Ein mitteleuropäischer Intellektueller

Ein Band mit Gesprächen gibt Aufschlüsse über das ungewöhnliche Leben und Schicksal des Germanisten Eduard Goldstücker

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus der Politik heraushalten konnte sich der Professor für Germanistik Eduard Goldstücker (1913-2000) nie. Wiewohl er es sich einmal in seinem Leben fest vorgenommen hatte: nach seiner Haftzeit im stalinistischen Kerker. Im Zusammenhang mit den Schauprozessen in Böhmen wurde er 1951 zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Nur um Haaresbreite entging er dem Galgen. Rudolf Slanský, bis zu seiner Verhaftung Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, wurde prominentestes Opfer jener barbarischen Prozesse. Die Asche der Ermordeten wurden auf vereisten Landstraßen außerhalb Prags verstreut – ihr Andenken sollte ausgelöscht werden.

Dabei hatte Eduard Goldstücker den lupenreinen Werdegang eines jungen Kommunisten hinter sich. Noch in der Zeit der Masaryk-Republik trat er in die Kommunistische Partei ein und agierte als ein Funktionär, der mit Herz und Verstand an die gerechte Zukunft des Sozialismus glaubte.

Die Invasion der Nazi-Wehrmacht jedoch vereitelte die weitere Entfaltung einer freien böhmischen Entwicklung. Goldstückers Mutter und weitere Familienangehörige wurden nach Auschwitz deportiert und wahrscheinlich ermordet.

Unter abenteuerlichen Bedingungen konnte Goldstücker mit seiner Frau Marta über die polnische Grenze fliehen. Die Goldstückers überlebten den zweiten Weltkrieg im britischen Exil. Als erster Kommunist wurde Eduard Goldstücker Mitarbeiter in der tschechischen Exilregierung. Als der Krieg zu Ende war, brauchte ihn die Partei weiterhin und Goldstücker, den es eigentlich zur germanistischen Forschung trieb, stellte sich zur Verfügung. Er war der erste Botschafter, den die Tschechoslowakei in den neuen Staat Israel entsandte.

Das Horrorlabyrinth des stalinistischen Terrors unterbrach die Karriere des überzeugten Marxisten jäh. Jahre des Schreckens und der Erniedrigungen folgten. Goldstücker lernte die finstersten Abgründe des Sozialismus auf tschechoslowakischen Boden kennen. Und er begann in dieser harten Schule umzudenken. Nicht überstürzt, dafür umso konsequenter. Goldstücker tauschte den unreflektierten Glauben mit dem Gewissen als einziger Instanz, nach der er sich künftighin orientieren wollte.

Goldstücker erlebte die schleppenden Rehabilitierungsverfahren in den sechziger Jahren zunächst als Germanistik-Dozent an der Karls-Universität in Prag. Dort entfaltete er eine rege Aktivität, die weit über die Grenzen hinaus ihre Wirkung tat. Als Experte für die Prager Deutsche Literatur gelang es Goldstücker, im Jahr 1963 die berühmt gewordene „Kafka-Konferenz“ auf Schloß Liblice bei Prag einzuberufen. Undogmatische marxistische Germanisten, die sich mit dem offiziell verfemten Schriftsteller Franz Kafka beschäftigten, trafen zum Meinungsaustausch zusammen.

Der „Prager Frühling“ führte den Germanistik-Professor Goldstücker wieder in das Rampenlicht der Politik. Auf den legendären Massenversammlungen stellte sich Goldstücker, der inzwischen zum Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes gewählt worden war, den kritischen Fragen vor allem jugendlicher Zuhörer. Er wollte im Reformjahr 1968 wie so viele andere gebrannte Kinder dazu beitragen, dass sich die stalinistischen Verbrechen nie mehr wiederholen würden. Umso furchtbarer war die Enttäuschung, als bewaffnete Einheiten des „Warschauer Paktes“ das Reformexperiment gewaltsam beendeten.

Wieder einmal musste sich Goldstücker verbergen. Wenige Tage nach der Invasion erreichte er Österreich – sein zweites Exil begann. An der Universität Sussex in Brighton widmete sich Goldstücker nicht nur der akademischen Forschung, er ergriff auch unermüdlich das Wort für die unterdrückte Opposition in Mittel- und Osteuropa.

Die Bürgerrechtsbewegung „CHARTA 77“ wie auch die selbstbewusste Erhebung der polnischen Arbeiter auf der Danziger Lenin-Werft begrüßte Goldstücker als Bestätigung seiner Einschätzung: ein sozialistisches Regime, das auf Unfreiheit basiert, ist nicht lebensfähig. Aufgabe der Intellektuellen sei es, den Etikettenschwindel dieser Systeme aufzudecken.

Man kann nur ahnen, welche Genugtuung politische Emigranten wie Eduard Goldstücker erfuhren, als 1989 die mitteleuropäischen Sowjet-Satelliten zerbröselten. Die „samtene Revolution“ ermöglichte es auch Goldstücker, wieder nach Prag zurückzukehren. Doch auch in dieser neuen Situation ist Goldstücker sich treu geblieben. Unangepasst und eigenständig kritisiert er ebenso Entartungen marktwirtschaftlicher Umstellungen wie die Arroganz manch neureicher Kapitalstrategen.

Als Mahner vor Totalitarismus und Zynismus der Macht beschäftigte sich Goldstücker zuletzt mit verengter Wahrnehmung, sei sie national, politisch oder ideologisch motiviert. Die vorliegenden Gespräche aus den Jahren 1998 bis 2000 sind nicht nur spannend zu lesen, sondern erweisen sich als ungemein aktuell.

Titelbild

Eduard Goldstücker / Eduard Schreiber: „Von der Stunde der Hoffnung zur Stunde des Nichts“.
Arco Verlag, Wuppertal 2009.
226 Seiten, 0,00 EUR.
ISBN-13: 9783938375075

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