Dalziel macht Urlaub

Mit „Ein nasses Grab“ erscheint erstmals auf Deutsch einer der frühen Kriminalromane des Briten Reginald Hill

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die etwas Unaufmerksameren unter den deutschen Reginald-Hill-Lesern müssen am Anfang des Romans „Ein nasses Grab“ erst einmal eine kleine Irritation verkraften. Denn Peter Pascoe, die solidere Hälfte des Ermittlungsteams, das der bald 75-jährige Brite seit 1970 durch die Gegend um Yorkshire schickt, heiratet im ersten Kapitel. Natürlich muss sein Chef, Superintendent Andrew Dalziel, aus diesem Anlass ein paar unpassende Bonmots unter die Leute bringen. Doch das überrascht Kenner des „dicken Andy“ nicht. Auch an die Spitzzüngigkeit von Pascoes besserer Hälfte, Ellie, hat man sich nach knapp einem Dutzend ins Deutsche übersetzter Bücher längst gewöhnt. Nur – waren Peter und Ellie nicht bereits verheiratet? Und hatten sie nicht auch schon ein Töchterchen namens Rosie, das in „Das Dorf der verschwundenen Kinder“ fast sein Leben verlor?

Was hier stört ist eine Editionspraxis, die mit den Büchern des großartigen Reginald Hill umspringt, wie es ihr gefällt. Zu vermuten steht, dass in den drei Verlagshäusern, in denen man sich bisher der Dalziel/Pascoe-Reihe angenommen hat, bestimmte Vorstellungen über Kriminalromane herrschten (und vielleicht noch immer herrschen), denen Hills Bücher kaum entsprechen. Zu unblutig. Zu literarisch. Zu traditionell. Zu verspielt. Damit Kasse zu machen bei einem Publikum, das an wesentlich härtere Stoffe gewöhnt ist und mehr auf den Körperbau des Helden als auf den Satzbau des Autors achtet, scheint riskant. Also wirft man in regelmäßigen Abständen einen Köder aus und beobachtet, ob der von den Lesern geschluckt wird – ganz egal, ob es sich dabei um einen frischen Happen oder ein schon etwas länger abgehangenes Stück handelt. Und weil man diesmal einen der ersten von inzwischen weit mehr als 20 Dalziel/Pascoe-Romanen erwischt hat – ein Plan ist hinter dem Durcheinander in der Reihenfolge der deutschen Übersetzungen beim besten Willen nicht erkennbar.So muss selbst der Leser, der auf dem Laufenden ist, back to the basics.

Beruhigend immerhin, dass wenigstens auf Andy Dalziel Verlass ist. Der war 1975 schon so herrlich unangepasst und ruppig wie 30 Jahre später, trinkfest und – trotz (oder gerade wegen) seines gewaltigen Körperumfangs – bei den Damen nicht unbeliebt. Dass er seinem besten Mann auch nach dessen Vermählung weiter „die Stange halten“ wird, ist für den Superintendenten klar. Nur verschwindet Pascoe samt Braut erst einmal auf die obligate Hochzeitsreise an einen Ort, den er seinem Vorgesetzten wohlweislich verschwiegen hat. Worauf dem nichts anderes einfällt, als sich ebenfalls für ein paar Tage vom Geschäft zurückzuziehen. Dich wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg halt zum Propheten.

„Ein nasses Grab“ ist sicherlich nicht der beste Roman Hills. Aber das macht nichts, denn spätestens nach ein, zwei Dutzend Seiten hat er einen trotzdem gepackt. Dalziel auf Urlaubsreise? Unmöglich. Und in der Tat kommt er nicht allzu weit, sondern strandet im wahrsten Sinne des Wortes schon nach wenigen Kilometern in dem hochherrschaftlichen Anwesen Lake House. Über dessen Dachfirst kreist der Pleitegeier und in seinen Mauern hat es sich eine Gesellschaft wie zu Charles Dickens‘ Zeiten gemütlich gemacht. Der Patriarch ein Dichter, die Dienerschaft dubios, die Küche leer und die eben verwitwete Hausherrin nicht ohne Anziehungskraft auf den Kriminalisten, der sich die Hände sonst lieber an einem großen Glas Single Malt wärmt. Und ein paar auf krude Weise zu Tode Kommende gibt es obendrein – Polizistenherz, was willst du mehr.

Hills viertes Buch um die Polizisten Dalziel und Pascoe ist wie alle seine Vorgänger und Nachfolger kein Thriller, sondern eine dieser liebenswerten englischen Landhausgeschichten, in denen der Weg das Ziel darstellt. Natürlich wird der Kriminalfall am Ende aufgeklärt, aber den wirklich großen Spaß hat man auf den Seiten vorher. Da gibt es herrliche Dialoge, filmreif visualisierte Szenen, skurrile Charaktere en masse, viel Ironie und Coolness, einen Andie Dalziel, der jede Minute Lesezeit wert ist – und auch auf Peter Pascoe muss man letztendlich nicht ganz verzichten. Warum nicht längst die komplette Reihe auf Deutsch vorliegt, versteht man nach dem intelligenten Lesevergnügen, das einem dieser frühe Roman bereitet, erst recht nicht. Doch eines Tages wird es so weit sein. Und dann lesen wir die ganze Serie noch einmal – aber diesmal in der richtigen Reihenfolge.

Titelbild

Reginald Hill: Ein nasses Grab. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sylvia Visintini.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2011.
361 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783426633311

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch