Poesie der Lüfte

Zum 125. Geburtstag von Tania Blixen wurden ihre „Schicksalsanekdoten“ noch einmal aufgelegt

Von Anett KollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anett Kollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Tania Blixen hatten das Fliegen, die Weite des Himmels und diejenigen, die ihn bevölkern, eine besondere Bedeutung. Wie ein dicker Faden ziehen sich die luftigen Bilder durch ihre Sprache und ihre Geschichten. Biografisch drückte sich diese Sehnsucht in Blixens besonderer Zuneigung zu Vögeln aus, die sie als gezähmte Gefährten durch die verschiedenen Perioden ihres Lebens begleiteten. Auf ihrer Farm in Afrika zählten ein Storch, ein Reiher und eine Eule zu ihren Hausgenossen. „Wie ein Vogel die Erde unter sich versinken zu sehen“, träumte sie. In dem Piloten und Abenteurer Denys Finch Hatton fand sie einen Mann, der ihr das ermöglichte und die große Leidenschaft ihres Lebens wurde. Sein Kapitel in ihren Afrika-Erinnerungen ist mit „Schwingen“ überschrieben, eine Liebeserklärung an ihn und an das Fliegen. Als die Romanze bereits am Erkalten ist, stirbt Finch Hatton bei einem Absturz seines Flugzeugs – eine Ende, wie von Blixen erdacht.

„Gott hat gewiß keine Sehnsucht oder Hoffnung erschaffen, ohne auch die Wirklichkeit zur Hand zu haben, die als Erfüllung dazugehört.“ Dieser Satz steht in der ersten der insgesamt fünf in dem Band „Babettes Fest und andere Erzählungen“ versammelten „Schicksalsanekdoten“. Ein junger „Gottesgelehrter“ spricht ihn aus, kurz bevor er beginnt, Flügel zu bauen. Er will den Menschen die Gabe des Fliegens schenken, damit sie wie die Vögel und die Engel Gott nah sein könnten. Doch seine Sehnsucht endet tragisch. Die „Großen“ seiner Stadt, Geistliche und hohe Beamte, sind sicher, dass die Leute durch das Fliegen „vor lauter Staunen und Freude den Verstand verlieren“. Zudem fürchten sie das „neue und umstürzlerische Zeug“, das ihnen die Engel erzählen mögen, falls die fliegenden Menschen ihnen tatsächlich begegnen würden. Sie schicken dem jungen Mann eine Tänzerin, die sich als Engel ausgeben soll. Die beiden verlieben sich. Als sie ihm die Täuschung offenbart, ist es zu spät. Die Flügel sind zerbrochen, die Werkstatt verwüstet und sein Glaube an die Engel erloschen. Und „ohne Hoffnung kann man nicht fliegen“.

In den weiteren vier über einen längeren Zeitraum entstandenen und von Blixen unter dem Titel „Schicksalsanekdoten“ zusammengefassten Geschichten geht es ebenso um menschliche Hoffnungen, Träume und Fantasien, die sich in der Wirklichkeit bewähren müssen. In der Novelle „Babettes Fest“, 1987 verfilmt und oscarprämiert, bereitet eine Meisterköchin im Exil noch einmal eines ihrer exklusiven Mahle zu und versetzt damit ihre Gastgeber in einen Sinnenrausch, der sie ihrer puritanischen Wirklichkeit entrückt und die Köchin als Künstlerin offenbart. Hier wie in den anderen Novellen „Stürme“, „Die unsterbliche Geschichte“ und „Der Ring“ scheint die Poesie einen kurzen Moment in der Wirklichkeit auf. Doch die poetische Fiktion ist bei Blixen ebensowenig realer menschlicher Lebensraum wie die Lüfte, denen der Mensch nur durch Produkte seiner Erfindungsgabe, Flügel oder Flugzeuge, kurze Aufenthalte abtrotzen kann.

Blixen wurde auch die „Scheherazade des Nordens“ genannt. Wie die Geschichten ihrer Namenspatin, die um ihr Leben erzählt, sind auch Blixens Texte mit strategischem Kalkül konstruiert. Der märchenhaften, in ihrer mäandernden Form der Moderne scheinbar entrückten Erzählweise liegt eine geschickte Verknüpfung von Rahmen und Vor- und Rückgriffen zugrunde, die das Ereignis multiperspektivisch umkreisen und jeder Figur in der Beschreibung der Ereignisse ein eigenes Kapitel einräumen. Die Zusammenfassung der zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Geschichten unter dem Titel „Schicksalsanekdoten“ verweist zudem auf eine literarische Textsorte, die auf eine Pointe zielt. Diese unerwartete Wendung ist bei allen in dem Band versammelten Geschichten zu finden. So hat auch die Geschichte des jungen, an seiner Sehnsucht nach Flügeln scheiternden Gottesgelehrten noch einen zweiten Teil. Dort taucht er als glücklicher, berühmter und durch sein Metier vermögend gewordener Perlentaucher wieder auf. Nach dem Grund für sein Wohlergehen befragt, erzählt „der Glückliche“, dass er sich die Philosophie der genügsamen Fische zu eigen gemacht hätte. Sie seien die eigentliche Krone der Schöpfung, da sie sich, anders als Menschen und Vögel, nicht in der Luft bewegten und somit nicht stolpern oder fallen könnten.

Titelbild

Tania Blixen: Babettes Fest und andere Erzählungen.
Übersetzt aus dem Dänischen von W.E.Süskind.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006.
268 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-10: 3421042233
ISBN-13: 9783421042231

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