Käuferkonform kartoniert

Eine Sonderausgabe macht das „Handbuch der Kulturwissenschaften“ erschwinglich

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die kartonierte Sonderausgabe des bereits 2004 erschienenen „Handbuchs der Kulturwissenschaften“ unterscheidet sich vor allem durch den Preis – weniger als ein Drittel kostet die aktuelle Neuausgabe gegenüber der ursprünglich gebundenen; handlicher ist sie damit allerdings nicht geworden, im Gegenteil, denn die drei Bände sind kartoniert zwar anders unhandlich, aber ebenso (un)handlich wie das Original und stehen zudem schlechter im Regal.

So weit zu den Äußerlichkeiten. Inhaltlich ist alles beim Alten geblieben – leider, möchte man hinzufügen, wenn man bedenkt, dass es sich hier um ein Handbuch handelt, das per definitionem auch Nachschlagewerk sein soll – zum Leidwesen nicht nur der Rezensentin fehlt dazu allerdings ein Register. Auch ein zusätzliches Gesamtliteraturverzeichnis wäre wünschenswert gewesen, denn die artikelweise angehängten Literaturlisten haben zwar den Vorteil der thematischen und quantitativen Übersichtlichkeit, bieten dafür aber keinen allgemeinen Überblick.

Bei der Frage nach dem inhaltlichen Überblick gilt es zu bedenken, dass 2004 der Versuch, die zahlreichen Facetten der Kulturwissenschaft(en) unter den vielzitierten Hut zu bekommen, echte Pionierarbeit bedeutete. Dem Handbuch gebührt deshalb immer noch das Verdienst, ein theoriebasiertes Grundlagenwerk dieser ebenso neuen wie komplexen Disziplin (ist es eine?) zu sein. In drei aufsteigenden Ebenen (Band 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe; Band 2: Paradigmen und Disziplinen; Band 3: Themen und Tendenzen) konzentriert und kondensiert es Themen und Methoden. Die Komplexität dieses Unterfangens spiegelt sich bereits wider in der Anzahl der Autoren (gut 100) und der durch diese repräsentierten Fachbereiche, die sich von A (wie Ägyptologie) bis Z (wie Zentrum für Europa- und Nordamerika-Studien (ZENS)) erstrecken und allein schon dadurch zeigen, dass Kulturwissenschaft eine Disziplin mit verschiedensten Wurzeln ist (und sein muss) und dass die kulturellen Wechselwirkungen umso komplexer werden, je globaler sich die Welt darstellt.

Während der erste Band zunächst einmal Teilbereiche absteckt und Beschreibungsinventare liefert, setzt sich der zweite mit Erkenntnistheorie und Methodik auseinander und befasst sich mit den zentralen wissenschaftlichen Fragestellungen sowie den einzelnen kulturwissenschaftlichen Disziplinen. Hier zeichnet sich bereits der Spagat zwischen Theorie und Praxis ab, dem der dritte Band gewidmet ist, denn dort liegt der Fokus auf der (zu) einfach scheinenden Frage, was denn Kultur im globalen Zeitalter sei. Die Antworten darauf sind ebenso vielfältig wie komplex, ebenso spannend wie provisorisch. Daran hat sich seit 2004 nichts geändert, eher im Gegenteil: Das Postulat des Vorwortes, nachdem sich die Kulturwissenschaften in einer „ambivalenten Lage“ befinden, gilt heute mehr denn je; weder hat sich in der Zwischenzeit eine einheitliche Disziplin unter diesem Etikett konsolidiert noch haben sich die Überschneidungen zu den vor allem im angelsächsischen Raum beheimateten cultural studies abgrenzen lassen – beides wird auch in Zukunft kaum möglich sein. An diesem Punkt scheint das Handbuch die gangbarere Zukunftsvision zu unterstützen, nämlich die Einbindung von Kulturwissenschaften in verschiedene Disziplinen, was der Sache zwar deutlich gerechter würde, gleichzeitig aber eines übergeordneten Konzeptes bedarf, um Forschungsergebnisse zu bündeln und für alle beteiligten Bereiche zugänglich zu machen.

Dazu leistet das Handbuch zweifellos die notwendige Grundlagenarbeit. Zudem bietet es vielschichtiges Ausgangsmaterial für weitere Forschungen und Diskurse, die nicht zuletzt zum Ziel haben, nationale und sprachliche Grenzen der Geisteswissenschaften zu sprengen, um der modernen Welt gerecht zu werden. Doch hinter dieser löblichen und zeitgemäßen Absicht verbirgt sich – man ahnt es – auch eine große Gefahr, die man euphemistisch mit einer Redewendung umschreiben könnte, nämlich der von dem Wald und den Bäumen. Anders gesagt: Wollte man allem und jedem gerecht werden, ginge der Blick für das Ganze verloren. Und dies zeichnet sich bereits jetzt ab, denn die (zu) vielen Einzeldarstellungen verstellen nach und nach den Blick auf das Ganze. Es stellt sich also deshalb die Frage, inwieweit Kulturwissenschaft die untersuchten Frage- und Problemstellungen herunterbrechen kann/darf/soll auf Minderheiten- und individuelle Phänomene, ohne einen im Kontext noch gültigen wissenschaftlichen Anspruch aus den Augen zu verlieren. Damit steht sie symbolisch und exemplarisch für die Gesamtheit unserer modernen Welt, denn so bereichernd die Globalisierung auf der einen Seite auch ist, so individualistisch stellt sie sich auf der anderen dar – die Zukunft wird zeigen, wie viele Kulturwissenschaften sich langfristig daraus entwickeln.

Titelbild

Friedrich Jaeger / Burkhard Liebsch / Jörn Rüsen / Jürgen Straub (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. 3 Bände.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2011.
1820 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783476024008

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