Plädoyer für ein antihumanistisches Denken

Bernd Hüppauf hat mit seiner Monografie „Vom Frosch“ eine „Kulturgeschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie“ verfasst

Von Stefan DiebitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Diebitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ausgerechnet Frösche und Kröten! Erst im Januar verbrachte ich einige Tage in einem Dorf, dessen Bewohner nach Einbruch der Dunkelheit Bretter vor die Türen legen, damit die massenhaft vorhandenen Kröten nicht ins Haus eindringen. Bei Einbruch der Dämmerung kommen diese Tiere aus ihren Verstecken, und wenn die Nacht in La Merced hereingebrochen ist, hocken sie im Lichtschein vor den Fenstern, wo sie auf Insekten lauern, oder hüpfen orientierungslos an Hauswänden entlang.

Ich mag Kröten nicht und empfinde sie als hässlich, ja als widerlich, und damit gehöre ich zu jenen Lesern, die sich unbedingt mit Bernd Hüppaufs Buch beschäftigen sollten, dem er den wahrscheinlich ironisch gemeinten Titel „Vom Frosch“ gegeben hat. Aber so pompös sich dieser Titel auch anhört, so ist er doch nicht ganz unberechtigt, denn die vier umfangreichen Kapitel des Buches behandeln den Frosch in Theologie, Magie, Literatur und Wissenschaft, um sich endlich dem „Ökofrosch“ als dem eigentlichen Ziel des Buches zuzuwenden. Hüppauf, bis zu seiner Emeritierung Germanist in New York, ist seit seiner Jugend von Fröschen fasziniert, und es sind Jahrzehnte des Materialsammelns und des Nachdenkens in dieses Buch eingegangen. Entsprechend reich und schillernd sind die Belege. Ihn interessiert die Begegnung des Menschen mit dem Frosch als die Begegnung zweier grundverschiedener Welten, denn anders als die Affen, die von vielen Biologen als unsere Brüder und Schwestern angesehen und konsequenterweise als „Leute“ bezeichnet werden, ist der Frosch der Bewohner eines anderen Universums, mit dem es kaum Berührungspunkte zu geben scheint. Damit ist der Frosch ein idealer Prüfstein für ethische Überlegungen zu unserem Umgang mit dem Tier, und eben diese Überlegungen sind auch das eigentliche Ziel des Buches.

„Vom Frosch“ beginnt als eine Kulturgeschichte, als eine kommentierte Materialsammlung, in der uns eine erstaunliche Fülle von Belegen präsentiert wird – der Frosch muss schon immer außerordentlich wichtig für den Menschen gewesen sein, denn als ein Repräsentant des Bösen, Niedrigen und Ekligen war er faktisch omnipräsent. Hüppauf stellt die Erscheinung des Frosches von vornherein als von der Kultur geprägt dar, nicht von der sinnlichen Begegnung, und seine eigenen Versuche, eine solche zu beschreiben, finden sich erst später im Buch.

Man könnte ganz ernsthaft die Frage ventilieren, ob der Frosch und vor allem die Kröte nicht wirklich, das heißt wesenhaft hässlich sind, aber diese Frage fiele unter das Metaphysikverbot, und nicht allein ein Liebhaber dieser Tiere wird sie für illegitim erklären. Allerdings muss selbst ein Kröten-Hasser Hüppauf zubilligen, dass er eine Reihe von Vorurteilen wirklich entkräftet, und das sind vor allem jene, die mit der Berührung des Tieres zu tun haben; wie es scheint, ist es nicht einmal besonders schlimm, eine Kröte in die Hand zu nehmen. Aber damit ist nicht die Frage nach der Schönheit der Gestalt beantwortet, wenn wir diese überhaupt für legitim halten und nicht gleich ablehnen. Warum sind manche Tiere für uns schön, andere nicht? Warum erscheinen uns bunte tropische Frösche als attraktiv, die erdfarbenen Kröten als hässlich? Ist nicht ein objektiver Grund dafür denkbar, unabhängig von allen kulturell motivierten Vorurteilen? Denn die Gestalt dieser Tiere ist doch wirklich ungeschlacht, weil kaum gegliedert. Und sind ihre Bewegungen nicht plump, ist ihre Wahrnehmung nicht entsprechend ungerichtet?

Das Kapitel über den Frosch in Literatur, Religion und Mythos bietet reiches Material, aber es finden sich auch schmerzliche Lücken. An keiner Stelle erscheint der Storch als der hiesige Hauptfeind des Frosches, und wenn Hüppauf einmal sogar auf den Hamster eingeht, dann hätte er doch ganz unbedingt die Molche in Heimito von Doderers „Ein Mord, den jeder begeht“ behandeln sollen, auch wenn diese Tiere keine Frösche, sondern nur verwandte Lebewesen sind; aber dieser Roman steht in Qualität und Thematik so einsam da, und der Molch ist in den Eingangskapiteln derart wichtig, dass diese Leerstelle wirklich schmerzt. Dafür wird „Die Blechtrommel“ angesprochen, ein angeblicher „Romanfrosch“, von dessen Held Oskar Matzerath Hüppauf erklärt, er könnte ein Frosch sein. Und schon findet er sich dank des Wörtchens „könnte“ in diesem Buch „Vom Frosch“.

Das Kapitel über die Wissenschaftsgeschichte ist ein Glanzstück, denn es gelingt Hüppauf, anhand des Frosches das Verhältnis des Menschen zur Kreatur und den Wandel dieses Verhältnisses im Detail aufzuzeigen, selbst kleinste Wendungen und Veränderungen in der Sicht auf das Tier zu belegen und in Beziehung zur Geistesgeschichte zu setzen. Die Quellenlage ist hier eine sehr günstige, denn der Frosch war für lange Zeit ein bevorzugtes Objekt des Naturforschers, und nicht allein des professionellen, sondern im 19. Jahrhundert auch eines des Forschers aus Liebhaberei. Es finden sich ungezählte Dokumente, von denen die quasi inoffiziellen die interessantesten sind, etwa die Tagebücher Luigi Galvanis. „An den massenhaften Froschexperimenten“, resümiert der Autor, „zeigt sich, wie das System Experiment das Verhältnis des Menschen zum Tier grundlegend veränderte. Die Popularisierung der Experimente am Frosch, kann man vermuten, lässt auf eine weite Verbreitung der den wissenschaftlichen Experimenten zugrundeliegenden Haltung zum Tier schließen. Wie die Wissenschaft, so machten auch interessierte Laien den Frosch zu einem Objekt und hatten keinen Sinn mehr für das Unglück des Tiers. Er wurde zerschnitten und als empfindungsloses Objekt betrachtet.“

Das eigentliche Ziel der Untersuchung ist zweifellos der von Hüppauf so bezeichnete „Ökofrosch“, denn dem Autor kommt es darauf an, Prinzipien einer Tierethik und Tierphilosophie zu diskutieren. Das ist ein ziemlich populäres Thema, zu dem in den letzten Jahrzehnten Massen von nicht immer hochwertiger wissenschaftlicher, sich gern philosophisch gebender Literatur erschienen sind. Besonders in der analytischen Philosophie feiert dabei ein Utilitarismus Triumphe, gegen den sich Hüppauf gleich eingangs seiner Überlegungen wendet. Aber er argumentiert auch gegen die Versuche, das Tier zum gleichberechtigten Partner zu erklären, oder spricht sich gegen das Modell der reziproken Anerkennung aus, das natürlich ein so primitives Tier wie den Frosch ausgrenzen muss. Der Frosch ist deshalb ein methodisch so geeignetes Objekt, weil seine Primitivität die Frage nach der Beziehung zum Tier zuzuspitzen hilft.

In der Einleitung zum Buch schreibt Hüppauf, dass „die Biologie nichts zum Verständnis des Tiers und seiner Beziehung zum Menschen beizutragen“ hat, aber schon zwei Seiten später hat er sich besonnen und kommt auf ein echtes Modethema zu sprechen, die Spiegelneuronen, mit deren viel besprochener Entdeckung die lange gesuchte organische Grundlage von Empathie gefunden zu sein scheint. Weil und wenn ein Lebewesen im Geiste die Bewegungen eines anderen Lebewesens nachvollzieht, kann es auch seine Gefühle nachvollziehen. Der Entdeckung der Spiegelneuronen, deren Aktivität im Hirn von Halbaffen ein bildgebendes Verfahren sichtbar machte, hätte es dafür allerdings gar nicht bedurft, denn jeder kann diesen Vorgang bei sich selbst wie bei anderen beobachten, und die gewiss verdienstvolle Entdeckung und Beschreibung der organischen Grundlage dieses Vorgangs fügt unserer persönlichen Erfahrung überhaupt nichts hinzu.

Eben unser persönliches Erleben zeigt uns, dass die Übertragung am besten bei uns nahestehenden Wesen funktioniert, deren Bewegungen wir dank eines ähnlichen Körperbaus nachvollziehen und nachempfinden können. So machen die Spiegelneuronen es möglich, den Ausdruck eines anderen Wesens zu verstehen. Nur besitzt der Frosch sehr wenig Ausdruck, denn er zeigt keinerlei Mimik, gibt außer einem für uns gleichgültigen Quaken keine Laute von sich, und seine Bewegungen sind unseren eigenen so fern wie überhaupt nur möglich. Eben deshalb stand (und steht wohl immer noch) die Menschheit seinen Leiden gleichgültig gegenüber. Wenn also eine Ethik gewünscht wird, die auch Frosch und Kröte mit einbezieht – und Hüppauf wünscht eine solche –, so bleibt nichts als die Leibhaftigkeit, die Mensch und Kreatur, so fremd sie einander auch sein mögen, miteinander teilen. Eine Gründung der Ethik auf die Leibhaftigkeit, also eine „somatische Ethik“, ist tatsächlich der kleinste gemeinsame Nenner, den der Autor ausmachen konnte.

Die Argumentation Hüppaufs gipfelt in der Feststellung, dass Frosch wie Mensch Teil eines sie umgreifenden Systems sind, um deren Erhalt es uns zu tun sein muss. Dem Plädoyer des Autors gegen den Humanismus soll das letzte Wort gehören: „Fundamentalökologie stammt aus diesem nicht-rationalen Begehren, aus dem Gefängnis des Ichs auszubrechen und den Mensch-Tier-Dualismus zu überwinden. Dieser emotionale Ausgangspunkt muss zu einer näheren Bestimmung der Techniken im Verhältnis zur Natur führen, soll die Motivation nicht in bloßem Wunschdenken verharren. Denkt man an die offenen und heimlich wirkenden Normen des Anthropozentrismus, der aus den griechischen Wurzeln des Humanismus entstand, so fordert sie ein anti-humanistisches Denken.“

Titelbild

Bernd Hüppauf: Vom Frosch. Eine Kulturgeschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie.
Transcript Verlag, Bielefeld 2011.
417 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783837616422

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