Ein Schnipsel Weltgeschichte

Robert von Friedeburgs „Europa in der frühen Neuzeit“ weiß nur teilweise zu überzeugen

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Weltgeschichte […] setzt sich aus vielen Einzelgeschichte zusammen“ erklärte Jörg Fisch, Mitherausgeber der „Neuen Fischer Weltgeschichte“, vor einigen Wochen in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau. Und so überrascht es auch nicht, dass die Nachfolgereihe der äußerst erfolgreichen „Fischer Weltgeschichte“ sich aus unterschiedlichsten Einzelgeschichten verschiedener geografischer Räume zusammensetzt. Dieser Direktive entsprechend sind nun jüngst die ersten drei Bände der Reihe erschienen: neben Band 10 über Zentralasien und Band 11 über Südasien auch der fünfte Band, Robert von Friedeburgs „Europa in der frühen Neuzeit“.

Von Friedeburg, der an der Erasmus-Universität Rotterdam lehrt, hat es sich in seiner Abhandlung zur Aufgabe gemacht, „die Transformation der lateinischen Christenheit in das von überwiegend monarchischen Staaten geprägte Europa bis zur Französischen Revolution“ darzustellen. So widmet er sich zunächst besonders ausführlich der Reformation und den Religionskriegen und macht zugleich die gesellschaftlichen Veränderungen im Hintergrund dieser Ereignisse sichtbar: das rasante Bevölkerungswachstum und die damit verbundenen Transformationsprozesse in Sozialstruktur und Wirtschaft. Dabei richtet sich von Friedeburgs Blick – ganz gemäß seiner Eingangsdirektive – stark auf die spätere Nationalstaatswerdung; etliche Prozesse werden ex post auf diese hin ausgedeutet. So entsteht bisweilen der Eindruck einer übereifrigen und teleologischen Geschichtsauffassung, in der unter anderem die Konfessionalisierung zu Beginn des 17. Jahrhunderts den dynastischen Einheiten „eine konfessionelle Identität als vermeintliches Merkmal des eigenen Vaterlandes und der eigenen Nation“ hinzugefügt habe.

Ein weiterer Kritikpunkt offenbart die Gewichtung des Bandes: Von Friedeburg geht stark ereignisgeschichtlich vor und legt den Fokus klar auf politische Vorgänge – Geistesgeschichte und kulturelle Aspekte tauchen zumeist nur als Randnotizen auf, so wird beispielsweise das Barock auf weniger als zwei Seiten abgehandelt. Auch die Aufklärung bleibt zwar keineswegs unbeachtet, findet jedoch nur in kurzen Abrissen ihrer Vertreter und deren wichtigsten Schriften Beachtung. Hier wäre wohl anstelle der porträtartigen Zusammenstellung eine stärker dynamisierte und analysierende Darstellungsweise, die auch Interdependenzen und Brüche hätte darstellen können, luzider gewesen.

Während von Friedeburg also thematisch eine klare Auswahl getroffen hat, ist die Gesamtperspektive hingegen betont gesamteuropäisch, um dem Anspruch der Reihe gerecht zu werden. So werden immer wieder Beispiele aus unterschiedlichen geografischen Räumen herangezogen, um bestimmte Prozesse und Deutungen zu illustrieren und zu belegen – ein Bemühen, das bisweilen allerdings erzwungen wirkt. Lesefluss und Gedankengang werden durch diese Sprünge quer durch Europa stellenweise deutlich gehemmt, wenngleich die breite Anlage generell wichtig und aufschlussreich ist.

Ob die auf 21 Bände angelegte „Neue Fischer Weltgeschichte“ letztlich den Status ihrer Vorgängerreihe erreichen wird, ist noch ungewiss, man darf jedoch in jedem Fall gespannt auf die weiteren Bände warten. „Europa in der frühen Neuzeit“ jedenfalls ist zu einem zwar soliden Überblickswerk über die politische Geschichte des Kontinents während der Frühen Neuzeit geworden, muss sich jedoch einige konzeptionelle Schwächen ankreiden lassen. Vor allem eine stärkere Gewichtung der Kultur wäre wünschenswert gewesen und hätte eine essentielle Schwäche des Bandes geschlossen – denn letztlich setzt sich nicht nur die Weltgeschichte aus unterschiedlichen Elementen zusammen, sondern auch die Geschichte Europas.

Titelbild

Robert von Friedeburg: Neue Fischer Weltgeschichte. Band 5. Europa in der frühen Neuzeit.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
470 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783100106230

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