Kosmos Kersko

In Bohumil Hrabals "Romanen" findet sich jene melancholische Sinnlichkeit, die für die tschechische Literatur kennzeichend sind

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer Sonderausgabe legt der Suhrkamp Verlag die zehn wichtigsten Romane von Bohumil Hrabal (1914-1997) vor. Vereint sind in diesem fulminanten Band somit auch die wichtigsten Hrabal-Übersetzer - von Franz Peter Künzel, der Hrabal in den 1960er-Jahren für den deutschen Leser entdeckt hatte, über Karl-Heinz Jähn und Peter Sacher bis hin zur viel zu früh verstorbenen Susanna Roth.

In Bohumil Hrabals Romanen wurden immer wieder autobiografisch entlehnte Lebensabschnitte erzählt - Kindheit und Jugend aber auch Phasen der späteren Jahre. So erfährt der Leser in "Hochzeiten im Haus", wie ein erfolglos schriftstellernder Sonderling seine zukünftige Frau kennen lernt und wie es zur Hochzeit kommt. Das junge Paar bestreitet seinen Alltag und gleich auf den ersten Seiten wird aus dem Schubladendichter ein richtiger Schriftsteller mit erfolgreichen Veröffentlichungen.

Doch Spannungen bleiben nicht aus und Ehefrau Eliška stößt auch auf persönliche Schwächen und Ängste ihres Mannes. Einen breiten Raum nehmen dabei seine Schwierigkeiten mit dem Schreiben ein und der frischgebackene Schriftsteller doziert, was er gerne und oft tut, seiner Frau, "daß das Schreiben eigentlich nicht besonders schwierig sei daß man dazu nicht mehr brauche als diese gewisse Frechheit diesen Entschluß die ersten Zeilen zu schreiben danach laufe alles wie am Schnürchen als trenne man einen alten Pullover auf".

In Hrabals Roman wird das Licht eingefangen, das am Vormittag in die Prager Vorstadtkneipen fällt. Die Gerüche des Bieres und der gebratenen Stücke Schweinefleisch drängen aus den Seiten in die Nase des Lesers. Hrabal wusste von der geheimnisvollen Kraft alles Atmosphärischen. Er war immer dann stark, wenn er sich dieser Magie hingab, sich von ihr willenlos an die Hand nehmen ließ. Hrabals Romane inszenieren einen lebenshungrigen Vitalismus, der für die tschechische Literatur kennzeichnend ist. Die sinnliche Zugewandtheit zur Welt verdrängt dabei tragische Momente nicht.

Im Roman "Ich dachte an die goldenen Zeiten" spielen sich die Handlungen nicht nur in Prager Kneipen und Hinterhöfe ab, sondern auch in Kersko, eine kleine Siedlung außerhalb von Prag, in welcher sich das Paar ein kleines Wochenendhäuschen gekauft hat. Der Ehemann ist verliebt in diesen Wald bei Kersko. Stundenlang durchstreift er die Gegend, betrachtet die Landschaft und besucht die eine oder andere Kneipe, am liebsten die Hájenka.

Auffallend an diesem Roman ist, dass parallel zu Hrabals Werdegang und seiner Ehe auch der politische Hintergrund der böhmischen Heimat aufscheint. In keinem anderen Roman von Hrabal werden so viele authentische Namen und Figuren aufgeführt. Und dabei handelt es sich nicht nur um Schriftstellerfreunde wie Jan Zábrana, Karel Pecka oder den Begründer des Explosionalismus, den Graphiker Vladimír Boudník, der bereits in anderen Büchern seinen Platz gefunden hat. Auch Schriftsteller wie Eduard Goldstücker, Pavel Kohout oder Heinrich Böll, mit dem Hrabal den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968 in Prag gemeinsam erlebt hat, werden erwähnt.

Hrabal, der Prager Wirtshausgänger, der Plauderer, der "Champion, die Nummer eins" und sein Kosmos in Kersko - sie legen die Welt fest. Makaberer Höhepunkt ist eine Geburtstagsfeier Hrabals in der Kneipe Hájenka bei Kersko. Geächtete Schriftsteller, Philosophen und ehemalige Reformpolitiker hatten sich in der kleinen Waldwirtschaft eingefunden. Am peinlichsten war es Hrabal selbst, als ein überfallartiges Polizeikommando die fröhliche Runde auflöste. Nur die Ehefrau frohlockt: "Und ich war nicht unglücklich, im Gegenteil, ich war froh, daß alles in der Hájenka so war, wie es war, weil ich jetzt sah, daß mein Mann gelogen hatte, als er behauptet hatte, er würde die Wahrheit sagen und danach handeln, wie teuer er auch dafür bezahlen müßte".

Zum Abschluss ist Hrabals autobiografische Selbstbeschreibung "Wer ich bin" abgedruckt. Ein fulminanter Text, eine explosionsartige Bekenntnis-Litanei, überschäumend und angenehm betäubend wie ein von Hrabal geliebtes frisch gezapftes zwölfgradiges Bier. Aus selbstbespiegelnden Betrachtungen werden Rückschlüsse gezogen, Zusammenhänge erstellt. Vor den Augen des Lesers entwickeln sich faszinierende und betörende Kreise angenehmen Geplauders über Gott und die Welt.

Und niemals vergisst der Erzähler, dass es sich doch letztlich immer nur um ihn handelt, von dem da erzählt wird: "Nun sitze ich im Goldenen Tiger, ich lächle, diesen langen Augenblick lang habe ich niemanden gehört, als hätte ich in einem stillen Wald gesessen, denn ich bin durch die Kneipen meines Lebens zurückgewandert bis in diese erste Kneipe auf dem Land bei Nymburg".


Titelbild

Bohumil Hrabal: Die Romane.
Mit einem Nachwort von Werner Fritsch.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Karl-Heinz Jähn, Susanna Roth u.a.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
1360 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783518420034

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