Das Navi als Gefährtin

Über Jonathan Coes Buch „Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Maxwell Sim ist kein Gewinner. Das muss sich der 48-jährige insgeheim selbst eingestehen, als er den Abend des Valentinstages in einem Restaurant in Sydney damit verbringt, die innige-vertraute Beziehung zwischen einer chinesischen Mutter und ihrer Tochter am Nachbartisch zu beobachten.

Max hingegen nimmt seine Mahlzeit allein ein: Frau und Tochter haben ihn bereits vor Monaten verlassen und sein Vater, den er in Australien besucht, hat keine Lust, den letzten Abend vor seiner Rückreise mit ihm gemeinsam zu verbringen. – Kein Wunder also, dass Maxwells Depressionen, wegen derer er bereits sechs Monate von seiner Arbeit in einem Kaufhaus freigestellt ist, nicht unbedingt besser werden wollen.

Auch seine Reisebekanntschaften auf dem Rückflug nach England verlaufen nicht gerade andere als positiv: So stirbt sein Sitznachbar eines ebenso überraschenden wie unauffälligen Todes, während Max ihm aus seinem Leben erzählt, und auch die fesche Zufallsbekanntschaft vom Zwischenstopp in Singapur erweist sich auf den zweiten Blick weniger an ihm interessiert als er es erhofft hatte.

In seinem angestammten Umfeld sieht es leider nicht besser aus: Im Postfach seines E-Mail-Accounts warten nach seiner Rückkehr in die englische Provinz nur hunderte Spam-Mails auf ihn, noch nicht einmal seinen „Facebook“-Freunden ist er eine Nachricht wert. Und zu allem Überfluss muss er auch noch feststellen, dass seine Ex-Frau ihre wiederentdeckten literarischen Neigungen mit Geschichten über ihr vergangenes Eheleben auslebt.

Doch mitten im tiefsten Frust meldet sich sein alter Kumpel Trevor bei ihm – und bringt womöglich die erhoffte Kehrtwende in Max’ Leben. Dessen Jobangebot als Vertreter für Bio-Zahnbürsten nimmt Max sofort an, bietet es doch die aufregende Chance, an einer werbewirksamen Wettfahrt quer in die entlegensten Winkel des United Kingdoms teilzunehmen.

Mit der Fahrt Richtung Shetland-Inseln sieht Max sich nicht nur geografisch zu neuen Ufern aufbrechen. Fröhlich beginnt er die Tour, begleitet von der sanften Stimme des Navigationsgerätes, das er insgeheim „Emma“ getauft hat – doch dann beschert ihm der Trip immer mehr ungewollte Einblicke in die Vergangenheit seiner Eltern, seiner Freunde und seiner selbst.

Mit viel Mitgefühl, aber auch wunderbarem Sarkasmus erzählt Jonathan Coe in seinem jüngsten, sprachlich brillant erzählten Roman vom Lebenswiderspruch all derer, die trotz permanenter Erreichbarkeit und virtueller „Freunde“ vergeblich nach wirklicher Nähe und Vertrautheit suchen. So gelingt ihm eine überaus spannende, mitreißende Geschichte rund um das tragikomische Leben seines Antihelden, in der sich jedoch – so viel sei verraten – auf wunderbare Weise am Ende alle losen Enden zu einem durchaus positiven Gesamtbild zusammenfügen.

Titelbild

Jonathan Coe: Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Walter Ahlers.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010.
405 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783421044846

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch