„… zuviel Glück auf einmal ist schädlich“
Liliana Corobca taucht mit ihrem kleinen Roman „Ein Jahr im Paradies“ in ein höllisches Leben ein
Von Anke Pfeifer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSonia hat die Aufnahmeprüfung für das Studium nicht bestanden. Was nun, zurück in ihr Dorf? Aber was soll sie dort machen? Sie ist verzweifelt. Doch dann sitzt plötzlich ein unbekannter Mann neben ihr auf den Eingangsstufen des Universitätsgebäudes und eröffnet ihr eine verheißungsvolle Perspektive: Ein Jahr lang im Ausland arbeiten, schönes Geld verdienen und dann studieren, was sie möchte. Er könne ihr dabei behilflich sein und eine Arbeit verschaffen, nur solle sie niemandem von ihrem Plan erzählen. Sonia lebt auf. Mit dem Geld wäre sie dann nicht auf einen der wenigen staatlich finanzierten Studienplätze angewiesen, ja sie könnte sogar noch die Familie unterstützen. Das Mädchen macht sich hoffnungsfroh auf den Weg in der Annahme, Alte oder Kinder zu pflegen oder in einer Fabrik zu arbeiten. Doch sie landet, wie eine ganze Anzahl anderer junger Frauen, in der Bar „Paradies“, die ein herrlicher Ort für die Kunden sein mag. Für das Leben der dort als Prostituierte Festgehaltenen ist dieser Name allerdings nur ein zynischer Euphemismus. Und dieser Schuft Pavel, dem Sonia vertraute, in den sie sich gar verliebt hatte und von dem sie ihre Rettung aus dieser Hölle erhofft, macht in diesen schwierigen Zeiten eben nur seinen Job.
Vor kurzem ging eine Meldung durch die Presse, dass die britische Polizei Männer, unter anderem aus Osteuropa, befreit hat, die wie Sklaven gehalten und zur Arbeit gezwungen wurden. Bekannt sind ähnliche Fälle in der Zwangsprostitution. Eben diesem Thema nimmt sich Liliana Corobca an, die aus einem Dorf in der Moldauischen Republik stammt, einem Land, wo Armut und Perspektivlosigkeit verbreitet sind und Arbeitsmigration ins Ausland eine Verbesserung der materiellen Situation verspricht. In Halbsätzen wie „… sie waren alle gegangen.“ drückt die Autorin das ganze Dilemma in ihrer Heimat aus.
Corobca schildert eine grausame, ja schier unvorstellbare Welt, ohne sich dabei in die Darstellung von schockierenden Details zu verlieren. Vor den Augen des Lesers ersteht eine fiktive Lebensrealität, die mitunter bis ins Surreale gesteigert scheint. Jedes der Mädchen in dieser abgeschlossenen Welt des Bordells hat ihr eigenes Schicksal. Im Verlaufe der Erzählung werden immer dramatischere Lebensgeschichten geschildert. Da ist Nina, die in Italien geputzt und auf Heirat gehofft hatte, Lenutza, die über eine Heiratsvermittlung einen Franzosen kennen lernte, der sie an eine Pornofilmproduktion verkaufte, oder Sveta, die von ihrem Dienstherren sexuell benutzt und vorsätzlich geschwängert wurde, um dem ungewollt kinderlosen Ehepaar zu einem Kind zu verhelfen. Sie alle suchten einen Ausweg aus ihrem kümmerlichen Dasein, suchten die Liebe und ein Auskommen, also ein kleines Glück, und gerieten gegen ihren Willen in diese Falle, wo sie brutaler Behandlung ausgesetzt sind. Auf unterschiedliche Art versuchen sie nun, mit diesen traumatischen Erlebnissen umzugehen. Sie flüchten in Träume oder in den Alkohol. Immer wieder hegen sie Selbstmord- oder Fluchtgedanken. Mit Gesprächen, in denen sie aus ihrem Leben berichten, mit dem Erzählen von Märchen, mit kleinen Zeichnungen sowie aufopferungsvoller gegenseitiger Hilfe geben sie sich dennoch gegenseitig Kraft. Die ersehnte Rettung – Loskauf durch einen Freier, der den Mädchen als liebender Mann erscheint – wird nur einigen von ihnen zuteil und es bleibt ungewiss, ob damit nicht ein weiteres Martyrium beginnt. Und Sonia wartet unbeirrbar auf Pavel.
Die Autorin präsentiert eine zweigeteilte Welt, die nahezu klischeehaft in ihrer Rollenverteilung wirkt und das kritische Anliegen der Autorin nur zu deutlich macht: Auf der einen Seite die Frauen als Opfer, deren anfängliche Naivität beinahe unglaubwürdig, doch aus ihren Lebensumständen erklärbar scheint. In der Schicksalsgemeinschaft sind sie untereinander solidarisch, mitfühlend und fürsorglich. Auf der anderen Seite stehen die Männer als berechnende Täter, die drohen, schlagen, vergewaltigen und die Mädchen als Ware behandeln. Gegen Brutalität und Verachtung werden Zuneigung, Vertrauen und Zärtlichkeit aufgeboten.
Lesen sich die ersten Seiten noch etwas holprig – Ernest Wichner als ausgewiesener Übersetzer trifft auch leider nicht immer ganz die richtige Stilebene und bleibt mitunter zu dicht am Originaltext –, so gewinnt die Lektüre schließlich an Fahrt und zieht den Leser – nicht zuletzt auch durch das häufig eingesetzte erzählende Präsens – mitten hinein in den trostlosen Alltag dieser kleinen Gemeinschaft, die trotz und gerade wegen ihrer Ausnahmesituation Menschlichkeit bewahrt.
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