Zauberische Schwestern

Louise Carpenter erzählt in „Ida & Louise“ eine wahre Geschichte – sie handelt vom Mut und der Tatkraft zweier nur scheinbar gewöhnlicher Frauen

Von Carola EbelingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carola Ebeling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war Puccinis „Madame Butterfly“, mit der alles ins Rollen kam. Dass eine Oper solche Wirkmacht haben kann, dass sie aus zwei unscheinbaren, englischen Schwestern Lebensretterinnen macht – das ist doch ganz und gar unwahrscheinlich. Letztlich ist es aber der Kern der Geschichte, die die britische Journalistin Louise Carpenter in dem schmalen Band „Ida & Louise. Wie zwei Schwestern die Gestapo überlisteten“ erzählt.

Es ist eine wahre Geschichte, auf die die Autorin stieß, als ihr ein Freund die Autobiografie der beiden Schwestern „We followed our stars“ schenkte. Carpenter wollte mehr wissen: Wer waren diese beiden Frauen, die ein einerseits so unspektakuläres Leben führten, deren einzige Leidenschaft die Oper wurde – und die sich zugleich in Situationen begaben, die abenteuerlich waren und mit denen sie mindestens 29 Menschen zwischen 1937 und 1939 das Leben retteten?

Ida und Louise Cook, 1904 und 1901 in sehr bescheidenen Verhältnissen geboren, hängen sehr aneinander. Sie verdienen ihre Geld als Stenotypistinnen, wohnen zusammen – der Alltag verläuft in den immer gleichen Bahnen. Sie haben sich. Es ist Louise, die zufällig einem Musikvortrag lauscht und „leicht benommen“ nach Hause kommt. Sie kaufen sich ein Grammophon, dazu einige Aufnahmen – und dann geschieht es: Sie hören Madame Butterfly, und sie erleben etwas bislang Unbekanntes. Von da an ist die Oper, sind deren Bühnenstars die Leidenschaft der beiden. Sie sparen eisern und reisen 1929 nach New York, um dort in selbstgeschneiderter Operngarderobe ihr Idol Amelita Galli-Curci singen zu hören. Nicht nur das gelingt ihnen: Auch machen sie deren Bekanntschaft und freunden sich mit ihr an.

Carpenter schreibt dazu: „Ida und Louise lernten auf ihrer ersten New-York-Reise vielerlei: dass es ein Leben jenseits von Morelle Road und öffentlichem Dienst gab, dass der tiefe Glaube an ihren eigenen Willen gerechtfertigt war, dass erhabene Musik ihnen ebenso gehörte wie jenen Damen mit Brillanten“. Das, so glaubt Carpenter, war entscheidend für die Taten, die später folgten, dieses Zutrauen zu sich selbst, verbunden mit ihrer Liebe zur Musik.

Sie werden jetzt viel reisen, noch mehr Akteure der Bühne treffen, sich mit ihnen befreunden – und es gehört zu den Skurrilitäten der Geschichte der zauberischen Schwestern, dass das Geld dafür mit dem Schreiben von Liebeskitsch-Romanen erworben wird. Ida hatte nämlich einen Artikel über die Reise nach New York verfasst, wurde Redakteurin und schließlich um einen Roman gebeten, mit konkreten Vorgaben des Verlegers: „Die Helden mussten mindestens 1,80 groß sein, stark und launisch. Die Heldinnen sollten keinen außer- oder vorehelichen Geschlechtsverkehr haben und, falls doch, auf irgendeine Weise dafür bestraft werden. Deftige, ja sogar gewalttätige Sexszenen waren erlaubt, um die ,Leidenschaft‘ anzufachen, allerdings nur, wenn die Beteiligten miteinander verheiratet waren.“ Ida wird unter Pseudonym an die 130 solcher Romane schreiben – und damit höchst erfolgreich sein.

Carpenter zitiert einige Romanpassagen, die Ida vielleicht gerade deshalb so leicht von der Hand gingen, weil, so die Autorin, sie mit „der Komplexität emotionaler und sexueller Beziehungen“ tatsächlich keine praktischen Erfahrungen hatte. Weder Ida noch Louise werden je heiraten und halten zugleich „Unzucht“ für eine Schande. Sie bevorzugen es, ihre männlichen Idole schwärmerisch zu verehren, wissend, dass sie vergeben sind. Nicht aber unerreichbar: Der Star-Dirigent Clemens Krauss zum Beispiel und seine Frau Victoria Ursuleac zählen bald zu ihrem Freundeskreis. Und durch sie begegnen sie dem ersten Menschen, dem sie helfen werden, weil er jüdischer Herkunft und somit gefährdet ist.

Durch ihre Reisen, auch nach Deutschland und Österreich, werden Ida und Louise Zeuginnen der für Jüdinnen und Juden immer unerträglicher und gefährlicher werdenden politischen Verhältnisse. Das viele Geld, das die Romane Idas einbringen und das sie in ihrer Fantasie schon für Autos, Pelzmäntel und Europareisen im großen Stile ausgeben wollten, verwenden sie nun, um zu helfen. Carpenter zitiert aus der Autobiografie „We followed our stars“ Ida mit den Worten: „Zum Glück (ach, welch ein Glück!) kam uns, bevor ich die Möglichkeit hatte, meine Lebensgewohnheiten zu ändern […], endlich und auf alle Zeit das ganze schreckliche Ausmaß der Geschehnisse in Europa zu Bewusstsein.“

Von Clemens Strauss und dessen Frau erhalten sie zunächst Namen von jüdischen Freunden des Künstlerpaares, denen sie mit Bürgschaften helfen – denn nur mit einer solchen dürfen diese nach England einreisen. Später werden die Aktionen riskanter: Sie schmuggeln Schmuck oder Pelze am eigenen Körper über die Grenze nach England, damit deren Besitzer, denen sie zudem mit einer Bürgschaft die Einreise ermöglichen, sie dort zu Geld machen und sich eine Existenz aufbauen konnten. Die an ihren billigen Woolworth-Pullovern aufgenähten Diamanten halten die Grenzbeamten für Strass. In der Rolle der extravaganten Opernliebhaberinnen wiederum reisen sie mit Pelzen ein, die sie mit mitgebrachten englischen Etiketten versehen. Die Rettungsaktionen werden planvoller. Eine Mittelsperson stellt immer neue Kontakte zu Hilfesuchenden her. Nicht allen können die Schwestern helfen. 29 Namen sind verbürgt, da es sich aber oft um Familien handelte, dürften es um die fünfzig bis sechzig Menschen sein, denen sie das Leben gerettet haben.

Louise Carpenter erzählt das alles in einem leichten, erzählerischen Ton, manchmal im Stile einer Reportage. Eigentlich hatte sie ein viel umfangreicheres Buch schreiben wollen, erklärt sie in einem Interview. Doch das Primärmaterial sei so spärlich gewesen. Louise hatte nach dem Tod der Schwester 1986 alle Briefe der Hilfesuchenden verbrannt. Übrigens auch alle Romanmanuskripte. Immerhin aber konnte Carpenter noch zwei Menschen treffen, die die beiden gekannt haben. Einen Bruder und Miss Lisa Basch, die von den Schwestern im April 1939 gerettet wurde. Die Schilderung dieser Begegnung mit der 94-jährigen ist sehr anrührend. Zahlreiche Fotos, auf denen Ida und Louise mit ihren Stars zu sehen sind, ergänzen die Lektüre und vermitteln einen auch visuellen Eindruck dieser nur scheinbar so gewöhnlichen Frauen.

1965 zeichnete die Yad-Vashem-Komission Ida und Louise Cook mit dem Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ aus. Das kleine Buch von Louise Carpenter ist eine andere Art der Würdigung, ganz getragen vom Staunen über diese zwei wundersamen Schwestern.

Titelbild

Louise Carpenter: Ida & Louise. Wie zwei Schwestern die Gestapo überlisteten.
Übersetzt aus dem Englischen von Miriam Mandelkow.
Dörlemann Verlag, Zürich 2010.
180 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783908777540

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