Deutsch - hierzulande und anderswo
Jutta Limbachs verstreute Bemerkungen zur deutschen Sprache
Von Gerhard Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDieses Büchlein ist keine germanistische beziehungsweise sprachwissenschaftliche Abhandlung, sondern ein Essay zu aktuellen Fragen des Deutschen, verfasst von Jutta Limbach, vormals Berliner Senatorin, von 1994 bis 2002 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, später Präsidentin des Goethe-Instituts. Ihre Verdienste in dieser Funktion wurden in einer Verlautbarung des Auswärtigen Amtes bei ihrer Verabschiedung am 31. März 2008 so resümiert: "Die Zusammenarbeit von Auswärtigem Amt und Goethe-Institut war in den letzten Jahren sehr erfolgreich. Nach einer Zeit der Einschnitte und Kürzungen seit Mitte der 90er Jahre ist es gelungen, mit einem gemeinsamen Reformkonzept die Zukunft des Goethe-Instituts neu zu gestalten. In Limbachs Amtszeit fielen die Eröffnung eines Goethe-Lesesaals in Pyöngyang (Nordkorea) und die Wiedereröffnung des Instituts in Kabul, die Partnerschaft bei verschiedenen Kulturjahren (zuletzt ,Deutschland in China'), und schließlich ,die Wiederentdeckung der Sprachvermittlung als eine der zentralen Aufgaben des Goethe-Instituts' (Steinmeier)."
Als Motto hat Limbach ihrer Schrift vorangestellt: "Dieses Buch ist als ein bescheidener Dank für das schönste Ehrenamt gedacht, das die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat." Entsprechende Schlüsse darf man ziehen.
Jutta Limbach hat ihre Ausführungen in sechs Kapitel gegliedert. Im ersten schlägt sie gleich den hohen Ton an, der ihre Darstellung ins Grundsätzliche führen und der traditionellen Hochkultur verpflichten soll: Detailkritik und fachliche Einwände mögen unterbleiben (Karl-Heinz Göttert hat mit Recht von "Einschüchterung per Autorität" gesprochen). "Babylon - eine Strafe oder eine Chance?", so nennt sie das erste Kapitel. Hier verweist die Autorin auf das von der EU ausgerufene Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs (2008) und das Unionsziel der Mehrsprachigkeit, wofür eigens ein Kommissar eingesetzt worden sei - und unter diesem Aspekt wird ihre Veröffentlichung, die meistenteils bildungsbürgerlich wolkig bleibt, konkreter und greifbar.
Das Kapitel über die Muttersprache versammelt, man verzeihe die Drastik, eine Reihe von Assoziationen zur Sprache generell und zur Situation der deutschen Gegenwartssprache, die kaum mehr sind als schale Versatzstücke einer Feiertagsrhetorik. So heißt es etwa unter der Zwischenüberschrift "Die Muttersprache als geistig-seelische Heimat": "Die erste Seele gewinnt der junge Mensch mit dem Erlernen der Muttersprache. [...] Über die Sprache erfährt der Mensch seine Möglichkeiten und seine Grenzen." Gegenwärtige sprachpflegerische Bemühungen werden als "Versuche linguistischer Kammerjäger" und Zeichen "kulturpessimistischen Jammerns" abgetan, insbesondere die Anglizismenkritik; zugleich aber (es zeigt sich ein nicht bewältigter Widerspruch) werden Wörter wie relaxen und downloaden (beides doch harmlose Neologismen) als "sprachliche Ärgernisse" getadelt, und Limbach kommt den von ihr abgekanzelten Puristen im Grunde entgegen: "Und in der Tat treibt die zum Teil hausgemachte Produktion von Anglizismen mitunter kuriose Blüten."
Einigermaßen konsistent ist hier wenigstens der Abschnitt über "Sprache und Staat - Deutsch ins Grundgesetz?" Als erfahrene Richterin führt sie aus: "Wer einmal berufsmäßig die Tausende beim Bundesverfassungsgericht eingehenden Beschwerden gesehen hat, dem kann angesichts des Eifers der Sprachpuristen angst und bange werden." Sie verneint die jüngst wiederholte Anregung ("zeugt nur von Kleinmut"), der deutschen Sprache Verfassungsrang einzuräumen.
Ihre Ausführungen über "Das Deutsche in einer offenen Weltgesellschaft" streifen verschiedene Fragen (Sprachpolitik, Migration, die deutsche Geschichte, die "68er-Generation") und bleiben ebenfalls rhapsodisch und vage. Klar wenigstens ist folgende Aussage: "Doch die bittere Erfahrung, die Millionen von Menschen mit deutschem Vormachtsstreben gemacht haben, sollte nach wie vor die Methodenwahl und Tonart unserer Sprachpolitik leiten." Die Politikerin und Kulturfunktionärin erkennt man an Sätzen wie diesen: "Was die Franzosen dürfen, nämlich La Grande Nation spielen, steht uns Deutschen wegen Auschwitz nicht gut an. Gleichwohl ist es legitim, das Lehren der deutschen Sprache zu einem vorrangigen Ziel der auswärtigen Kultur- und Bildungsarbeit zu machen."
Limbach lehnt eine "Deutschpflicht" im Hinblick auf eine sogenannte "Pausensprache" ab und plädiert für "freie Übereinkunft". Zustimmung dürfte und sollte die These erfahren, zugewanderte Minderheiten darin zu unterstützen, ihr kulturelles Erbe und ihr Sprache zu pflegen. Parallel gelte es, dass vor allem den Kindern aus zugewanderten Familien helfen würde, wenn die Lehrerinnen und Lehrer der Vor- und Grundschule ihrer Sprache mächtig wären. "Das Erlernen der türkischen Sprache [...] sollte mit Prämien oder einer höheren Gehaltsgruppe honoriert werden", so Limbach.
Man bemerkt, nebenbei, wiederum, dass hier keine Sprachwissenschaftlerin, sondern eine politisch aktive Juristin spricht. Was beileibe kein prinzipieller Einwand sein soll. Natürlich darf Limbach das, und ihr Essay darf auch allgemeines Interesse beanspruchen, denn die von ihr angesprochenen Themen sind aktuell und diskussionswürdig. Zur Sprache darf sich jeder äußern. Immerhin wäre zu überlegen, was passierte, sollten sich Germanisten zu Fragen der Jurisprudenz, Medizin oder Chemie öffentlich vernehmen lassen.
Das längere Kapitel über "Deutsch als Fremdsprache" ist, wie eingangs angedeutet, konsistent und lesenswert; es stellt auch das Herzstück des Büchleins dar. Allerdings ist der erste Satz merkwürdig und fraglich: "Der Traum von der Weltsprache ist für die deutsche Sprache ausgeträumt." Wer hätte ihn denn, zumindest in den letzten Jahrzehnten, ernsthaft geträumt? Gegen wen argumentiert Limbach an? Immerhin, Limbachs Eintreten für Mehrsprachigkeit innerhalb der EU und ihr Plädoyer für die "persönliche Adoptivsprache", also einer Sprache, die nicht Muttersprache und internationale Verkehrssprache ist und aus freien Stücken gelernt wird, sind plausibel. Freilich bleibt der Schluß offen : "Was immer dessen [= des europäischen Sprachenregimes] Ergebnis sein wird - drei, vier oder fünf Arbeitssprachen -, das Europa der Zukunft wird nicht einsprachig sein. Bei der Abwehr einer sprachlichen Monokultur kommt Deutschland und Frankreich eine besondere Rolle zu. [...] Es gilt Fantasie zu entwickeln, wie sichergestellt werden kann, dass auch die Sprachen lebendig bleiben, die nicht in den Genuss kommen, Arbeitssprache des vereinten Europas zu sein."
Das letzte Kapitel darf getrost überblättert werden. Wie in den Einführungsabschnitten sind hier kaum mehr als leere Phrasen zum "geschätzten Kulturgut" im Allgemeinen und im Besonderen niedergelegt, etwa die überaus lehrreiche Bemerkung: "Aus Österreich und der Schweiz stammen viele große Werke der deutschsprachigen Weltliteratur. Hier sei nur auf Robert Musil und Gottfried Keller verwiesen."
Zudem zeigt das Buch etliche fachliche Mängel und Inkorrektheiten. So wird "Denglisch" umstandslos mit "Chinglish, Hinglish, Singlish, Spanglish" gleichgesetzt; Johann Gottfried Herder wird mit der Romantik in einem Atemzug genannt; es ist indiskutabel, in einem Text zum gegenwärtigen Deutsch einen Ausdruck wie Globalisierung als "Wortungetüm" zu apostrophieren. Sprachreinheitsbestrebungen werden erst für das Ende des 18. Jahrhunderts angesetzt, oft werden Autoren, die sie zitiert, im Literaturverzeichnis, das es immerhin gibt, nicht vermerkt; die Ausführungen zur Rechtschreibreform sind unvollständig und irreführend. Offenbar gab es kein sachkundiges Lektorat. Immerhin erfährt man, wie man heute korrekt "gendert": Man kombiniere "jedermann und jede Frau" und schreibe, werden Beispiele benötigt, "die Dichter und Denkerinnen, die Künstler und Journalistinnen", "Wirtschaftskapitäne und Urlauberinnen".
Jutta Limbachs Essay wurde von der FAZ in ihrem Online-Lesesaal vorgestellt und erfuhr dabei weitgehend freundliche Zustimmung. Auch Sprachwissenschaftler wie Martin Gauger, Helmut Glück, Karl-Heinz Göttert, Jürgen Schiewe und Jürgen Trabant meldeten sich zu Wort. Das Büchlein wurde indessen weniger als sprachwissenschaftliche Facharbeit wahrgenommen denn als Beitrag einer prominenten Autorin zu aktuellen Fragen der Sprach- und Sprachenpolitik. Zur Rolle des Deutschen als Wissenschaftssprache hat sich insbesondere Helmut Glück geäußert (so etwa in der FAZ vom 25. 4. 2008). Als neuere linguistisch verpflichtete Publikation muss Jürgen Trabants Buch "Was ist Sprache?" (München 2008) herangezogen werden. Den kritischen Rezensionen Thomas Steinfelds ("Süddeutsche Zeitung", 27. Mai 2008) und Theodor Icklers (siehe unter www.sprachforschung.org vom 3. Juli. 2008) vermag man sich eher anzuschließen.
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