Das Wunder von Opunake

Anthony McCartens früher Roman „Liebe am Ende der Welt“ besitzt bereits eine Menge jener Qualitäten, für die man den in Neuseeland geborenen Autor inzwischen auch in Deutschland liebt

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Erfolg von Anthony McCartens „Superhero“ (2007) hat der Zürcher Diogenes Verlag schnell nachgezogen. 2008 erschien „Englischer Harem“, ein Jahr später „Hand aufs Herz“ – und nun „Liebe am Ende der Welt“. Die Reihenfolge, in der die vier Romane in der deutschen Übersetzung von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié (Mitübersetzerin bei „Englischer Harem“ und „Superhero“) erschienen sind, entspricht allerdings nicht der Reihenfolge, in der sie der 1961 in New Plymouth/ Neuseeland geborene Autor geschrieben hat. Wenn sein Schweizer Verlag also einen „neuen McCarten“ ankündigt, ist durchaus Vorsicht geboten. „Englischer Harem“ zum Beispiel stammt im Original aus dem Jahr 2002, „Liebe am Ende der Welt“ – der englische Titel „Spinners“ erscheint mir weitaus treffender – ist gar schon 1999 publiziert worden. Weiß man Bescheid über diesen kleinen verlegerischen Trick, der es gestattet, den Markt immer weiter mit „neuen“ Büchern McCartens zu füttern, erklären sich auch die schriftstellerischen Qualitätsunterschiede der vier Texte wie von selbst. Und man begreift, warum das Romandebüt McCartens auch in der deutschen Übersetzung nicht an die drei anderen Bücher aus seiner Feder heranreicht. Allerdings: Selbst ein weniger guter McCarten vermag immer noch mit Witz, Einfallsreichtum, originellen Figuren und philosophischem Tiefgang zu punkten.

Diesmal freilich wird der Leser zunächst auf eine harte Probe gestellt. Denn in dem heruntergekommenen neuseeländischen Provinzstädtchen Opunake gehen seltsame Dinge vor sich. Ein Außerirdischer wird gesichtet und drei Mädchen, die fest an seine Existenz glauben, sind plötzlich schwanger. Da staunt nicht nur der Geistliche des Orts, sondern auch Bürgermeister und Ortspolizist, die das Gemeinwesen bisher ohne größere Probleme durch die Zeiten steuerten, müssen erhöhte Wachsamkeit demonstrieren. Könnte es doch durchaus sein, dass das veritable Wunder, welches sich im Schatten des Mount Taranaki ereignet hat, in Zukunft nicht nur mehr Touristen – die der Bürgermeister bisher vergeblich zu locken versuchte –, sondern auch mehr Diebsgesindel anzieht.

Zunächst freilich taucht nur ein abgehalfterter Skandaljournalist auf, der den Fall gern dazu benutzen würde, seine Karriere wieder zum Laufen zu bringen. Und der neue Bibliothekar des Ortes, Phillip Sullivan, interessiert sich für die 16-jährige Delia Chapman, die ihr Kind auf alle Fälle zur Welt bringen will, aus ganz eigennützigen Gründen.

„Liebe am Ende der Welt“ ist ein humorvolles Provinzporträt, das mit viel Wort- und Dialogwitz die vielerlei Beziehungen aufdeckt, die in einer Gemeinde existieren, in der jeder jeden kennt. McCarten hat Gelegenheit, mit seiner Fähigkeit, skurrile Szenen und Momente zu erfinden, aufzutrumpfen. Doch spürt der Leser auch schnell, dass sich hinter der verrückten Geschichte mit dem UFO und Delias Schwangerschaft mehr verbirgt, als das Mädchen und seine Freundinnen preiszugeben bereit sind. Da scheint es zum einen zwischen Delia und ihrem jähzornigen Vater Spannungen zu geben. Aber auch das anfangs feste Zusammenstehen der drei Freundinnen fängt an zu bröckeln, als diese merken, dass man es durch mediale Präsenz durchaus schaffen kann, aus einer Gegend wegzukommen, in der soeben der letzte Arbeitgeber seine Tore dicht macht.

Zum Schluss hin bekommt McCartens Roman fast die Dynamik einer Kriminalgeschichte. Denn natürlich gibt es für Delias Schwangerschaft eine völlig rationale, wenn auch tragische Erklärung. Und auf einmal ist der schüchterne, mehr in der Welt seiner Bücher als in der Realität lebende Bibliothekar – wohl die interessanteste, komplexeste und liebenswerteste Figur des Buchs – gefordert, seine „Liebe am Ende der Welt“ tatkräftig unter Beweis zu stellen.

Titelbild

Anthony McCarten: Liebe am Ende der Welt. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Manfred Allié.
Diogenes Verlag, Zürich 2011.
360 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067644

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