Trunkenbolde und Gespenster

Der wortgewaltige Dichter Adolf Endler(1930-2009) erzählt von seinem Leben und gibt Einblicke in ein deutsch-deutsches Schriftstellerleben

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Adolf Endler am 02. August 2009 verstarb, verlor nicht nur Berlin einen knorrigen und unangepassten Schriftsteller. In der DDR hatte der 1930 geborene Schriftsteller ein Schattendasein geführt, das sich vor allem in den letzten Jahren am Rande der kulturpolitischen Legalität bewegte. Ergebenheitsadressen an umsichtige Parteiführer und unfehlbare Wahrheiten waren ihm fremd.

Der vorliegende Band „Dies Sirren“ – der Titel bezieht sich auf ein Gedicht Endlers – ist sein letztes Buch und besteht aus umfangreichen Gesprächen mit Renatus Deckert, der auch ein einführendes Vorwort beigesteuert hat.

Dieser Gesprächsband ergänzt vorzüglich die 2005 erschienen Erinnerungen „Nebbich. Eine deutsche Karriere“. In sieben Gesprächen erkundet Renatus Deckert Endlers frühe Kindheit, Schulzeit sowie Erinnerungen an den Krieg. Aufschlussreich sind Endlers Schilderungen zur Nachkriegszeit, seiner politischen Entwicklung bis hin zur Umsiedlung in die DDR im Jahr 1955. „Dies Sirren“ schließt mit dem Mauerbau und den damit verbundenen Illusionen, aber auch Perspektiven in der DDR bis zu deren Untergang.

Als junger Mann war er 1955 nach Leipzig gekommen. In seiner typischen Erzählweise, die das klare Wort nicht scheut und zugleich durch eine genaue Beobachtungsgabe besticht, gibt Endler erstmalig biografische Einblicke über diesen für die damalige Zeit antizyklischen Vorgang frei.

In der jungen Bundesrepublik kam der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Endler aus dem politischen Umfeld der vom Verbot bedrohten KPD. Selbstlos und voller Idealismus stellte er sich als Kurier zur Verfügung, um illegal Geld an bestimmte Personen zu verteilen, das unter konspirativen Umständen aus der DDR aufgebracht worden war. Einer Ladung zu einem bundesdeutschen Gericht in Düsseldorf wegen Staatsgefährdung entging er dadurch, dass er bereits in der DDR war und nicht mehr in die Bundesrepublik zurückkehrte. Sein ganz und gar unabhängiges Temperament verhinderte jedoch, dass er sich in der DDR kritiklos einfügte.

Bereits Endlers Kindheit war von Widersprüchen geprägt. Seiner aus Belgien stammenden Mutter war es gelungen, dem Sohn weitere Zeit in der Hitlerjugend zu ersparen. Ein Verwandter seines Stiefvaters wiederum war bei der SS. Anschaulich berichtet Endler von Bombennächten, Luftschutzkellern und einem toten Mädchen, das sie dort ausgegraben hatten. Bereits als Elfjährigen hatte ihn das heimliche Hören von so genannten „Feindsendern“ mehr fasziniert als das Tragen eines Dolches an der HJ-Uniform.

Als seine freiesten Jahre hatte er die unmittelbaren Nachkriegsjahre empfunden, als er mit Texten von Robert Musil, James Joyce, William Faulkner, Henry Miller oder Ernest Hemmingway konfrontiert wurde. „Nach der geistigen Ödnis der Nazizeit war Kafka das Andere schlechthin“. Mit Haut und Haar genoss Endler die Vielfalt der Presseerzeugnisse, die es plötzlich gab und die seiner Einschätzung nach durch die Währungsreform wieder zum Verschwinden gebracht wurden.

Die Ästhetik des Paradoxen, angeregt von André Bretons surrealistischen Manifest, beindruckten ihn nachhaltig. Sie brachte Endler später in der DDR in seine solitäre Situation. Auch wenn Endler es immer verstanden hatte, Schriftstellerpersönlichkeiten um sich zu versammeln, ging er ästhetisch seinen eigenen Weg. Endlers Fähigkeit, Talente zu entdecken, unterstreicht stellvertretend ein wichtiger Autor wie Wulf Kirsten, der in seiner Selbstbeschreibung „Der große Hof des Gedächtnisses“ darauf hinwies, dass er im Herbst 1965 „von Adolf Endler für die Literatur der DDR entdeckt“ worden sei.

Endler war es auch, der den Begriff „Sächsische Dichterschule“ prägte, der Schriftsteller wie Volker Braun, Heinz Czechowski, Karl Mickel, aber auch Rainer und Sarah Kirsch zusammenfasste. Jedoch hinderte ihn dies nicht daran, trotz aller Freundschaft für sein eigenes Schaffen das Weite zu suchen, um in eine Endler-spezifische Art von Emigration abzugleiten: „Ich bin nach unten gestiegen, wo nur Trunkenbolde und Gespenster herumwesten“.

Die DDR hatte Endler zeitlebens in Beschlag genommen. Den Bau der Mauer im August 1961 hatte er – wie manch andere Intellektuelle – zunächst zwiespältig aufgefasst. Man hatte sich gewissermaßen im Windschatten des Kalten Krieges eine ideologische Ruhepause erhofft. Nach wenigen Wochen war Endler ernüchtert: „Uns war plötzlich klar, daß wir Idioten gewesen waren“. Auch in seiner Art zu schreiben lässt sich bald eine Zäsur nachweisen, Endlers Texte wurden zusehends sarkastischer und gefielen sich in schwarzem Humor. Die DDR wurde zum „Material“, Endler blieb nur das wortgewaltige Grimassieren über die real existierende Travestie eines vorgeblichen Sozialismus: „Und dies Sirren und Schnurren, dieses Knarren und Brummen blieb mir über all die Jahre erhalten“.

Titelbild

Adolf Endler: Dies Sirren. Gespräche mit Renatus Deckert.
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
192 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783835307759

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch