Wer hat Angst vor Shrek & Co.?

Ein Sammelband beleuchtet Konstrukte des Monströsen in Literatur, Film und Fernsehen

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Monster sind in mehrfacher Hinsicht ein delikater Untersuchungsgegenstand der Kulturwissenschaft. Sie verkörpern „Außenseiter“ (Hans Mayer), also einen Ernstfall der gescheiterten Aufklärung. Monster weichen von der „Norm physischer Integrität“ ab (Hans Richard Brittnacher), sie bewegen sich jenseits des gesellschaftlich Tolerablen, in Tabuzonen; ein Monster ist das, „was das Unmögliche und das Verbotene kombiniert“ (Michael Foucault). Nicht zuletzt sind sie ein Kinder wie Erwachsene angstlustartig faszinierendes Wahrnehmungsphänomen, was mindestens zwei Fragen aufwirft: Warum weiß das Monster nichts von seiner Monstrosität? Und wie kommt es, dass der Zuschauer (oder Leser) oft genug zum „Komplizen“ des Monsters wird, was es ihm erlaubt, mit „doppeltem Vergnügen“ an der „Lust des Täters und dem Schmerz des Opfers teilzuhaben“?

An diesen Fragen arbeitet sich der von Sabine Kyora und Uwe Schwagmeier herausgegebene Sammelband „How To Make A Monster“ mit vielen Ideen ab. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage der kulturwissenschaftlichen Rekonstruktion des Monströsen in Literatur und Film. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass das Monströse, das seit der Antike in den klassischen Grundfigurationen des Vampirs, des Hybridwesens, des künstlichen Menschen auftritt, um 1800 mehr und mehr als imaginäres Monster in die fantastische Literatur einwandert. Der Eindruck des Monströsen entsteht durch das, was den Sinnen nicht mehr (oder noch nicht) unmittelbar zugänglich ist. Monster erwachsen aus Grenz- und Schwellenräumen, sie markieren binäre Oppositionen (Schönheit – Hässlichkeit, Innen – Außen, oben – unten). Sie sind Identitätsstörenfriede, weil es ihnen an der Eindeutigkeit einer (geschlechtlichen, seelischen, sozialen) Identität gebricht. Zudem verstößt das Monster gegen die ästhetische Ordnung der Dinge, gegen narrative Disziplin und sprachliche Regeln.

Die einzelnen Beiträge des Bandes entfalten ein Kaleidoskop der Monster, von den Wiedergängern und Untoten über Werwölfe, den Golem, die Alraunen, die Zwerge, die Weiße Frau bis zu Godzilla und Animationsmonstern wie Shrek. Wenn es so etwas wie eine Hauptthese gibt, so die, dass den Lesern oder Zuschauern mit den Monstern etwas gezeigt, im Wortsinne also etwas de-monstriert werden soll, etwa – so Hans Richard Brittnacher in dem sehr lesenswerten Schlussaufsatz – die Fragwürdigkeit der „prätendierte(n) Güte des Guten“ und die Destruktivität der Hetzmeuten, die dem Monster am Ende meist den Garaus machen.

Eine Reihe interessanter Beiträge widmet sich strukturellen Eigenschaften der Ausgeburten des Bösen in der Literatur. So erscheint das Monströse in Jeremias Gotthelfs Erzählung „Die Schwarze Spinne“ (1842) in unheimlicher Nähe zur Biedermeieridyllik als epidemisches Konstrukt, das – so Ingo Uhlig – als symbolisch überdeterminierter Nichtwissensgegenstand auf Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ (1912) vorausweist. Sabine Doering widmet sich umsichtig der kulturhistorisch spannenden Zusammenführung des künstlichen Menschen Homunculus mit dem Gestaltwandler Proteus in Goethes „Faust II“: Das Zuwenig und das Zuviel an Gestalt führe hier zu einer „ausgeglichene(n) morphologischen Bilanz“. Torsten Voß lässt seine gendertheoretischen Überlegungen zur „Weißen Frau“ bei Laun, Grillparzer und Storm in die Provokation münden, „mit einem ,Weißen Gespenst‘ namens Effi einen Fontane-Roman zur Geschlechterdifferenz im ausgehenden 19. Jahrhundert beginnen zu lassen“ – die gänzlich unmonströse Alternative dazu wäre die emanzipierte, ihre Demütigungen überlebende Effi in Hermine Huntgeburths Filmadaption aus dem Jahr 2009.

Die zweite Beispielreihe gilt dem Film. Hier stehen naturgemäß Vampirfilme im Mittelpunkt, die auf Stokers „Dracula“-Roman zurückgehen. Annette Simonis untersucht mediale und ästhetische Selbstreflexion in E. Elias Merhiges Film „Shadow of the Vampire“ (2000). Katrin Schumacher stellt die beunruhigende Frage, was geschieht, wenn der „eigentliche Horror“ sich nicht im Film abspielt, sondern in einem nicht situierbaren, Zeit- und Raum-Zuordnungen verweigernden Imaginationsraum; in David Lynchs „Mulholland Drive“ (2001) erscheine das Monströse daher „im Medium bzw. ist das Medium“. Claudia Liebrand („Godzilla und seine Kinder“) und Stefan Neuhaus (über „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ und „Frankenstein“) betonen Aspekte der Entmelodramatisierung und der Vermenschlichung des Monsters. Diese Tendenz führt letztlich zur ,Entmonsterung‘ des Monsters etwa in der „Shrek“-Tetralogie (2001-2010), in der ethische und psychologische Normen das ästhetische Koordinatensystem domestizieren. Das dokumentiert auch der „Monsterzoo“ (Andreas Walker) in populären Fernsehserien wie „Akte X“ oder „Supernatural“.

Je sichtbarer und wissenschaftlich erfassbarer das Monster wird, so könnte man zusammenfassen, um so mehr verliert es seinen ursprünglichen Schrecken. Von dem Schauder des ersten „Alien“-Films (1979), der das Ungetüm erst am Ende ins Bild bringt, ist vielerorts nur ein leichtes Schauern übriggeblieben. Das Monströse wird zum Stoff auch für die Komödie. Der Sammelband zeichnet diese sozusagen figurengeschichtliche Entwicklung sorgsam nach. Ein anregendes und facettenreiches Buch, das kulturwissenschaftliche, semiotische und ästhetikgeschichtliche Blicke auf das Monster in den Medien Film und Literatur wirft. Und wenn man etwas vermissen sollte, dann den mangelnden Einbezug der wegweisenden Studien von Jeffrey Cohen (wie etwa „Monster Theory. Reading Culture“, 1996), der jedes Monster als Verkörperung der Kultur ansieht, die es gebiert.

Titelbild

Sabine Kyora / Uwe Schwagmeier (Hg.): How to make a monster. Zur Konstruktion des Monströsen.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2011.
248 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783826046629

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