Licht durch Farben darstellen

Mit dem monografischen Band „Claude Lorrain – Die verzauberte Landschaft“ wird einer der wichtigsten Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts gewürdigt

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nun ist sie in Frankfurt am Main angelangt, die große Claude-Lorrain-Schau, die das Städel-Museum zusammen mit dem Ashmolean Museum in Oxford in einem umfangreichen Forschungs- und Ausstellungsprojekt vorbereitet hat. Etwa 130 Werke aus allen Schaffensperioden des großen französischen Barockkünstlers, der in allen drei Medien – Malerei, Zeichnung und Druckgrafik – Herausragendes geschaffen hat, werden bis zum 6. Mai gezeigt. Man geht durch die Säle im Obergeschoss des Ausstellungshauses und ist wie verzaubert von seinen idealisierten Landschaften, die durch ihre genaueste Planung doch so natürlich erscheinen. In der Verbindung von Wirklichkeit und Poesie liegt die Poesie seiner Werke begründet. Wie kaum ein anderer verstand es dieser Künstler, Licht durch Farben darzustellen, und seine weiträumigen grandiosen Landschaftsgemälde mit biblischer und mythologischer Staffage haben ihre Luft und Frische über die Jahrhunderte hinweg nicht verloren. Sie hätten „die höchste Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit“, sagte Goethe über dessen Bilder, hier „erklärt sich die Natur für ewig“. Claude Gellée, genannt Le Lorrain („der Lothringer“), erhob die Landschaft zum Traumbild, verwandelte das Licht in flimmernden Glanz, und die Gestalten erscheinen wie hingetupfte Farben, die das Bild beleben. Claude Lorrains Gemälde könnten als sein Spiegelbild bezeichnet werden, ihre Zwiegespräche zwischen Nähe und Ferne, das Geheimnis im Kern ihres Lichtes könnte er selbst sein.

Claude Lorrain folgte schon früh dem Ruf in die Ewige Stadt Rom, fand im Hause des Malers Agostino Tassi Aufnahme, betätigte sich dann als selbständiger Freskenmaler und kehrte nach Aufenthalten in Neapel und Nancy 1627 endgültig nach Rom zurück. Zu seinen Landschaftsdarstellungen mit leuchtendem, weitem Himmel und in Sonne getauchten Horizonten gesellten sich als Gegenstücke Küstenansichten mit durchkomponierten Schiffskonstruktionen und geometrischen Szenerien hinzu. Den von ihm einmal als richtig erkannten Idealen verpflichtet, entwickelte er die Landschaftsmalerei zu höchster Vollkommenheit und sprengte ihre bisherigen Grenzen. Er gilt als Wegbereiter für Maler wie John Constable, William Turner und Camille Corot, und auch heute noch wird jeder Italienreisender die Stimmung seiner Landschaften wiederfinden.

Der von Martin Sonnabend und Jon Whiteley herausgegebene Katalog entspricht einer monografischen Darstellung des Künstlers, in dessen weiten, unverstellten, von einer milden Stille erfüllten Landschaften alles Ruhe, Frieden und Gelassenheit atmet. Text und Bild greifen in beeindruckender Weise ineinander über. Martin Sonnabend würdigt Persönlichkeit und Werk Claudes in einem grundlegenden Beitrag. Christian Rümelin untersucht die Landschaftsradierungen Claude Lorrains und sieht dessen druckgrafische Produktion sowohl als eigenständiges Medium als auch als Möglichkeit an, Werke kostengünstig zu vertreiben und die Bekanntheit des Künstlers zu steigern. Ausführlich wird der Katalog der Gemälde, Zeichnungen und Radierungen von Martin Sonnabend und Jon Whiteley kommentiert.

Schauen wir uns in dem Band exemplarisch drei Gemälde an. „Landschaft mit einem Ziegenhirten“ (um 1634): In einer idyllischen Fluss-Landschaft spielt ein junger Hirte vor den lagernden Ziegen die Schalmei. Das typische Lorrain’sche Repertoire ist vorhanden: Architektur im Hintergrund, die Ziegen und der Hirte im rechten Vordergrund, umrahmt von großen Bäumen, und das klare, weiche Morgenlicht, das über allem liegt und alles verwandelt. Geht die Landschaftsdarstellung auf unmittelbare Anregungen aus der römischen Campagna zurück oder ist sie ganz aus der Vorstellungskraft des Künstlers entstanden? Denn später hat er in einer Vorzeichnung mit einer einfachen perspektivischen Darstellung die Landschaft in den großen Linien mit Feder und Tusche bereits angelegt; nur noch in den Details gab es dann Abweichungen.

„Die Verstoßung der Hagar“ (1668): Die Magd Hagar und der gemeinsame Sohn Ismael ist von dem jüdischen Patriarchen Abraham auf Betreiben von dessen eifersüchtiger Frau aus dem Haus gejagt worden. Beide sind fast am Verdursten, da erscheint ihnen ein Engel und weist den Weg zur rettenden Quelle. Diese Landschaft findet ihre Fortsetzung in einem anderen Gemälde, dem von rechts einfallenden Morgenlicht des einen entspricht die Mittagshitze auf dem anderen Bild. Beide Kompositionen sind in ein mildes Licht getaucht, das sie zugleich zusammenfügt und unterscheidet, ihnen jeweils Tiefe verleiht und eine Vielzahl von Bildebenen erschließt. Erst in den 1660er-Jahren hatte sich Claude Lorrain eine Freiheit und Kühnheit erarbeitet, die es ihm ermöglichten, diese grandiosen Landschaften zu schaffen: Der Zeit enthobene Werke, die reinste Poesie atmen, entstanden aus einer Träumerei, die sich der Wirklichkeit entzieht.

„Christus erscheint Maria Magdalena (Noli me tangere)“ (1681): Dieses bewegende Gemälde, im Besitz des Städel-Museums, ist kurz vor Claude Lorrains Tod entstanden: Am Ostermorgen haben die beiden Marien das Grab Christi aufgesucht und es leer gefunden. Ein Engel erscheint und verkündet ihnen die Auferstehung. Maria Magdalena glaubt den Gärtner zu erkennen und fragt ihn nach dem Leichnam Christi. Der antwortet: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zum Vater aufgestiegen“. Durch den Spaten des in der Gestalt des Gärtners erscheinenden Christus und das Salbgefäß der Maria Magdalena ist die Szene eindeutig zu identifizieren. Dem zentralen Baum als Symbol des Lebens stehen die Holzkreuze auf Golgatha gegenüber. Das Morgenlicht ist auf der linken Seite besonders eindringlich, während über Golgatha tiefe Wolken hängen. Die silbrig schimmernde Landschaft mit ihren vollen Grüntönen ist hier mit dem heiligen Geschehen in einem seltenen Maße zu einer Einheit verschmolzen. Nur ein hochbetagter Maler, der zu dieser Zeit nur noch für die Kunst lebte, konnte ein solches Meisterwerk in seiner Kühnheit und Unbefangenheit schaffen.

Mit flüssigen und teilweise sehr feinen Federstrichen und Lavierungen hat er nach der Natur und nach Bauwerken bis ins Alter hinein gezeichnet, und so sind eine Reihe wunderbar atmosphärischer, lavierter Landschaftszeichnungen entstanden, während mitunter seine Figuren als recht unbeholfen erscheinen und doch eine gewinnende Natürlichkeit besitzen. Anders als sein Künstlerkollege Nicolas Poussin, dessen Zeichnungen sparsam und funktional sind, reagierte Lorrain auf die poetische Schönheit der Welt, zu der seine Zeichnungen einen Zugang eröffneten. Von seinen Naturzeichnungen vermochte er sich nur ungern zu trennen, doch von seinen Kompositionszeichnungen hat er Repliken und Varianten zum Verkauf hergestellt. Er hat Blätter zusammengefügt oder sie in zwei Teile zerschnitten; er arbeitete mit Motiven, die ihm bereits zur Verfügung standen. Seine Kunst entfaltete sich in einem Prozess von Varianten. So entwickelte sich das Thema des Tanzes in einer Landschaft, das ihn während seines ganzen Lebens beschäftigte, von einem Gemälde zum nächsten durch weitgehend auf früheren Werken beruhende unterschiedliche Kombinationen von Figuren und Landschafen, die er in vorbereitenden Zeichnungen auf ihre Wirkung hin erprobte. Die Radierung nutzte er zum freien Umgang mit eigenen Bilderfindungen, für die angemessene Umsetzung von Stimmungen in einem anderen Medium. So wurde bereits in der frühesten Radierung, „Der Sturm“ von 1630, die bewegte Seelandschaft zum Spiegel seelischen Erlebens.

Titelbild

Claude Lorrain: Die verzauberte Landschaft.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012.
252 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783775732284

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