Posen, Akte, Gesten

Eine Festschrift zu Ehren Wendelin Schmidt-Denglers untersucht die Intermedialität der Wiener Gruppe

Von Sigrid GaisreiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sigrid Gaisreiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2007 war es soweit, zum fünfzigsten Mal jährte sich die erste Veranstaltung von fünf Autoren, Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, die sich, seit der als "Monsterlesung" apostrophierten Aktion am 20.Juni1957, "Wiener Gruppe" nannte. Zum Jubiläum erschien eine Festschrift, die dem unlängst verstorbenen, herausragenden Kenner der österreichischen Literatur, Wendelin Schmidt-Dengler, gewidmet ist.

Die Relevanz einer Untersuchung, die über den unmittelbaren Anlass des Jubiläums hinausgeht, skizzieren die Herausgeber Juliane Vogel und Thomas Eder in der Einleitung. Bislang, so der Tenor, sei die Wiener Gruppe vor allem unter sprachkritischen Aspekten betrachtet worden, nun gelte es intermediale Bezüge (Stimme, Musik, Bilder) ebenso wie deren Auftrittsformen zu untersuchen. Die Stichworte hierzu sind Happening und Performance oder Performanz. In vier Kapiteln unternehmen verschiedene Beiträger, die am Ende des Bandes verzeichnet sind, Ausflüge unter den Aspekten "Auftritte", "Politische Konstellationen", "Stimme und Musik" und "Repertoire und Inventar".

Der zeitgeschichtliche Kontext spielt insofern eine Rolle, als es in Österreich, darauf hebt der Beiträger Michael Rohrwasser ab, zu einer Verschiebung politischer Kontroversen auf das Feld der Literatur kam und es daher dort zu "Lagerbildungen" und "Kampfansagen" kam. Österreich, das ist in diesem Zusammenhang nichts Neues, betrachtete sich als Opfer des Nationalsozialismus und überging eine eigene kritische Standortbestimmung beziehungsweise beanspruchte für sich ein "restauratives Monopol". Auch innerhalb der Wiener Gruppe kam es zu Auseinandersetzungen darüber, wie stark man sich ins Politische einmischen sollte. Rohrwasser geht diesem Konflikt detailliert nach.

Auch der zweite Beitrag dieser Sektion, geschrieben von Johann Sonnleitner, beginnt mit der Diagnose, auch die österreichische Nachkriegsliteratur sei vom "Großen Tabu", vom "kollektiven Schweigen über den Genozid geprägt", das erst "Anfang der sechziger Jahre aufgebrochen wird". Sonnleitner geht im Folgenden der Frage nach, wie sich die Texte der Wiener Gruppe in diesem Spannungsfeld von Tabu und Erinnerung verhalten.

Den Zusammenhang von Literatur und Musik in der Wiener Gruppe sieht der Autor Roland Innerhofer als eng an. Nicht nur gäbe es zahlreiche Chansons, sondern es werde in ihnen die Musik nicht der Sprache und ihrer Bedeutungsfunktion untergeordnet. Vielmehr verstärke sie den "Bruch mit konventionellen literarischen Signifikationsprozessen". Ferner gehe es auch um die Musikalität in den Sprechtexten. Sehr schön analysiert Innerhofer als Beispiel Gerhard Rühms Gedicht "gebet", das bar jeder Semantik sei. Im nächsten Beitrag von Bernhard Fetz gesellt sich zu Rühm noch Oswald Wiener, der sich in Ton und Text, so in "verbesserung von mitteleuropa", mit Stimme, Ton und Klang auseinandersetzte, ehe im nächsten Beitrag nochmals auf Rühm zurückgeschwenkt wird, der vielleicht wie kein zweiter der Gruppe den intensivsten medialen Grenzverkehr pflegte. Hier treffen sich visuelle Musik, auditive Texte, Lautgedichte, Bildgedichte, Lieder- und Lesebilder.

Ein starker Auftritt markiert 1957den Anfang, der neben der Grazer Autorenvereinigung, die in dieser Publikation als GAV auftritt, bekanntesten österreichischen Literaturgruppe. Sie brachte es im Rückblick von Konrad Bayer "auf einige poetische acte von grosser schönheit". Noch ehe sie so hieß, so Daniela Strigl, wollte die Wiener Gruppe den "Wirbel", die Provokation und das möglichst rasch. Das geht, hier waren sie ihrer Zeit voraus, am schnellsten über den öffentlichen Auftritt. "Theatralische Manifestation" nennt der von Strigl zitierte Theaterwissenschafler Ulf Birbaumer diese poetischen Akte, die als Fortsetzung der Literatur mit anderen Mitteln, als "zentrale Arbeiten" der Wiener Gruppe zu verstehen seien.

Die Leistungen der jungen Pioniere rückte insbesondere Peter Weibel in eine Nahbeziehung zum Konzeptualismus - Peter Weibel ist es denn auch, der eine Veröffentlichung anmahnt, die in der Lage sein solle, das "transgressive werk der wiener gruppe adäquat zu publizieren und in seiner ästhetischen und politischen bedeutung" zu erkennen. Es gehe Weibel, so Annegret Pelz in der vierten Abteilung, darum, die weniger bekannten visuellen Arbeiten und Aktionen der fünfziger Jahre der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, also die Aktionen dieser Gruppe von ihrer bildkünstlerischen Seite her zu präsentieren. Das scheint nicht einfach zu sein, die weiteren Ausführungen von Pelz gelten dem Für und Wider medialer Organisationsformen: Album, Mappe oder Buch. Der nächste Beitrag von Gisela Steinlechner geht nochmals zurück auf Los und präsentiert die kultur- und literarturgeschichtliche Lage im Österreich der 1950er-Jahre.

"wringe mut! bald ade" sagt Rühm, und so ging auch eine Tagung zur Wiener Gruppe zu Ende, wie man im Beitrag von Gisela Steinlechner erfährt. Wendelin Schmidt-Denglers Frage, wie quadratisch ein Roman sein könne, wurde vom Verlagshaus Zsolnay dahingehend beantwortet, dass es Achleitners Quadratroman 2007 neu auflegte. Auch zu Rühm gibt es, wenn nicht Neues, so doch eine Gesamtausgabe, die als gelbe Leinenbände beim Parthas Verlag erschienen sind. Damit wird der Versuch gemacht, Erfindungen zu inventarisieren, statt einem "ade" gibt es also ein Wiedersehen, zumindest mit Rühms Werk. Als Anregung, noch mehr zu tun, um Pose, Akt und Geste der Wiener zu untersuchen, ist der vorliegende Tagungsband gelungen.


Titelbild

Thomas Eder / Juliane Vogel (Hg.): verschiedene sätze treten auf. Die Wiener Gruppe in Aktion.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008.
262 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552054448

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