Europäische Dimensionen des islamistischen Antisemitismus

Wolfgang Benz und Juliane Wetzel fragen in dem Sammelband "Antisemitismus und radikaler Islamismus" nach dem Reimport des Antisemitismus in die europäischen Zuwanderergesellschaften durch radikale Islamisten

Von Achim SaupeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Achim Saupe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Berliner Institut für Antisemitismusforschung beschäftigt sich in einem neuen, von Wolfgang Benz und Juliane Wetzel herausgegebenen Sammelband mit dem historisch-politischen Zusammenhang von Antisemitismus und radikalem Islamismus. Dass der islamistische Antisemitismus keineswegs genuin, sondern ein europäisch-deutscher Ideologieexport ist, kann als Konsens der hier präsentierten Forschungsberichte bezeichnet werden. Doch in Frage steht, ob der islamistisch-arabische Antisemitismus eine neue Qualität gewonnen hat und wie sich die europäischen Einwanderungsgesellschaften gegen diesen sowohl tradierten als auch neuen Antisemitismus innenpolitisch und im Rahmen der internationalen Politik zur Wehr setzen können.

In der Diskussion über den Zusammenhang von radikalem Islamismus und Antisemitismus sind vor allem die feinen begrifflichen Differenzierungen wichtig. So gibt es etwa gute Gründe, von einem "islamisierten Antisemitismus" statt von einem "islamischen Antisemitismus" zu sprechen (Michael Kiefer), da damit die Kontinuitäten zur christlichen Judenfeindschaft und zu rassistisch-antisemitischen Verschwörungs- und Vernichtungsideologien des späten 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts betont werden. Bassam Tibi befreit den Islam vor dem irrigen Generalverdacht des Antisemitismus und verortet im djihadistischen Islamismus den zentralen Ort eines neuen Antisemitismus, den er bis zur Gründung der Muslim-Bruderschaft 1928 zurückverfolgt. Dabei macht er die Instrumentalisierung des Antisemitismus im Rahmen politischer Konflikte deutlich, so dass der Antisemitismus im radikalen Islamismus weniger als Ausdrucks-, sondern als eine Verschleierungsideologie entziffert werden kann. Ob die von ihm geführten Angriffe gegen einen kulturrelativistischen, zivilisationsmüden und postmodernen westeuropäischen Zeitgeist gerechtfertigt sind, der nicht gewillt sei, für einen konsequenten Schutz der Menschenrechte, dem Schutz von Juden und Israel einzutreten, ist allerdings äußerst fragwürdig.

Während Herbert L. Müller zeigt, dass die islamistischen Antisemiten die "judenfeindliche Disposition" religiöser Grundlagentexte für ihre Zwecke verstärken, wird an anderen Stellen des Sammelbandes deutlich, dass der islamistische Antisemitismus keinesfalls nur im Zusammenhang der Religion, sondern vielmehr im Rahmen verschiedener arabischer Nationalismen gesehen werden muss. So zeichnet Jochen Müller einen arabisch-nationalistischen Opfermythos nach, der durch die Beschwörung vergangener arabischer Größe konterkariert wird. Während die aktuelle politische Situation, insbesondere der Nahost- und Palästina-Konflikt, als Ausdruck der Schwäche, Kränkung und Demütigung stilisiert wird, formuliert man den komplementären Wunsch nach einer neuen, starken Gemeinschaft in einer panarabischen, religiösen und antiimperialistischen Befreiungsrhetorik, in welcher der Antisemitismus zum wiederkehrenden Bestandteil zählt. Wie im Rahmen dieses "Islamo-Nationalismus" der Antisemitismus eine neue bedrohliche Aktualität gewinnt, zeigt sich auch an der iranischen Politik unter Ahmadinedschad, die von Henner Fürtig in die Politik seit der iranischen Revolution eingebettet wird.

In weiteren Forschungsberichten über den arabischen und muslimischen Antisemitismus in den Niederlanden und Schweden, in einer Studie über die Bündnisse zwischen der britischen Neonaziszene und radikalisierten britischen Muslimen, und auch in einem Artikel über eine Projektinitiative in Berlin zur Bekämpfung des Antisemitismus wird die europäische Perspektive des Problems deutlich gemacht. Eine kritische Bilanz der Bekämpfung des Antisemitismus durch internationale Initiativen und Organisationen zieht schließlich die Mitherausgeberin Juliane Wetzel. Sie zeichnet die Bemühungen der internationalen Politik, insbesondere der OSZE und der Europäischen Union seit der Jahrtausendwende nach, den Antisemitismus zu ächten und hebt dabei hervor, wie wichtig es ist, dass in den Zuwanderergesellschaften differenziert beobachtet werden muss, inwieweit sich dieser so genannte "sekundäre" europäische Antisemitismus im Zusammenspiel mit dem neuen islamistischen Antisemitismus wiederum verstärken kann.

Sicherlich wäre es für den Leser gut gewesen, wenn in einem Überblick noch einmal deutlicher die aktuellen Forschungsdebatten zum Problemfeld summarisch nachgezeichnet worden wären. Doch hätte dies wahrscheinlich dem Ziel des Bandes, auf den Reimport des islamisierten Antisemitismus nach Europa aufmerksam zu machen, ein anderes Gewicht gegeben. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage, ob nicht gerade die Verknüpfung einer umfassenden Rassenideologie mit einem nationalistisch motivierten und religiös geprägten Antisemitismus die Ideologie des Nationalsozialismus deutlicher vom islamisierten Antisemitismus unterscheidet, als dies die Autoren insgesamt sehen. Auch Götz Nordbruch, der die Beziehungen zwischen Nationalsozialismus und arabischer Welt nachzeichnet, geht auf diesem Punkt nicht weiter ein. Aber er macht darauf aufmerksam, dass die Auseinandersetzung in der arabisch-muslimischen Welt mit dem Nationalsozialismus, die in den 1930er-Jahren begann, keineswegs die Anfälligkeit derselben für autoritäres und antisemitisches Denken zeigt, sondern auch Ansätze zu dessen Überwindung bot.

So bietet der insgesamt differenziert argumentierende Sammelband neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Antisemitismus und radikalem Islamismus, über historische Grundlagen und die aktuellen Gefahren einer Rückwirkung auf Europa.


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Wolfgang Benz / Juliane Wetzel (Hg.): Antisemitismus und radikaler Islamismus. Antisemitismus: Geschichte und Strukturen.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2007.
218 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3898617149

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