren erfolgreich demonstriert. Die Gruppe hat dieses Prinzip bemerkenswert lange und konsequent durchgehalten. Lediglich die beiden Steckbriefe und die so genannte Pressemitteilung zum Löbe-Happening sind nicht in die Nummerierung aufgenommen. Erst nach Flugblatt 26 reißt die Nummerierung ab. Aber damit ist beinahe das Ende der Kommune I-Flugblätter überhaupt erreicht. Das Flugblatt "Unser Willy" schließt zwar noch zeitlich und auch stilistisch an, aber die Nummerierung fehlt. Die letzten beiden Kommune I-Flugblätter sind dann schon ins Jahr 1968 datiert und stehen so isoliert da, dass es den Anschein hat, als ob die Kommune I sich völlig vom Medium Flugblatt abgewandt hätte. Weder das Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968, noch der Kaufhausbrand vom April 1968, noch die Osterunruhen im gleichen Jahr werden von der Kommune im Flugblatt kommentiert.

Kampagnen

Die Flugblätter sind zudem in Gruppen einteilbar und auf bestimmte Anlässe hin geschrieben worden. 20 von 26 sind auf insgesamt vier Ereignisse und Daten verteilt: auf den 3.5. fünf Flugblätter, auf den 24.5. vier Flugblätter, auf den 30.5.-1.6. sechs Flugblätter und auf den 5.-6.7.1967 fünf.

Die Ereignisse, auf die sich die Kommunarden bezogen, waren die Urabstimmung der FU, der Warenhausbrand in Brüssel und die deutsche Berichterstattung, der Besuch des Schahs in Berlin und der Beginn des Prozesses gegen Teufel/Langhans wegen der Warenhausbrandflugblätter. Die beiden Flugblätter vom 28.6. lassen sich zu denen von Anfang Juli noch hinzuzählen, sie gehören zum selben thematischen Feld. Ebenso die beiden Steckbriefe, die um den 13.7. entstanden zu sein scheinen und das Flugblatt 25 zum Ku'damm-Happening, mit dem die Freilassung Fritz Teufels gefeiert wurde.

Diese Gruppierungen sind erstaunlich, allerdings sind sie einigermaßen plausibel begründbar. Zum einen sind die Flugblätter relativ klar auf die betreffenden Ereignisse hin produziert worden. Sie versuchen dabei die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten, was gewöhnlich vor allem über Auflage und Frequenz geschieht. Die technische Limitierung der Auflagen hat die Kommunarden anscheinend auf die Idee gebracht, statt mehrerer Auflagen eines Flugblatts gleich echte Varianten herzustellen. Damit erreichten sie jedoch zugleich eine weitere Qualitätsverschiebung ihrer Flugblattaktionen: Die Flugblätter wurden so, verstärkt durch die zeitliche Nähe, in der sie verteilt wurden, in eine Verweisstruktur eingebunden, die von der Nummerierung unterstützt wurde. Wer Nr. 8 hatte, musste sich auch Nr. 7 und Nr. 9 besorgen. Die Flugblattempfänger wurden also angeregt, von der passiven Lektüre zur aktiven Beschaffung und Komplettierung überzugehen. Gelingt das faktisch, dann erzielt eine solche Gruppe damit einen enormen Effekt. Das technische Handicap erzeugt Synergien, die über die Wirkung reiner Auflagenvergrößerungen hinausgehen. Allerdings setzt die Gruppe damit zugleich primär auf mediale und öffentliche Resonanz und nicht auf nachhaltige politische Einflussnahme.

Die Provokation - Ein Exempel

Am 24. Mai 1967 verteilt die Kommune I auf dem FU-Campus vier Flugblätter, die Flugblätter 6 bis 9, die berühmten Warenhausbrandfluglätter. Thema: Die Berichterstattung über den Brand des Brüsseler Warenhauses "A L'Innovation" am 22. Mai, bei dem etwa 300 Menschen zu Tode kamen. Die Berliner Springerpresse hatte über einen möglichen terroristischen Hintergrund des Brandes spekuliert, und auch wenn die Kommunarden keineswegs über ein eigenes funktionierendes Informationsnetzwerk verfügten, das es ihnen erlaubt hätte, solche Spekulationen zu korrigieren, waren sie davon überzeugt, dass solche Spekulationen sich lediglich der bereits hysterisierten Berliner Medienlandschaft verdankten. Die Blamage um das geplante Attentat der Kommune I auf Vizepräsident Humphrey Anfang April 1967 also hatte keineswegs für Abkühlung in den Medien gesorgt. Das vermeintliche Bombenattentat, das von der Berliner Presse groß herausgestellt worden war und ein internationales Echo hatte, schrumpfte binnen weniger Tage zu einem Happening mit Rauchentwickler und Pudding, das nicht einmal die Berliner Justiz verfolgen wollte, die sich später noch als sehr hilfsbereiter Partner von Polizei und Politik erwiesen hat.

Die Kommune reagierte also auf ein Berliner Medienphänomen und nicht auf den Brand selber. Und sie reagierte darauf, dass die Spekulationen selber eine Verbindung zwischen Kaufhausbrand und den studentischen Protesten gegen den Vietnamkrieg hergestellt hatten. Nun mag man es, wie damals und heute meist, für zynisch erklären, dass die Kommune I den Brand in ihren Flugblättern als "neue Demonstrationsform", als "Großhappening" (Nr. 6) bezeichnete, das die "Leistungsfähigkeit der amerikanischen Industrie" und "Werbung" (Nr. 7) demonstriert habe. "Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnam-Gefühl (dabei zu sein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen." (Nr. 7)

Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass die Kommune I auf zwei Linien agitierte: gegen die Medienberichterstattung, die sie als skandalös empfand, und gegen die selektive Wahrnehmung einer Gesellschaft, die die machtpolitisch motivierte militärische Intervention der USA in Vietnam verteidigte oder ignorierte, und zugleich auf die Verdrängung und den Ausschluss von gesellschaftlichen Gruppen hinarbeitete, die sich dem Basiskonsens der Gesellschaft versperrten. Das "nachtotalitäre[...] Biedermeier" (Thränhardt) der immer noch jungen Bundesrepublik basierte auf einem harsch verteidigten Neokonventionalismus, der als Defensivstrategie die Modernisierungsschübe der 1920er- und 1960er-Jahre ebenso zu bewältigen hatte wie den vermeintlichen Atavismus des NS-Regimes.

Die bundesdeutsche Politik hatte sich nach einem langen Konsolidierungsprozess erfolgreich als konsensorientiert etabliert (etwa Godesberger Programm der SPD), setzte lebensweltlich und ökonomisch auf die Sicherung und Ausbau des Status der Bundesbürger und positionierte sich dabei demonstrativ an der Seite der neuen Verbündeten, das heißt vor allem der USA. Die Gesellschaft stagnierte dabei habituell, und das, obwohl bereits in den 1950er-Jahren neue Verhaltensmodelle griffen respektive die Dissoziation verpflichtender Verhaltensstandards sich fortsetzte. Das war aber vorerst nur an einigen neuen Phänomenen zu erkennen, die allerdings auch kritisch diskutiert wurden, wie die Mediendemokratie, der Ausbau der Konsumgesellschaft (der die konstitutive Werthaltungen der gesellschaftlichen Eliten unterlief und damit zerstörte), die soziale Nivellierung und die seit Mitte der 1960er-Jahre deutliche Entkonventionalisierung in Segmenten der Gesellschaft, sichtbar an etwa an der Popmusik oder in Teilen der Kunst.

In diesem Kontext musste die Provokation der vier Flugblätter explosive Wirkung entfalten. Das Spiel mit den Wertungen und Beschreibungen, das die vier Flugblätter zeigen, wurde in den Springerblättern naheliegend ignoriert. Die satirische Überzeichnung, die bewusste Inszenierung von Sprecherrollen, auf die Peter Szondi dann in seinem Gutachten deutlich hinwies, und das politische Argument konnten überhaupt nicht wahrgenommen werden, zum Teil weil dies nicht im Interesse der Medien lag, zum Teil weil sie dafür blind waren. Die Offensichtlichkeit, mit der in Flugblatt 6, das wie ein Zeitungsartikel geschrieben war, eine Verschwörergruppe herbeifantasiert wurde, der höhnische Spott, in dem in Flugblatt 7 Werbe- und Politiksprache imitiert wurde, mussten ignoriert werden ("Neu! Unkonventionell! Neu!", "So sehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das recht Maß nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlicher Tragik, im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen." (Nr. 7)) All das wurde auf die klare Aufforderung reduziert, die vermeintlich als Titel Flugblatt 8 ziert: "Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?" (Nr. 8), und das Flugblatt abschließt: "burn, ware-house, burn!" (Nr. 8)

Hier aber muss man genau hinsehen: Denn das für ein Flugblatt, das in "surrealistischer" Tradition steht, bemerkenswert klare politische Argument wurde von Medien und Öffentlichkeit nicht ignoriert, sondern als skandalöser Verstoß gegen den politischen Grundkonsens der politischen Eliten sehr gut verstanden: Nämlich dass, wer sich moralisch indifferent zu den Gewalttaten in Vietnam verhalte, sich nicht moralisch über den gewaltsamen Tod in einer europäischen Großstadt empören könne: "Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion eine Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig wie beim Überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China." (Nr. 8) Flugblatt 9 fasst diese Elemente nochmals zusammen: Die Engführung von Vietnam - Brüssel - Berlin und die phantasmatische Imagination eines von einer Propangasflasche ausgelösten Massenhappenings. Und das - ein starkes Signal im Übrigen - angeordnet in einer spiralförmig auf das Zentrum Ka-De-We zulaufenden Handschrift.

Noch einmal: Die Provokation der Kommune I bezieht ihren Impuls aus der Medienberichterstattung, die sie bereits als obszön verstand. Sie drehte die Schraube nur noch weiter an, und das durchaus im klaren Bewusstsein dafür, dass diese Flugblätter nicht zur Beruhigung der medial agierenden Gemüter beitragen, sondern die Situation weiter anheizen würde.

Angesichts des im Mai in jedem Fall noch sehr präsenten politischen Bewusstseins der Kommunarden muss dieser Aktion jedoch weniger der dann im Prozess von den Gutachtern angestrengte Kunstcharakter zugestanden werden. Ganz im Gegenteil: Die Kommunarden agierten hier politisch, sie zogen vielleicht sogar tatsächlich in Erwägung, dass eine Kaufhausbrandlegung die moralische Fassade der deutschen Gesellschaft zum Einstürzen bringen würde. Im Kontext der Entstehung dieser Flugblätter und aus der heutigen Perspektive sind die Reaktionen auf solche Provokationen freilich völlig überzogen. Sie lassen sich eigentlich nur darauf zurückführen, dass Teile der politischen Elite und der Medien die gesellschaftlichen Veränderungen zu sistieren suchten und dafür auch bereit waren, zumindest teilweise die Destabilisierung der Gesellschaft hinzunehmen, ja zu betreiben. Dass extreme politische Argumentationen und Stellungnahmen Gehör fanden, ja provokante Übertreibungen und absurde Überziehungen Resonanz hatten, und zwar positiv wie negativ, ist jedenfalls ein Zeichen dafür, dass auf der einen Seite die Gesellschaft sich in signifikanten Teilen rasant veränderte und gewohnte Habitusformen sich auflösten und dass sich auf der anderen Seite starke gesellschaftliche Akteure dagegen stemmten.

Die Kommune I zog aus diesen Aktionen jedoch eine denkwürdige Konsequenz: Sie verminderte die politische Argumentation und verstärkte zugleich die Provokation, im ersten Schritt noch im Kontext der bisherigen politischen Aktivitäten, der Resonanzraum der Protest gegen den Vietnamkrieg und die antiautoritäre Revolte war. Im zweiten Schritt jedoch verlor sie diesen Resonanzraum beinahe völlig. Ihr Lebensstil, den sie zusehends radikalisierte, trat an dessen Stelle, und das ist bemerkenswert konsequent.

Verschiebungen

Die Zahl der produzierten Flugblätter verweist auf die besondere Bedeutung, die die Kommunarden den jeweiligen Ereignissen zumaßen, auf die die Flugblätter sich bezogen. Die FU-Urabstimmung, der Brüsseler Kaufhausbrand, der Schahbesuch in Berlin und der Prozess gegen Teufel/Langhans sind dadurch als offensichtliche Schwerpunkte erkennbar, die Ereignisse haben aber unterschiedliche Profile.

Mit den ersten drei Flugblattgruppen etablierte sich die Kommune I als öffentlich wirksamer Akteur. Die Gruppe löste sich dabei aus der Hochschulöffentlichkeit und eroberte immer mehr die allgemeine Öffentlichkeit als Resonanzraum: Von einer Urabstimmung über eine allgemeine politische Satire hin zur konkreten Vorbereitung von Aktionen zum Schahbesuch gewann die Kommune I an Profil, auch an politischem. Mit der Verhaftung Fritz Teufels am Abend des 2. Juni einerseits und dem Tod Benno Ohnesorgs andererseits aber scheint dieser Prozess abzubrechen.

Unabhängig davon, dass die Kommune I beständig an ihren internen Prozessen zu scheitern drohte, war mit dem Tod Ohnesorgs eine Grenze überschritten, die alle Beteiligten bereits im Vorfeld geängstigt hat. Aus den internen Papieren ist bekannt, dass die Kommune I ihre Demonstrationstaktik bewusst wählte, um einer direkten Konfrontation mit der Polizei auszuweichen, bei der die Kommunarden sich von vorneherein physisch und psychisch im Nachteil sahen. Beim Berliner Ostermarsch vom März 1967 hatten die Kommunarden mit der Spaziergangsdemonstration eine angemessene Form gefunden, die es ihnen erlaubte, aktiv zu werden, ohne sich selbst über die Gebühr der staatlichen Gewalt auszusetzen. Dieses Vorgehen war aber mit dem Einsatz der so genannten "Jubelperser" am 2. Juni vor dem Schöneberger Rathaus, der knüppelnden Polizei, die die Demonstranten vor der Deutschen Oper einkesselte und jagte und schließlich dem Tod Benno Ohnesorgs weitgehend suspendiert. Der Radikalisierungsprozess der antiautoritären Linken, der Außerparlamentarischen Opposition und in Teilen auch der Kommune wurde spätestens jetzt forciert. Die Reaktionen der Polizei bereits während der Demonstration (über Lautsprecher wurde anscheinend bekannt gegeben, dass ein Polizist erstochen worden sei), die Medienberichterstattung über den Tod Ohnesorgs, die den Demonstranten die Verantwortung zuwies, und die Reaktionen der Politik zeigten an, dass sich die Fronten zwischen gesellschaftlichen Eliten und dem antiautoritären Protestpotenzial immer weiter verhärteten.

Die Kommune I reagierte auf die neue Situation zuerst einmal ungewöhnlich: Sie schwieg, zumindest was ihre Flugblätter anging. Flugblätter waren offensichtlich nichts, was in der Situation direkt nach dem 2. Juni angemessen eingesetzt werden konnte. Erst einige Wochen später wurde die Reihe fortgesetzt: Das nächste Flugblatt nach dem 2. Juni, mit der laufenden Nummer 16, wurde am 28. Juni verteilt und diente bereits der Vorbereitung und Kommentierung des Teufel/Langhans-Prozesses. Und die Kommune blieb im Wesentlichen bei diesem Thema. Alle Flugblätter zwischen dem 28.6. und dem 12.8.1967, von Nr. 16 bis Nr. 25, beziehen sich auf diesen Prozess. Damit hatte die Kommune I, zumindest wenn man sich auf die Flugblätter bezieht, die politische Szene verlassen und sich auf die Prozessbegleitung konzentriert. Sie konzentrierte sich zudem auf Happenings und auf die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte, wie die Broschüren und Buchprojekte der folgenden Zeit zeigen. Insofern klingt der Kommentar des FU-ASTA von Mitte August 1967 bereits wie ein Nachruf auf die Kommune I: "Ihre Aktionen erschöpfen sich jetzt in Happenings, die es vor allem darauf abgesehen haben, bürgerliche Ordnungsvorstellungen zu provozieren und durch absurde oder besonders aufgefallene Demonstrationen Aufmerksamkeit zu erregen." (AStA 1967)

Allerdings hatte sie auch dabei noch eine ansehnliche öffentliche Aufmerksamkeit und agierte in der bereits erprobten offen provokativen Manier. Die Happenings bei der Beerdigung Paul Löbes und nach der Freilassung Fritz Teufels vom 9.8. und 12.8. zeigen dies. Der ASTA-Nachruf scheint von diesen Aktionen direkt motiviert zu sein. Aber im Grunde hatte sich die Gruppe von der politischen Szene verabschiedet. Der Versuch, dort wieder Fuß zu fassen, als den man das Flugblatt vom 6.10. sehen kann (das schon keine Nummer mehr trägt), scheint gescheitert zu sein. Die beiden Flugblätter aus dem Jahr '68 sind nur noch Gelegenheitsaktionen ohne größere Relevanz. Die Kommune I hatte im Grunde genommen und lange vor ihrer faktischen Auflösung 1969 ihren politischen Charakter verloren, die Flugblätter verloren ihre Bedeutung. In diesem Sinn lässt sich eben auch der Schlusssatz aus Flugblatt 5 lesen: "Vielleicht sind Flugblätter eben doch das Falsche!"

Anmerkung der Redaktion: Bei dem Beitrag handelt es sich um einen gekürzten Vorabdruck aus der Dokumentation der Tagung " Flugblätter vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart" in der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, 23.-25. März 2006.

Literatur:

AStA: Allgemeiner Studentenausschuß der Freien Universität Berlin: Ein Letztes zur Kommune. In: Tagesspiegel vom 15.8.1967, zitiert nach http://www.infopartisan.net/archive/1967/2667129.html (13.3.2006).

Thomas Hecken: Avantgarde und Terrorismus. Rhetorik der Intensität und Programm der Revolte von den Futuristen bis zur RAF. Bielefeld 2006.

Siegward Lönnendonker, Bernd Rabehl, Jochen Staadt: Die antiautoritäre Revolte. Der sozialistische deutsche Studentenbund nach der Trennung von der SPD. Bd. 1: 1960-1967. Wiesbaden 2002.

Ulrich Enzensberger: Die Jahre der Kommune 1. Berlin 1967-1969. Köln 2004.

Peter Szondi: Über eine "Freie (d.h. freie) Universität". Stellungnahmen eines Philologen. Frankfurt/M. 1973 (= edition suhrkamp 620).

Dietrich Thränhardt: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt/M. 1986 (= Neue Historische Bibliothek. Edition Suhrkamp. Neue Folge 267)