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Über Beatrice von Matts "Frauen schreiben die Schweiz"

Von Mirja StöckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mirja Stöcker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beatrice von Matt erzählt eine Geschichte. Sie erzählt ein Stück Gegenwartsliteratur, ein Stück deutschsprachige Literatur von Autorinnen, die in einem Lebenszusammenhang mit der Schweiz stehen. Die Schweiz meint hier nicht "eine Nation, sondern ein Lebensgebiet zu einer bestimmten Zeit, eines mit bestimmten Färbungen und Mentalitäten". Dieses Umfeld schreibt immer mit, es wirkt sich auf die Sprache aus. Frauen schreiben also "die Schweiz, wenn sie Beziehungen schildern, Betriebe, Dörfer, Städte, Landschaften, mehr noch, wenn Seelenbilder zu Wortbildern werden, wenn Phantasien, Wünsche, Ängste eine Sprache finden."

Alles in diesem Buch, das aus von Matts langjähriger Arbeit als Literaturkritikerin bei der "Neuen Zürcher Zeitung" entstand, dreht sich um Phänomene der Literatur der letzten 25 Jahre. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass diese anders erscheinen, wenn sie von Frauen geschaffen sind. Dies ist besonders in den siebziger Jahren der Fall, zumal die Frauen in der Schweiz erst 1971 ihr Stimmrecht bekommen haben. Es berücksichtigt außerdem, dass weibliche Biographien immer noch anders aussehen als männliche, dass sie häufig noch "gebrochene Biographien" sind. Von der sogenannten "Frauenliteratur" oder dem "Frauenbuch" grenzt sich von Matt jedoch entschieden ab. Ihre "Geschichte" will sie in einem bestimmten Kontext verstanden wissen: Sie verdeutlicht, wie sowohl Schweizer Pionierinnen wie Regina Ullmann oder Cécile Ines Loos als auch Autorinnen der DDR wie Christa Wolf oder Schriftstellerinnen Österreichs wie Elfriede Jelinek Einfluss auf die Entwicklung der Schweizer Literatur seit den siebziger Jahren genommen haben. Einen besonderen Stellenwert räumt die Autorin hier zu Recht Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" ein, der - zwar damals verkannnt - dennoch nachhaltig auch die Schweizer Autorinnen prägte. Die internationale Frauenbewegung und insbesondere französische Theoretikerinnen wie Luce Irigaray, Julia Kristeva und Hélène Cixous beeinflussten die schreibenden Frauen ebenfalls.

Die Autorinnen und ihre Texte werden kontextorientiert vorgestellt und ausführlich zitiert. Fragestellungen, Problemkonstanten und Textmerkmale gliedern das Buch und ermöglichen gleichzeitig die zeitliche Orientierung, ohne trocken und starr chronologisch zu erscheinen. So kristallisieren sich die siebziger Jahre insgesamt als Aufbruchsphase heraus, als eine Zeit der Suche nach weiblichen Lebensorten. Gertrud Leutenegger mit ihrem Roman "Vorabend" hebt von Matt in diesem Zusammenhang besonders hervor. In den achtziger Jahren werden die Töne selbstgewisser. Autorinnen wie Erica Pedretti und Laure Wyss wenden sich nun auch geschichtlichen Frauenfiguren zu. "Traum und Debakel", so von Matt, kennzeichnen die jungen Autorinnen der neunziger Jahre, die der Generation der Mütter den Prozeß machen. Sprachlosigkeit und Geschichtenlosigkeit seien zentrale Begriffe, die die Literatur der in den sechziger und siebziger Jahren geborenen Schriftstellerinnen wie Zoë Jenny und Ruth Schweikert charakterisieren.

Die Auswahl dieser exemplarischen Stimmen ermöglicht einen ausgewogenen und informativen Überblick über die letzten Jahrzehnte weiblichen Schreibens in der Schweiz und ermuntert darüber hinaus zum Lesen. Lektüreanregend besonders für diejenigen Leserinnen und Leser, denen die Schweizer Autorinnen weitestgehend unbekannt sind, ist auch die Sammlung von Kritiken, Portraits und Gesprächen im letzten Drittel des Buches, die vor allem Beiträge aus den achtziger und neunziger Jahren umfasst.

Titelbild

Beatrice von Matt: Frauen schreiben die Schweiz.
Huber Verlag, Stuttgart 1998.
246 Seiten, 22,40 EUR.
ISBN-10: 3719311627

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