Kopf- und Seelenschmerzen

Silke Knäppers Debüt „Im November blüht kein Raps“ verknüpft mehrere Dreiecksgeschichten

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin mir selbst unverzeihlich. Ein Gefangener meiner selbst“, lautet das bittere Fazit eines knappen Schuld- und Liebesbriefs seines Vaters an die Mutter, das der Kontrabassist Paul am Ende von „Im November blüht kein Raps“ in den Händen hält. „Ein Gefangener seiner selbst“ im Debütroman der Ulmer Gymnasiallehrerin Silke Knäpper (Jahrgang 1967) ist auch der entscheidungsunfähige Protagonist.

Schon seit frühester Kindheit leidet Paul unter Migräne, nicht weniger zudem unter seinem tyrannischen Vater. Der ist erfolgreicher Konzertpianist, verlangt von seiner Frau, sie solle das Harfespielen aufgeben, und treibt dem Kind mit brachialer Gewalt die Freude an der Musik aus: „Ein As, du Depp, das Vorzeichen gilt für den ganzen Takt. Er spürte, wie sein Ohr heiß wurde unter dem Schlag.“

So zieht sich Paul auch später gerne in „die private Hölle seiner vier Wände“ zurück und leidet an „substantielle(r) Einsamkeit“. Auch die Knieschmerzen seien symptomatisch, meint die Krankenschwester Bärbel, seine spätere Frau, bereits beim Kennenlernen im Krankenhaus nach einer ersten Knie-OP. „Das Knie sei bezeichnend, hatte sie gesagt. Und für was? Für den fehlenden Stand im Leben. Sie hatte ihn sofort durchschaut.“

Wenngleich Paul alles Musizieren verhasst ist, lernt er schließlich im Internat das Kontrabass-Spiel und schafft sogar die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule. Vom Vater erfährt er dennoch nur Geringschätzung: „Er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, gleich danach, und an die Wand gestarrt, auf den Riss neben der Zimmertür, der sich fortsetzte in seinem Herzen, so erloschen plötzlich, die Freude und das Bewusstsein einer Begabung, das zum ersten Mal aufgekommen war, zart und flüchtig wie erster Schnee. Irgendwann die Tränen, die er nicht hatte halten können, die Zimmerdecke über seinem Kopf, in ihrem unerbittlichen Weiß, bis die Mutter hereinkam und ihn anlächelte und ihn drückte, ein Glas Asti Spumante, das sie ihm hinhielt und die Tränen ertränkte.“

Der Trost der Mutter, die zu Beginn des Romans zwölf Jahre nach dem Tod des Vaters kettenrauchend immer mehr in ihrer Demenz versinkt, gibt Paul jedoch auch später keinen wirklichen Halt im Leben. „In seinen Gedanken“ ist es meist „Herbst“, zumal die Mutter in einer Schublade im Schlafzimmerschrank ein Geheimnis verbirgt, das der Sohn erst am Ende des Romans begreift. Der letzte Satz: „Ohne Lüge, sagte er, kann ich nicht gehen“, gilt für die meisten Personen im Text.

Es sind gleich mehrere Dreier-Konstellationen, die Knäpper, die bereits für einen Auszug aus einer Erzählung beim Irseer Pegasus ausgezeichnet wurde, in ihrem Roman verknüpft. Dabei ist es meist ein abwesender Dritter, eine Leerstelle, ein Tabu, das die Personen verbindet. Zunächst einmal ist es die Dreiecksgeschichte von Paul, seiner Frau Bärbel und seiner Geliebten Hanne. Dann ist es die Dreiecksgeschichte des Protagonisten zu seinen Eltern und ihrem jeweiligen Verhältnis zur Musik. Es ist aber auch die Geschichte der Eltern und der angeblich an einer Blutvergiftung früh verstorbenen kleinen Schwester Marga. Und viertens ist es die Geschichte von Paul, seiner Geliebten Hanne und deren Sohn Alexander mit dem Tabu um dessen abwesenden Vater. Alexander wiederum verdankt seine Existenz einem plötzlich entschwundenen früheren Geliebten Hannes und letztlich auch einer Lüge. Stefan, Alexanders Vater, war einfach „der Platzhalter“.

Und schließlich ist der Roman auch die Erzählung der jeweiligen Beziehung von Paul und seiner Mutter Lydia zu deren Heimat mit den leuchtenden Rapsfeldern um Breslau. Ein Versuch Pauls, Hanne die Kindheitsorte der Mutter zu zeigen und dabei über seine Familie und sich selbst Klarheit zu finden, um den „Kopfschmerzen und den Seelenschmerzen“ auf den Grund zu kommen, scheitert: „Im November blüht eben kein Raps“. Dennoch: Die Klarheit dieses stringent komponierten Romandebüts unterläuft das triste November-Wetter mit seinen melancholischen Moll-Tönen gekonnt.

Titelbild

Silke Knäpper: Im November blüht kein Raps. Roman.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2012.
187 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783863510367

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