„Kleists britische Gegenwelt“ – Rüdiger Görners Studie „Gewalt und Grazie. Heinrich von Kleists Poetik der Gegensätzlichkeit“ ist pünktlich zum 200. Todestag des Dichters erschienen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die letzten Worte von Rüdiger Görners im Universitätsverlag Winter erschienener Studie „Gewalt und Grazie. Heinrich von Kleists Poetik der Gegensätzlichkeit“ lauten: „Die beiden wichtigen biografischen und monografischen Arbeiten von Günter Blamberger („Heinrich von Kleist“, 2011) und von Walter Hinderer („Vom Gesetz des Widerspruchs. Über Heinrich von Kleist“, 2011) konnte ich leider erst nach Abschluss meines Manuskripts einsehen. Nur deswegen bleiben sie hier unberücksichtigt.“

Damit wäre eine der größten Schwierigkeiten des Kleist-Jahres 2011 benannt, die wohl alle diejenigen Autoren zu vergegenwärtigen hatten, die pünktlich zum 200. Todestag des Schriftstellers ein Buch vorbereiteten: Sie waren damit unter Zeitdruck – und vor allem waren sie damit nicht allein.

Es gibt aber noch ein weiteres Zeit-Problem: das der Rezensenten. Waren sie doch lektüretechnisch sogar noch viel mehr gehetzt vor lauter Kleist-Neuerscheinungen, weil bei ihnen auf einmal ganze Stapel von Büchern auf den Schreibtisch gepackt wurden. Jetzt ist bereits November, und der Redaktion liegt mittlerweile auch Görners soeben eingetroffenes Buch vor. Möglich ist an dieser Stelle also leider nur noch ein kurzer Hinweis für die aktuelle Ausgabe: Der Autor spielt in seinem schmalen Band kapitelweise „Ästhetische Konstellationen“, „Dramatische Gegensätzlichkeiten“, „Komische Auflösungen“ sowie das „Gegensätzliche als Idylle“ in Kleists Werk durch, wobei der Literaturwissenschaftler – wie die eingangs zitierte Bemerkung im Anhang bereits unterstreicht – redlichst bemüht ist, in seiner tour d’horizon durch Kleists Werk den allerneuesten Stand der Forschung zu berücksichtigen. Dabei baut er nicht zuletzt auch auflockernde Querverweise zur deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts ein, etwa zu Dagmar Leupolds Kleist- und Ulrike-Meinhof-Roman "Die Helligkeit der Nacht" (2009).

Nicht zuletzt hat der renommierte, in London lehrende Literaturprofessor „Kleist britische Gegenwelt“ ins Auge gefasst, etwa in Form von Samuel Richardons Vergewaltigungs-Roman „Clarissa“ aus dem 18. Jahrhundert und seiner möglichen Vorbildfunktion für Kleists „Marquise von O…“. Besonders diese komparatistischen Aspekte der Arbeit könnte neue, beachtenswerte Akzente in der Forschung setzen.

J.S.

Titelbild

Rüdiger Görner: Gewalt und Grazie. Heinrich von Kleists Poetik der Gegensätzlichkeit.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2011.
282 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783825359294

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