April! April!
Am 1. April 1998 narrte der britische Autor William Boyd die New Yorker Kunstszene mit der Entdeckung eines erfundenen Kunstgenies
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAm Ende ist man immer gescheiter. Im Wissen um den literarischen Fake liest sich William Boyds schmale Kunstmonografie „Nat Tate“ deshalb heute anders als bei ihrem ersten Erscheinen, als das kunstaffine Publikum darin eine wahrhaft Aufsehen erregende Entdeckung zu machen vermeinte. Am 1. April 1998 stellten Boyd und sein Verleger David Bowie in New York den vergessenen Künstler Nat Tate (1928-1960) vor – mitsamt den wenigen Werken, die dieser nicht selbst zerstört hatte. Nicht allein der verfängliche Nachname ließ viele Kunstinteressierte mutmaßen, irgendwann schon mal etwas von Tate gehört oder gesehen zu haben.
Wer war Nathanael „Nat“ Tate? 1928 kam er vaterlos in New Jersey zur Welt. Seine Mutter geriet 1936 unter tragischen Umständen unter ein Auto. Der damals 8-jährige Waise wurde von den reichen Barkisians, bei denen die Mutter als Köchin arbeitete, adoptiert. Peter Barkisian, der auch etwas Kunst sammelte, erkannte Nats Talent und ließ ihn die Sommerakademie des Modernisten Hans Hofmann besuchen. Dennoch blieb Nat Tate ein scheuer junger Mann, der zuhause von seinem Vater ein Atelier eingerichtet erhielt und dort trotz des Studiums gewissermaßen als Autodidakt einen malerischen Kosmos erschuf. In Anlehnung an Hart Cranes Gedichtzyklus „The Bridge“ begann er eine gleichnamige Serie von eigenwilligen Zeichnungen, in denen unter stilisierten Brückenbogen ein Chaos der Empfindungen wütete. Die Bilder erregten Aufmerksamkeit in der stilbildenden New Yorker Szene, zu der sich Nat wenig später gesellte. Frank O’Hara und Franz Kline wurden seine Freunde. Er macht weitere Bekannte, etwa den englischen Kritiker Logan Mountstuart und die einflussreiche Galeristin Janet Felzer. Vor allem Mountstuart hielt in seinem Tagebuch Erinnerungen an Nat Tate fest, die zu den wenigen Lebensdokumenten gehören. Tate malte unterdessen zwei weitere Zyklen. Dann brach er zu einer Europareise auf, wo er Georges Braque und Picasso traf. Vor allem der Besuch bei Braque schien ihn erschüttert zu haben. Die Reise wurde abgebrochen, Tate kehrte zurück, verbrannte sein Werk und sprang – wie einst Hart Crane – von einer Fähre in den Fluss und ertrank.
Der Kunstmarkt liebt es, wenn neue Künstler auftauchen und die Geschäfte beleben – erst recht, wenn sich damit Lebenstragödien verbinden. Nat Tate war eine Figur genau nach diesem Gusto. Ein rasch verglühtes, tragisches Genie, das leider allzu wenige Bilder hinterließ. Mehr als die in seinem Buch abgebildeten Bilder hätte der ehemalige Kunststudent William Boyd vermutlich auch gar nicht malen wollen. Denn niemand anderer als der Autor selbst ist ihr Urheber. Das ist Fakt – die Figur des Nat Tate dagegen gehört ins Reich seiner literarischen Fiktion.
Boyd rekonstruiert aus wenigen erhaltenen Lebenszeugnissen und Erinnerungen die Biografie eines unbekannten Künstlers, die auf den ersten Blick durchaus wahr sein könnte. Allerdings machen einen gewisse Phänomene schon während der Lektüre stutzig. Ob Mounstuart oder Felzer historische Figuren sind, bleibt dahin gestellt, auffälliger ist vorerst, dass Tate auf keiner der zahlreichen Fotografien aus der New Yorker Kunstszene mit abgebildet ist, obwohl er doch Teil davon war. Nicht minder zweifelhaft wirkt mit der Zeit, dass alles, was sein Leben bezeugt, irgendwie verschollen, unpubliziert oder dubiosen Nachlässen entnommen ist. Beispielsweise das abgedruckte Gedicht von O’Hara, in dem Tate namentlich erwähnt wird, das leider leider aber „in keiner Sammlung“ je erschienen ist. Durchaus gekonnt verwischt Boyd so alle ausgelegten Spuren gleich wieder – getreu einem Wort seines Logan Mounstuarts: Tate „gehört zu denen, deren Name auf Wasser geschrieben ist“. Dasselbe gilt auch für Mounstuart selbst.
William Boyds literarisches Schelmenstück zeichnet eine feines, kleines und notabene hübsch illustriertes Sittengemälde der New Yorker Kunstszene der 1950er-Jahre. Dabei mixt der Autor munter Fakten und Fiktionen ineinander und verwischt die Grenzen dazwischen. Derart entstehen Legenden. Und wenn niemand sie entlarvt, gehen sie in die Geschichte ein. William Boyd hat dem April! April! vielleicht etwas allzu deutlich Nachachtung verschafft, um seinem „Nat Tate“ zu ewigen Ruhm verhelfen zu können. Darin steckt aber durchaus Kalkül. Boyd schrieb die Geschichte, äußerte er in einem Interview, „weil ich glaube, dass sich am Beispiel von Nat Tates Leben allerlei erkennen lässt, das sich auf Künstler allgemein und insbesondere auf die zeitgenössische Kunstszene beziehen lässt“.
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