Wider die Totengräber des Systems

Wolfgang Schorlaus politisches Aufklärungsstück „Das München-Komplott“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Wehrhaftigkeit der offenen Systeme gehört zu den Kernelementen ihres Selbstverständnisses und zieht ihre Legitimation aus den Überlegenheit gegenüber geschlossenen Systemen, etwa den großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Dennoch müssen solche Systeme mit einem Malus rechnen, nämlich mit ihrer vorgeblichen Schwäche. Mangele es ihnen notgedrungen doch an tatkräftigen und bedingungslosen Entscheidern (Politiker können diese Rolle eben nicht übernehmen, so heißt es), seien sie doch durch die parlamentarische Praxis gelähmt und würden sie doch durch den Legitimitätszwang in ihren Handlungsfreiräumen unzulässig eingeschränkt. Das hat zur Attraktivität unter anderem von totalitären Lösungen geführt, aber auch eben zu Versuchen, das System selbst auf Kosten seiner Eigenschaften zu retten, offene Systeme also durch klandestine Aktivitäten zu sichern, die notwendigerweise zu deutlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheiten, von Bewegungsspielräumen oder von Schutzräumen führt. Die bundesdeutschen Debatten über die online-Überwachung und die Suspendierung des Persönlichkeitsschutzes im Rahmen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus sind nur zwei jüngere Beispiele, in denen öffentlich um die Bewahrung oder Zerrüttung der sogenannten freiheitlichen Ordnung gestritten wird. Die Verfolgungen der McCarthy-Ära in den USA ist eines der bekanntesten Exempel der frühen Nachkriegszeit.

Dass demokratische Politiker – bei allem Verständnis für ihr Ordnungsdenken – sich dieser Gefahren nicht bewusst sind (der Fall Wolfgang Schäuble ist dafür der bekannteste), ist bemerkenswert und zeugt von einem deutlich erkennbaren Mangel an Realitätswahrnehmung (ein Vorwurf, der wohl auf Gegenseitigkeit beruhen wird). Aber sei´s drum.

Wolfgang Schorlau diskutiert solche Themen anhand eines Beispiels aus der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte: Das Bombenattentat auf dem Münchener Oktoberfest im Jahre 1980. Einem Einzeltäter aus dem rechtsradikalen Milieu zugeschrieben, wirft es vielleicht Fragen auf, auf jeden Fall gibt es Schorlau die Gelegenheit, ein Szenario zu entwerfen, in dem die willkürliche und verhängnisvolle Tätigkeit von Geheimdiensten vorgestellt werden kann.

Das lässt sich naheliegend auf zwei Linien betrachten, auf der historischen respektive politischen und auf der erzählerischen. Auf der einen Seite ist die Frage, ob Schorlau in der Tat einen möglichen, vielleicht sogar tatsächlichen Hintergrund des Münchener Attentats recherchiert und geschildert hat, einigermaßen müßig. Das mag sein, muss aber nicht. Und ist auch nicht zentral, denn über die erzählerische Linie wird hier Schorlaus zweite Linie erkennbar, nämlich eine exemplarische, im weiteren Sinne nicht notwendig reale, aber realistische Geschichte vorzulegen, die auch als Beitrag zur politischen Bildung verstanden werden kann. Darüber hinaus aber hat diese Geschichte abstraktere, grundsätzlichere Bedeutung, nämlich davon zu handeln, wogegen sich ein offenes System wenden muss, will es seine Eigenschaften erhalten. In diesem Fall heißt das nichts anderes, als dass es sich gegen diejenigen wenden muss, die es zu schützen vorgeben, es aber dabei grundlegend zerstören.

Verfassungsschützer, die die Verfassung mit Missachtung strafen, Geheimdienstler, die sich anmaßen, über dem Gesetz zu stehen, Beamte, die eine Gesellschaft in eine Haftanstalt verwandeln wollen, Militärs, die die zivile Gesellschaft unterwandern und nicht davor zurückschrecken, sie zu zerstören, um einer höheren Wahrheit oder der Gerechtigkeit willen – ein Gruselkabinett der Totengräber demokratischer Gesellschaften tritt in Schorlaus Roman auf. Und dass das alles auch noch realistisch wirkt, ist schon an politischer Wirkung genug.

Dass Schorlau dabei die Konfrontationslinie quer durch die Gesellschaft zieht, mit Kombattanten auf Seiten der Institutionen ebenso wie in der Lebenswelt der Akteure, ist dabei ein weiterer Pluspunkt seiner Erzählung. Klare Fronten – hier die Bürger, dort die Regierung oder der Staatsapparat – wären der Geschichte auch nicht zuträglich. Dass er, um dies noch einmal zu bestärken, eine konservative Politikerin (Nachfahrin eines der Attentäter vom 20. Juli) und einen jungen Friedensaktivisten (Sohn eines Generals und Täters) zusammenbringt, ist vielleicht noch eine symbolische Verstärkung, derer es nicht bedurft hätte. Aber es macht den Roman um das Attentat vom Oktober 1980 doch noch ein wenig runder. Geradezu Böll‘sche Qualität hat Schorlaus Roman auch dadurch, dass er im Kern seines Personals eine Gruppe von Freunden gesetzt hat, die sich gegenseitig zu stützen wissen und in denen so etwas wie eine gelungene Gesellschaft (als Geselligkeit) erkennbar wird. Das auch noch bei diesem Verlag, wo sonst?

Titelbild

Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott. Denglers fünfter Fall.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
334 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783462041323

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch