Über Paare und Pärchen

Varianten sprachlicher Diskriminierung von Lesben und Schwulen

Von Luise F. PuschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luise F. Pusch

Zwei meiner Freundinnen versorgten mich letzte Woche mit Glossenstoff, ganz unabhängig voneinander, aber in meinem Kopf verbanden sich beide Geschichten bald zu einem einzigen Thema, nämlich: sprachliche Diskriminierung von Lesben und Schwulen, einst und jetzt, grob und subtil.

Berit hatte einen alten Ullstein-Krimi von 1970 mitgebracht, „Keine Schonzeit für Widder“, geschrieben von einem Tucker Coe (eins der Pseudonyme des kürzlich verstorbenen Donald E. Westlake). Sie habe ihn von einer Freundin geschickt bekommen, mit dem Kommentar, der Krimi gehöre in den Müll, sei aber auch ein interessantes Beispiel für eine Art von Diskriminierung, die so unverhohlen wohl heute nicht mehr vorkäme. Also ein klarer Beleg dafür, dass sich doch was zum Positiven verändert hat.

Ich las die ersten Seiten des Buchs und stellte fest, bei der Diskriminierung handelte es sich nicht um Sexismus, wie ich sofort gedacht hatte, sondern um Heterosexismus, genauer: Hass auf Schwule. Da finden wir Bemerkungen wie diese:

„Sein […] Jackett war aus einem weichen cashmereähnlichen Material. Es war sehr tailliert geschnitten und machte deshalb breite Hüften.

Auf dem Holzgeländer der Kellertreppe erschien jetzt eine Hand. Wie alles an meinem Besucher wirkte auch sie auffallend feminin; die Finger glichen kleinen, rosigen Würstchen. […] Und schlagartig begriff ich wer – beziehungsweise was – er war. […] In meinen achtzehn Dienstjahren […] war ich zwar niemals dem Sittendezernat zugeteilt gewesen, hatte aber ganz unvermeidlich oft genug mit Homosexuellen zu tun gehabt und eine gute Nase für sie entwickelt.“

Der Detektiv und Held des Romans kann also Homosexuelle regelrecht riechen, und ähnlich geht es munter fort mit den toxischen Stereotypen.

Dennoch sollte der Autor nicht mit den Ansichten seines Helden identifiziert werden. Es handelt sich um Rollenprosa, und der Held des Krimis gibt nur die gängigen Vorurteile seiner Zeit zum Besten. Das Anliegen des Romans mag dabei ein ganz anderes, vielleicht sogar emanzipatorisch sein. Um das herauszufinden, hätte ich weiterlesen müssen, aber dazu hatte ich keine Lust. (Inzwischen habe ich doch noch ein bisschen weitergelesen, und meine Vermutung hat sich bestätigt. Der Roman zeigt ungewöhnliche Empathie für die Opfer der Homophobie; die mitfühlende Ehefrau des Detektivs bringt ihren Mann dazu, sich für den verfolgten und geschundenen Schwulen einzusetzen.)

Julia schickte mir einen Artikel aus „Das Magazin“ (Beilage einiger Schweizer Zeitungen) von Sven Behrisch über Masha Gessen, die russische Journalistin und Putin-Gegnerin, deren Buch „Der Mann ohne Gesicht: Wladimir Putin – Eine Enthüllung“ soeben im Piper-Verlag und zeitgleich in 16 Sprachen bei 16 anderen Verlagen erschienen ist. Ich lese mit Interesse den informativen Bericht über diese todesmutige Journalistin, von der ich zuvor noch nie gehört hatte. Gessen ist Lesbe (Behrisch schreibt „Lesbierin“ und zeigt damit, dass er sich nicht auskennt) und lebt mit ihrer Partnerin und deren drei Kindern in einer Eigentumswohnung im Moskauer Stadtzentrum. Behrisch äußert Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Engagements der – wie er uns glauben machen will – in westlich-dekadentem Luxus schwelgenden Journalistin Masha Gessen:

„Man fragt sich: Ein Lokal wie dieses, der Ober in Livree, der den Café au Lait serviert, wahlweise mit braunem oder weissem Zucker; danach der tägliche Gang ins Fitnessstudio und mit dem eigenen Auto über breite, schlaglochfreie Straßen ins Büro, wo viel Arbeit wartet, aber auch ein sehr gutes Gehalt; die Tatsache, dass sie – unvorstellbar zu Sowjetzeiten – mit ihrer Partnerin als lesbisches Pärchen unbehelligt leben und arbeiten kann, wie passt das zu einem Despoten an der Spitze des Staates?“

Und Behrisch erfährt von Gessen: „Das alles gibt es trotz, nicht wegen Putin. Und wenn es so weitergeht, dann nicht mehr lange.“

Dies ist nun keine Rollenprosa, hier spricht der Autor persönlich. Und was er spricht, gibt mir einen Stich. Wieso erdreistet er sich, Gessen und ihre Partnerin als „lesbisches Pärchen“ zu bezeichnen? Offensichtlich sind die beiden ein Paar, kein Pärchen. Behrisch aber wählt diese herablassende Bezeichnung ohne ersichtlichen Grund. Entweder hat er sie absichtlich platziert, um seine Distanz zu Lesben zum Ausdruck zu bringen, oder sie ist ihm „unterlaufen“. Wenn sie ihm „nur unterlaufen“ ist, so bedeutet das auch nichts Gutes. Würde es ihm „unterlaufen“, Wowereit und seinen Partner oder Westerwelle und seinen Partner als „schwules Pärchen“ bezeichnen oder Barack und Michelle Obama als „schwarzes Pärchen“? Wohl kaum. Aber gegenüber einer lesbischen Putingegnerin kann mann sich das erlauben. Denn Lesben gehören auf ihren Platz verwiesen. Nicht laut und aufdringlich wie die Schwulen in dem Krimi von Tucker Coe, das ist passé. Sondern unauffällig und ganz nebenbei setzt es was.

Ich finde diese Art von cooler Herablassung unangenehmer als das diskriminierende Geschwafel des Detektivs in dem Krimi. Sie zeigt mir und allen anderen lesbischen Leserinnen solcher Seitenhiebe, dass es in unserer Gesellschaft weiterhin seriöse „Paare“ gibt und daneben „Pärchen“, Möchtegernpaare. Sie mögen es zwar weit gebracht haben in punkto gesellschaftliche Anerkennung, sogar in Russland, aber das bedeutet noch lange nicht, dass nicht jeder beliebige Journalist, ganz nebenbei, ungestraft über uns herziehen könnte. Weil fast niemandem etwas auffällt, außer – vielleicht – uns.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag gehört zu Luise F. Puschs Glosse „Laut & Luise“, die seit Februar 2012 in unregelmäßigen Abständen bei literaturkritik.de erscheint.