Reflexion über die Reflexion
Gießener Forscher beschreiben die "Metaisierung in Literatur und anderen Medien"
Von Jonas Engelmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas HerausgeberInnenkollektiv der Justus-Liebig-Universität Gießen, bestehend aus Janine Hauthal, Julijana Nadj, Ansgar Nünning und Henning Peters hat sich mit einer Tagung und dem dazugehörigen, jetzt vorliegenden Reader das Ziel gesetzt, die verschiedenen Formen und Funktionen metaisierender Verfahren zu beschreiben und einen systematischen Überblick über das Phänomen zu liefern. Also über das, was, wie sie anmerken, bislang unter so unterschiedlichen Begriffen wie "Autoreflexivität", "Selbstreflexion", "Selbstreferentialität", "Rückbezüglichkeit" oder "Potenzierung" zu umschreiben versucht wurde. Dieser terminologischen Uneindeutigkeit und der bislang unterbliebenen literatur- und medienwissenschaftlichen Aufarbeitung setzt der Reader einen Überblick über Vielfalt der Erscheinungsformen gattungs- und medienspezifischer Metaisierung und den Versuch, die "historischen und medialen Dimensionen der literarischen Selbstreflexivität zu erschließen", entgegen. Hier zeigt sich dann auch die Problematik des Projekts: Warum die Einführung eines neuen Begriffs und einer neuen Theorie, die bestimmte Tendenzen bündeln soll, wenn das Phänomen mit einem Begriff wie Selbstreflexivität bereits umrissen werden kann, wenn doch auch vor allem die HerausgeberInnen und AutorInnen selbst immer wieder auf diese Begrifflichkeit zurückgreifen?
Eine Antwort liefert Oliver Kohns in seinem sehr lesenswerten Beitrag über Metaisierungstendenzen im Werk Friedrich Schlegels. Hier wird deutlich, dass es um mehr geht als einfache Selbstreflexivität: "Der 'romantische' Text Schlegels ist in diesem Sinn nicht einfach selbstreflexiv, sondern er fragt nach der Möglichkeit der Reflexion ebenso wie nach der eines Selbst." Romantische Poesie im Sinne Schlegels ist nicht nur Poesie, sondern gleichzeitig ein Wissen über Poesie, eine Reflexion über die Reflexion. So kann Poesie nach Schlegel zu einem Spiegel der sie umgebenden Welt, ein Bild ihres Zeitalters werden.
Leider geht es nicht in allen Beiträgen um eine umfassendere Einordnung der Begrifflichkeit und vor allem des Sinns einer solchen Systematisierung. Es geht einzig und allein um letztere, mit dem Ziel, die Funktionspotenziale der Metaisierung zu erforschen. Dabei heben die HerausgeberInnen drei Möglichkeiten hervor: Zunächst die Unterscheidung von verschiedenen Spielarten nach den (Haupt-)Gattungen oder nach den Erscheinungsorten von Metaisierung wie Medien oder, zum zweiten nach Inhalten oder Gegenstandsbereichen und zuletzt über die Analyse des Funktionspotentials.
Die Aufgabe der Systematisierung übernimmt Werner Wolf in seinem Beitrag. "Metaisierung bedeutet im Kontext der Literatur und anderer Medien das Einziehen einer Metaebene in ein Werk, eine Gattung oder ein Medium, von der aus metareferentiell auf Elemente oder Aspekte eben dieses Werkes, dieser Gattung oder dieses Mediums als solches rekurriert wird. Dies geschieht in Form ausdrücklicher oder wenigstens angedeuteter (rationaler) Aussagen, Kommentare usw., die ein Medien- bzw. Literaturbewusstsein voraussetzen."
Wolf beschreibt Metaisierung als ein transgenerisches und transmediales Phänomen, das im Einziehen einer Metaebene in ein semiotisches System besteht, von der aus die Metareferenz erfolgt. Im Folgenden definiert er die unterschiedlichen Begrifflichkeiten wie Selbstreferenz, Metareferenz, Selbstreflexivität, Metaelement oder Metagattung. Wolf betont, dass diese Differenzierung dringend nötig sei: "In literaturwissenschaftlichen Darstellungen, insbesondere zur Metafiktion postmodernen Erzählens, wird mitunter der Eindruck erweckt, als ob alle Metareferenz die Fiktionalität und/oder den Artefaktcharakter kritisch bloßlegen wolle und so insbesondere die Glaubhaftigkeit des Erzählten und damit auch die ästhetische Illusion zerstören solle. Dass dies eine grobe Verkürzung darstellt, zeigt sich bereits, wenn man an die vor allem im 18. und 19. Jahrhundert verbreiteten Authentizitätsfiktionen denkt, mit deren Hilfe Romangeschehen zu 'wahren Begebenheiten' stilisiert wurde." Es geht also nicht per se um eine Kritik des Erzählten, sondern unter Umständen um seine Affirmation als wahr und daher lesenswert. Daher ist zu unterscheiden zwischen kritischer und nicht kritischer Metafiktion.
Im Vorwort beschreiben die HerausgeberInnen Metaisierung als "Motor" der Gattungsentwicklung, und wenn man sich Kohns Artikel betrachtet, leuchtet dies auch durchaus ein. Leider bleibt der Reader insgesamt etwas hinter den selbst gesteckten Zielen zurück, man vermisst das Mehr als nur eine Ansammlung von überarbeiteten Vorträgen zu unterschiedlichen Werken und Disziplinen.
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