„Die literarische Antwort auf Fukushima?“

Der Genfer Autor Daniel de Roulet kommentiert mit dem Beitrag „Fukushima mon amour: Brief an eine japanische Freundin“ die Katastrophe in Japan

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In die Literaturgeschichte hat sich Daniel de Roulet mit „Fukushima mon amour“ in mehrfacher Hinsicht geschrieben – als Erster, der die Katastrophe in Nordjapan in einem (schmalen) Buch behandelt, als Autor, der eine Atombombenliteratur im 21. Jahrhundert fortsetzt, als Schriftsteller mit dem vielleicht breitesten Betroffenheitsspektrum auf knappen 37 Seiten (zuzüglich einer „Chronologie der Ereignisse im Kernkraftwerk Fukushima“) und als jemand, der eine bemerkenswert blasse japanische Nebenfigur – Brieffreundin Kayoko – in seinem Text auftreten lässt.

Das Konzept von „Fukushima mon amour“ entlehnt de Roulet von „Hiroshima, mon amour“, dem bekannten Beitrag von Marguerite Duras. Unter dem Motto „Tu n’as rien vu à Fukushima“, so der französische Originaltitel des „Briefs“, wird eine interkulturelle Perspektive auf die Geschehnisse vom 11. März 2011 eröffnet. Der europäische Verfasser der Botschaft an eine japanische Frau versichert seinem Gegenüber, dass es ihm als Außenstehendem eigentlich nicht zukomme, seine Meinung zu Fukushima zu äußern. Diese Zurückhaltung bekämpft der Protagonist im Laufe des „Briefs“ allerdings erfolgreich. Zugleich unterstellt „Daniel“, das alter ego de Roulets, der Japanerin – und anderen Japanern im Text, die die Auffassung des Autors von japanischer Mentalität verkörpern – eine ausgeprägte Ablehnung des ausländischen Interesses am landeseigenen Unglück. Die japanische Abwehr gegen jede Einmischung von außen bleibt als Argument des Texts derart massiv, dass man sich fast fragen muss, warum der Briefschreiber und mit ihm der Autor so hartnäckig auf seinem Vorhaben beharrt, der sich ihm entziehenden Frau seine Anteilnahme zu versichern – für ein solch vergebliches Unterfangen dann doch auf langen 37 Seiten.

Kayoko gibt sich – ganz die ‚rätselhafte Asiatin‘ – unbewegt. Am Ende seines sorgenvollen Briefes vom 18. März erhält der Verfasser, wie der Leser erfährt, nur einige elektronische Zeilen aus Japans Metropole: Er sei so „sweet“, die Ängste in Sachen Fukushima seien aber wohl eine Frage der Medienberichterstattung, die in Japan wesentlich undramatischer ausfalle. Der interkulturelle Dialog, wie de Roulet ihn im Zusammenhang mit der atomaren Gefahr in Nordjapan führt, muss als gescheitert betrachtet werden. Seine apokalyptischen Beschwörungen finden ebenso wenig Gehör wie die Aufforderung zum politischen Handeln angesichts des havarierten Atommeilers. Dabei hat sein alter ego kein Argument ausgelassen, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen: Das Erdbeben von Tokio im Jahr 1923, den Zweiten Weltkrieg, Hiroshima und Nagasaki, das Erdbeben von Kôbe 1995, Gaddafi, Hanford, die Liquidatoren von Tschernobyl und Auschwitz.

Während man de Roulets Rage gegen die Kernkraftlobby und seinen Appell für ein baldiges Umdenken im Hinblick auf die globale Energieversorgung trotz der sprudelnden Kaskade von Schrecklichkeiten noch nachvollziehen kann, ist es an erster Stelle die schablonenhafte Figur der Japanerin, die einen nicht gerade für den Text einnimmt. Sie bleibt die verführerische Exotin, hält den Europäer auf Abstand, lockt ihn mit ihrer Rätselhaftigkeit – eine klassische Männerfantasie, seltsam fehl am Platz inmitten all der Weltuntergangsstimmung. Man liest – in der deutschen Übersetzung – von ihren „geschlitzten Augen“, die nicht „gleich neben der Nase“ beginnen würden und von schönen Fotos nackter Körper, die sich auf der Homepage der Autorin und Universitätsdozentin fänden; außerdem habe sie bei einem früheren gemeinsamen Kneipenbesuch in Japans Hauptstadt ohne Gewissensbisse Thunfisch genossen und sich positiv zum Verzehr von Walfleisch geäußert. An dieser fernen Frau muss die europäische Rhetorik zwangsläufig abprallen. Wenn die Figur nicht so klischeehaft geraten wäre, müsste man ihr freilich beipflichten, sich den ausufernden Belehrungen des Westlers konsequent entzogen zu haben.

Literatur solle ein Antidot gegen menschliche Maßlosigkeit darstellen, „Romankunst“ möge Technokratie und Profitgier in die Schranken weisen, so die Hoffnung des Verfassers. Zeigt sich der Literat aber wie in „Fukushima mon amour“ als purer Moralist, so fällt es schwer zu glauben, dass der „Atomtechnokrat“ auf diese Weise zum Umdenken bewegt werden könnte. Eine literarische Ethik der Post-Fukushima-Ära gelingt de Roulet bedauerlicherweise nicht. Eventuell hat er dies selbst schon eingesehen, heißt es an einer Stelle des Texts ja hellsichtig: „Ich rede zu viel von meinen eigenen Beklemmungen, von meinen atomaren Schuldgefühlen“.

Titelbild

Daniel de Roulet: Fukushima mon amour. Brief an eine japanische Freundin.
Übersetzt aus dem Französischen von Maria Hoffmann-Dartevelle.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2011.
48 Seiten, 4,99 EUR.
ISBN-13: 9783455403527

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