Literarischer Zusammenprall zweier Kulturwelten

Die belgische Erfolgsautorin Amélie Nothomb geht in „Der japanische Verletzte“ erneut höchst unterhaltsam auf autobiografische Spurensuche

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Bücher der belgischen Schriftstellerin Amélie Nothomb avancieren zusehends zum Garanten für eine Platzierung in internationalen Bestsellerlisten, ohne deshalb an literarischer Qualität einzubüßen. Die für Nothomb typische Mischung aus Anekdote, trockenem Humor und grotesk-ironischer Weltsicht findet sich auch in ihrem aktuellen Werk wieder und garantiert erneut unterhaltsame und intelligente Lektüre mit literarischem Niveau.

„Der japanische Verlobte“ ist als Gegenstück zum Roman „Mit Staunen und Zittern“ zu lesen und trägt wie alle Bücher der belgischen Erfolgsautorin stark autobiografische Züge. Beschreibt sie in „Mit Staunen und Zittern“ ihre katastrophalen Erlebnisse in der japanischen Arbeitswelt, so konzentriert sie sich in ihrem neuen Roman auf die privaten Turbulenzen rund um die Protagonistin Amélie. Die junge Belgierin kehrt Ende der 1980er-Jahre als 22-jährige in ihr Geburtsland Japan auf der Suche nach der idealisierten Welt ihrer Kindheit zurück. Um ihre finanzielle Lage und ihr Japanisch zu verbessern, beschließt sie privaten Französisch-Unterricht zu geben und findet auch sehr rasch in dem jungen Japaner Rinri einen aufmerksamen Schüler. Der Sprachunterricht wandelt sich aber rasch in eine Liebesbeziehung, deren Reiz vor allem in den kulturellen und gesellschaftspolitischen Unterschieden zwischen den Beiden wurzelt. Ist es für den jungen Japaner aus gutem Hause die ernsthafte große Liebe, so stehen für die belgische Studentin eher der nette Zeitvertreib und die faszinierenden Einblicke in die Traditionen und Sitten Japans im Vordergrund. Aus Angst vor zu großer menschlicher Nähe entzieht sie sich letztendlich der bevorstehenden Heirat durch eine überstürzte Rückreise nach Belgien.

Hinreißend komisch und höchst unterhaltsam widmet sich die Autorin den kulturellen Unterschieden zwischen dem ,alten Europa‘ und dem noch immer oft unbekannten ,fernen Osten‘. Neben interessanten Einblicken in die Gesellschaftspolitik Japans und die strengen familiären Hierarchien finden sich Szenen voll Witz und Skurrilität, wie etwa die Schwierigkeiten beim Verspeisen von Tintenfischen oder die Erklärung warum Japaner im Ausland immer in Gruppen reisen und von einem ,Fotografierzwang‘ befallen zu sein scheinen. Daneben gibt es aber auch wunderschöne stimmige Naturbeschreibungen wie die Besteigung des Berges Fuji oder appetitanregende Ausflüge in Japans kulinarische Geheimnisse. Das Buch liest sich sehr schnell, fast zu schnell, so rasant arbeitet sich Nothomb durch die autobiografischen Meilensteine im Leben der jungen Protagonistin. Man sollte den gerade einmal 163 Seiten starken Roman aber nochmals ruhig und in Etappen lesen – erst dann wird man sich der feineren Nuancen bewusst, die sich hinter so mancher derber Komik und purem Zynismus verbergen. Ein weiteres Puzzlestück in Nothombs autobiografischem Erzählwerk, das große Neugier auf ein weiteres weckt.

Titelbild

Amelie Nothomb: Der japanische Verlobte. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Große.
Diogenes Verlag, Zürich 2010.
162 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067460

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