Zur Kritik an meiner Döblin-Biografie
Eine Erwiderung auf Christina Althen
Von Wilfried F. Schoeller
In der ersten Ausgabe von „Literaturkritik.de“ des neuen Jahres hat Christina Althen meine bei Hanser erschienene Döblin-Biografie kritisiert. In knapperen Sätzen hatte sie das bereits im „Saarländischen Rundfunk“ getan.
Frau Althen spricht eingangs vom „Wagnis“ einer solchen Biografie, lässt aber nicht erkennen, worin es besteht. Da gibt es nur Leerwörter wie „schwierig“ oder man benötige „einen besonderen Zugriff“. Das Döblin’sche Universum enthält ein Riesenregister an Tätigkeiten und Interessen, des Diversen, der Polarität, der Gegensätze und der Paradoxien. Es beschreiben zu wollen, ist ein schwer zu kalkulierendes Experiment. Die Bemessung dieses Wagnisses hätte Frau Althen geradezu automatisch zu der Frage geführt, warum sich in fast vierzig Jahren niemand aus der Döblin-Forschung daran gemacht hat. Nun ruft Frau Althen schon nach einer nächsten Biografie und winkt meine durch. Aber es gibt in diesem Rayon, der von ihr seit langer Zeit mitorganisiert wird, nicht einmal einen kritischen Bericht über die Gesamtforschung.
Stattdessen die übliche, leerlaufende Routine beim Maßnehmen: Druckfehler, Flüchtigkeiten, das Versehen eines falschen Vornamens, Sätze, die man zum Strauß der Stilblüten binden will, die Anmerkungen. Mit gleichem Recht könnte man die von Christina Althen verantworteten Döblin-Editionen absuchen und hätte dennoch von ihrer Leistung nichts erfasst.
Abwegig ist die Unterstellung, ich hätte mich „manchmal etwas zu detailliert“ mit dem Kulturpolitiker Döblin, einer Zentralsonne des Weimarer Literaturbetriebs, befasst, weil ich sieben Jahre lang Generalsekretär des PEN war. Mit gleichem Recht könnte man dem Koch vorwerfen, dass er sich zu lange in der Küche aufgehalten habe. Der Grund für diesen Nachdruck ist simpel: es gibt bisher keine zusammenhängende Darstellung darüber.
Wenigstens eigenartig ist der Vorschlag, ich hätte über die stilistische Wandlungsfähigkeit Döblins schreiben sollen, wenn zweihundert Seiten meines Buches dem „Proteus“ und „Verwandlungskünstler“ gelten. Mit Verlaub: ich habe eine Biografie und nicht eine Stilkunde geschrieben.
Frau Althen vermisst in meinem Buch die Würdigung von Ironie und Humor Döblins. Gegen diese Auffassung hülfe ein simples Textfindungsprogramm. Man stieße auf manche ausgesprochene Lieblingswörter des Biografen wie zum Beispiel auf „Ironie“.
Worüber hat Döblin mit seinem halbwüchsigen Sohn Wolfgang im Radio gesprochen? Gerne hätte ich es erfahren, aber es gibt keinen Mitschnitt der Sendung. Nur meine Kritikerin ist im Bilde: sie kramt in Aufzeichnungen, die Döblin vor der Sendung gemacht hat (die mir auch nicht unbekannt sind), und hält sie für das gesprochene Wort. Wäre sie mit Radioarbeit ein wenig besser vertraut, wüsste sie, dass das Leben vor dem Mikrofon immer anders verläuft als am Schreibtisch vorab notiert. Also: es bleibt bei meiner Behauptung.
Verdutzt bin ich darüber, dass ich Ausführungen über die Romane Döblins weglassen soll, weil es über sie brauchbare Sekundärliteratur gibt. Das heißt wohl die Verordnung von Scheuklappen gegenüber den einzelnen Romanen, „um das poetische Ingenium besser herauszuarbeiten“. Das ist ein Vorschlag zur Verarmung.
Im übrigen hat es Aristoteles nicht verdient, dass er gegen mich in Stellung gebracht wird. Ich habe mich um die schlichte Wahrheit bemüht, dass sich Döblin oft als Organ eines ihn überwältigenden Schreibprozesses versteht. Entscheidend für meine Darstellung ist die Konstellation, die sich als Modell in diesem Meer an Einzelheiten abzeichnet: der Autor vor seinem Werk, seinem Gegenüber, inmitten seiner Figuren. Der Autor als Akteur, der handelt, indem er schreibt, aber auch derjenige, der von seinem Werk gelesen und gezeichnet wird.
Geradezu erschüttert zeigt sich Christina Althen von meinen Fragen, ob Döblins Christentum am Schluss nicht doch manch Schütteres enthalte, manche Glaubensgewissheiten verblassten. Aus Fragen macht sie „Thesen“. Offensichtlich habe ich einen Tabuzaun beschädigt. Dennoch bestehe ich auf meinem guten Gewissen: Döblins Suche nach Spiritualität, auch nach christlicher, sogar nach einer sozialistischen wie durch Gustav Landauer verkörpert, habe ich in allen relevanten Texten beschrieben – samt der Glaubenswechsel, die er vollzogen hat. Und wie deuten wir das Schlusswort Döblins in den Aufzeichnungen „Vom Leben und Tod die es beide nicht gibt“, die er nur noch diktieren konnte: „Aber was habe ich denn? Antwort: Nichts. Das ist auch etwas, ein Vorgang, der mit dem Ichgefühl verknüpft ist, ein völlig durchsichtiger Vorgang. Auf diesen Punkt also bin ich geführt.“
Warum nur die Aufregung, das Wedeln mit einem der Privatbriefe, die mir Stephan Döblin, der letzte lebende Sohn Alfred Döblins, geschrieben hat?
Ich werde den Verdacht nicht los, Christina Althen will einen Bezirk einfrieden, den ich unberechtigterweise betreten habe. Die Döblin-Forschung, in der Christina Althen eine herausragende Stimme hat, muss sich die Frage stellen, warum sie es wohl nicht geschafft hat, in die literarische Öffentlichkeit zu wirken, wie es den Deutern Thomas Manns immer wieder mühelos gelingt. Mehr als Gesten der wissenschaftlichen Selbstverteidigung sind nötig, um diese Probe zu bestehen. Meine Biografie stellt sich in diesen Dienst.
Mein Plädoyer gilt einer Neuorientierung auf die empirisch fassbaren Konturen im Reibungsfeld seiner „Tatsachenphantasie“. Alfred Döblin steht nicht wie sein Gegenspieler Thomas Mann geradezu körperlich vor seinem Werk und bindet es zusammen. Er ist nicht wie jener ausgestattet mit der Autorität eines Klassikers und mit einem Fundus an lebensgeschichtlichem Material, das ihm auch posthum Präsenz sichert. In dieser Hinsicht ist viel nachzuholen und meine Biographie soll zur Neugier über ihre Ergebnisse hinaus verleiten. Diese Neugier könnte uns mehr verbinden als Frau Althen gegenwärtig Glauben macht.
Anmerkung der Redaktion: Nach der Publikation der Kritik von Christina Althen bat uns Wilfried F. Schoeller, seine Erwiderung in unserer Zeitschrift zu veröffentlichen.