Der Blick aus der zweiten Reihe

Frank Witzel, Klaus Walter und Thomas Meinecke rekonstruieren „Die Bundesrepublik Deutschland“ aus ihrer Sicht

Von Kirsten ReimersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Reimers

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 2009 ballen sich die Jubiläen: 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Mauerfall. In zahlreichen staatstragenden Gedenkveranstaltungen werden diese allerorten gefeiert. Eine etwas andere Erinnerung bietet das Buch von Frank Witzel (Schriftsteller, Musiker, Illustrator), Klaus Walter (Radiomoderator, DJ, Journalist) und Thomas Meinecke (Schriftsteller, Musiker, Radio-DJ). Nach ihrem Gesprächsband „Plattenspieler“ aus dem Jahr 2005, in dem Pop die Weltdeutungsmatrix gab, ist es nun die Frage „Was bedeutet für uns BRD?“, die als Gegenstand der Unterhaltung der drei Männer Jahrgang 1955 dient.

Adenauer neben dem Rosenstrauch, Nazis unter den Lehrern, Günter Grass und der beleidigte Gestus, Franz Josef Strauß, Beate Klarsfeld, Kurt Kiesinger, Theodor W. Adorno, die Grünen, der Katholizismus, natürlich die RAF, ‘68, die Frage, wann Nacktheit von Befreiung zum Zwang mutierte, selbstverständlich Musik – die drei versuchen festzumachen, welche Bilder und Ereignisse, welche Erfahrungen und Gefühle sie mit der BRD verbinden. Im Vordergrund steht dabei der politische Blick, ein Generationengeplapper wie der Austausch über Spielzeug oder Fernsehserien soll – so Klaus Walter im Vorwort – vermieden werden. Er räumt aber selbst ein, dass das nicht immer gelingt. Das macht aber nichts, denn es ist nicht strukturbestimmend, leuchtet nur manchmal auf.

Es ist ein Blick aus der zweiten Reihe, wie die Autoren selbst sagen: geboren Mitte der 1950er-Jahre, zu jung für ‘68, zu alt für Punk – immer darauf wartend, dass nun endlich ihre Ära kommt. Aus der beobachtenden Distanz entsteht so ein facettenreicheres Bild der BRD als bei den Jubelevents, was aber angesichts der Autoren auch kaum überrascht. Es ist ein privater und zugleich kollektiver Blick auf die politische Bewusstwerdung, eine Konstruktion von Identität durch die Erinnerung.

Immer mitgedacht wird dabei die Gesprächssituation als Produktionssituation. Die Versuchsanordnung ist dieselbe wie in „Plattenspieler“, so Walter im Vorwort: „Die Gespräche werden aufgezeichnet, abgeschrieben, gedruckt. Keine redaktionelle Bearbeitung. Weglassen ist erlaubt, Verschönern nicht.“ Neben Überlegungen zur Titelwahl und dem Ziel des Buches finden sich wiederholt Bemerkungen, dass das eben Gesagte ja wohl für die Buchrückseite gesprochen worden sei. Dadurch wird eine weitere Ebene, eine zusätzliche Reflexionsspur eingezogen; die ironische Distanz zum Gesprächsgegenstand wird vergrößert und das gesamte Projekt veruneigentlicht.

Herausgekommen ist ein sehr eigener Blick zurück. Manchmal etwas geschwätzig, manchmal etwas lustlos, mitunter auch ein wenig gezwungen – aber meist witzig, waghalsig, aufschlussreich und mehrbödig. Eine gute Ergänzung eben zum üblichen unkritisch-überzuckerten Erinnerungskitsch.

Titelbild

Frank Witzel / Klaus Walter / Thomas Meinecke: Die Bundesrepublik Deutschland.
Edition Nautilus, Hamburg 2009.
189 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783894016005

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