Die Zelle der zweisamen Einsamkeit

Jens Wonneberger erzählt in seinem Roman "Die Pflaumenallee" von Chancenlosigkeit und zerplatzten Jugendträumen

Von Maria HuhnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maria Huhn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Zwei Männer auf einer Bank und eine Flasche Himbeergeist, in Wahrheit ist das die kleinste Zelle der Gesellschaft." Die Häftlinge in dieser imaginären Monade sind zwei am Leben zerschellte Existenzen: Bergheimer und sein Klassenkamerad. Den jeweiligen Schicksalsschlag, der sie zum Straucheln und schließlich zu Fall brachte, versuchen sie auf unterschiedliche Art und Weise zu verarbeiten - der eine schweigend, der andere, indem er die ganze Welt beschuldigt. Aber beide nehmen dieselbe Medizin dagegen ein und zwar regelmäßig und in überhöhter Dosis: Alkohol.

Jeden Abend treffen sie sich auf einer Bank, um aus der Monotonie ihres Daseins für wenige Stunden auszubrechen und ihre depressive Verzweiflung in Bier und Schnaps zu ertränken. Doch sie brechen dadurch die Zelle des unbefriedigenden und verwünschten Alltagslebens nur auf, um sich in eine andere, die Ausgeschlossenheit aus der Gesellschaft, zu flüchten. Dort fühlen sich Bergheimer und der namenlose Erzähler sicher. Hier können sie ihre perspektiv- und chancenlose Existenz für kurze Zeit - für die Lebensdauer einer Rotweinflasche - vergessen und ihren Träumen nachhängen oder sich an ihre gemeinsame Vergangenheit als Schüler in der Pflaumenallee erinnern.

Es ist überhaupt kaum zwei Wochen her, dass Bergheimer seinen alten Klassenkameraden auf der Straße getroffen hat - ein Zufall oder sind die beiden einfach dazu bestimmt, sich einander in ihrer Einsamkeit beizustehen, ohne diese in Zweisamkeit zu überwinden? Bergheimer jedenfalls misstraut allen, er ist überzeugt: "Ein vertrautes Gesicht wiege uns in Sicherheit und könne uns um so mehr erschrecken, dann nämlich, wenn sich hinter der vertrauten Maske plötzlich und unerwartet das wahre Gesicht offenbare."

Die Themen Bergheimers, die er vortragsartig referiert, reichen vom Alltäglichen bis zum großen Weltgeschehen so weit, bis sie wieder in sich zusammen- und auf den Redner zurück fallen.

Der erste Schritt ins Verhängnis wurde Bergheimer schon in einem Alter aufgezwungen, als er selbst kaum laufen konnte: seine Mutter schob ihn nach der Scheidung zu seinen Großeltern ab. Dieses Trauma konnte Bergheimer nie überwinden. Er fasste nirgendwo Fuß und verliert den linken sogar, als er auf einer der regelmäßigen Reisen zu seiner Mutter unter einen Zugwaggon gerät. Seitdem hat er ein Holzbein. Aber "selbst er als Krüppel habe noch einen Rest Ehre", sagt er, - und diese Ehre nutzt er, um den Rest der Welt zu richten.

Ganz im Gegenteil zu seinem Klassenkameraden, der eine andere Geschichte hat. Denn die Beziehung zu Birgit, seiner Ex-Freundin, glich "eher eine[r] politische[n] Zelle" als eines Liebespaares. Birgit engte den introvertierten Mann, der durch seinen dominant gewaltsamen Vater so geprägt wurde, derart ein, dass die Beziehung zerbrach.

Die beiden Männer sind von ihrer Weltverlorenheit gefesselt, und gefangen in ihren zerplatzen Kinderträumen aus der Pflaumenallee. Am Ende sprengt ein einziger Entschluss die Zellentür für immer - "Machen wir Schluß für heute, es reicht."

Jens Wonneberger zeichnet in "Die Pflaumenallee" das Leben gescheiterter Menschen als ein ausbruchssicheres Gefängnis nach, in dem man nur von einer Zelle in die nächste wechseln kann, aber niemals die Freiheit erlangt. Die Last und Depression der beiden Protagonisten überträt sich durch die feinfühlige Schilderung auch auf den Leser.


Titelbild

Jens Wonneberger: Die Pflaumenallee. Roman.
Steidl Verlag, Göttingen 2006.
189 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3865213324

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