Das Nachleben in Brief und Exzerpt

Über zwei Publikationen zum 250. Geburtstag von Jean Paul

Von Malte VölkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Völk

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Es ist schön, daß alle Schriftsteller“, so eine Beobachtung Jean Pauls, „sogar die, welche die Unsterblichkeit ihrer Seele leugnen, doch die ihres Namens selten anzufechten wagen“. Jean Paul selbst, sein Name, sein Werk, gehört 250 Jahre nach seiner Geburt als Johann Paul Friedrich Richter zu den deutschsprachigen Dichtern, die es trotz einer herausragenden Qualität und einer literarisch kaum zu überschätzenden Bedeutung ihres Werks nie so recht in den Fokus des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs geschafft haben – von einer breiteren Öffentlichkeit zu schweigen. Es ist daher nicht selbstverständlich, aber um so begrüßenswerter, dass nun aus Anlass des Jubiläums zahlreiche Veranstaltungen und Publikationen zu einer Auseinandersetzung anregen: Von Kompositionswettbewerben und Schüleraufführungen über informative Litfaßsäulen und oberfränkische Autobahnschilder bis hin zu Biografien und Neueditionen fluten Jean Pauliana in ungewöhnlicher Breite an. Zwei Publikationen, die explizit das Jubiläum zum Anlass nehmen, seien hier kurz vorgestellt.

Das Buch „Jean Paul von Adam bis Zucker. Ein Abecedarium“ greift der Form nach eine Angewohnheit Jean Pauls auf, die seine Arbeitsweise stark prägte: dieser fertigte bei seinen Lektüren massenhaft Exzerpte an – zusammen mit seinen Studienheften und Entwürfen finden sich rund 40.000 Manuskriptseiten im Nachlass – die er mit riesigen Registerverzeichnissen ordnete und die uns heute als Materialfülle und Detailversessenheit in seinen Werken gegenübertreten. Verglichen damit ist das vorliegende Buch eher schmalbrüstig, bietet aber in seinen nach Schlagwörtern alphabetisch geordneten Artikeln – gewissermaßen Exzerpte aus Leben, Werk und Nachleben Jean Pauls – einen ansprechenden Einblick in den Jean-Paul-Kosmos.

Das Kompendium bringt zum Ausdruck, was Jean Paul ausmacht, weshalb er von vielen geliebt und – mehr noch: sogar gelesen wird: sein Humor, der Provinzialität und Skurrilität von Gelehrten und anderen Neurotikern zum Gegenstand hat, ohne je sadistisch über die Schwächen anderer zu spotten; sein Erschaffen einer eigenständigen literarischen Welt, in der die einzelnen Werke auf vielfältige Weise miteinander zusammenhängen, so dass nicht selten eine Figur aus einem Roman hinaus- und in den nächsten hineinspaziert; seine digressive Schreibweise, die ständig auf das Schreiben und Geschichtenerzählen selbst reflektiert, vermischt mit geschichtsphilosophischen Überlegungen oder dem Durchwalken zeitgenössischer philosophischer und ästhetischer Diskurse. Kurz: eine einzigartige Amalgamierung von Selbstreflexion des menschlichen Geistes, Amüsement, hochkomplexer Komik und Weltschmerz (ein Wort, das Jean Paul erfunden hat). Und noch einiges mehr. Dies alles präsentiert das „Abecedarium“ kurzweilig und kenntnisreich. Die manchmal ein wenig betuliche Erzählhaltung à la „geschätzter Leser“ trübt den Gesamteindruck kaum. Die kurzen Texte werden in ihrer Fülle angenehm kontrastiert mit fragilen, rätselhaften Zeichnungen.

Einen intensiveren Einblick bietet der Band „Erschriebene Unendlichkeit“. Erstmals erscheint damit zum Jubiläum eine umfangreiche Auswahl der Briefe Jean Pauls, die auf der Dritten Abteilung der großen Historisch-kritischen Gesamtausgabe fußend von maßgeblichen Jean-Paul- Editoren besorgt und kommentiert wurde. Wie sehr Jean Pauls Existenz auf das Schreiben ausgerichtet oder gar aus diesem im Kern bestand, das wird bei der Lektüre schnell deutlich. Schon in Briefen zum Beispiel an den früh verstorbenen Jugendfreund Adam Lorenz von Oerthel lässt er sich ironisch-jovial über eine mögliche spätere Veröffentlichung des sich eben vollziehenden Briefwechsels aus, schreibt gar schon eine Vorrede zu einer solchen Publikation. Jean Paul schrieb nicht, um ‚Inhalte zu kommunizieren‘ – wie man es heute vielleicht ausdrücken würde – sondern um des Schreibens willen, immer im untrennbaren Zusammenhang mit einer literarischen Produktion. Briefe sind ihm nur „dünnere Bücher“, aber auch umgekehrt Bücher „dickere Briefe“. So schreibt er sich in die Unendlichkeit. Und entsprechend übt sich Jean Paul gerne in seinen Briefen, wie der hervorragende Kommentar der Sammlung ausführt, in der Gestaltung literarischer Formen: der romantisch-empfindsamen Betonung des Augenblicks, des Essayistischen oder auch des platonischen Dialogs.

Aus allen Stationen seines Lebens finden sich umfangreiche Dokumente Jean Pauls; aus der Zeit als verarmter Student in Leipzig, aus der Zeit des beginnenden und schnell schwindelerregende Höhen erreichenden Ruhmes – anfangs isoliert in Hof, dann in Weimar und Berlin – und aus der des häuslichen Lebens als Ehemann und Vater in Bayreuth, wo er 1825 starb.

Dabei lässt sich etwa der Brief entdecken, den Jean Paul als völlig Unbekannter zusammen mit seinem ersten Roman „Die unsichtbare Loge“ an Karl Philipp Moritz sandte, um in diesem einen enthusiastischen Förderer zu gewinnen; oder die beiden Mitteilungen an Goethe, die dieser zwar in seine Sammlung bedeutender Briefe aufnahm, jedoch nie beantwortete. Aufgeschlossener waren andere Geistesgrößen wie Herder und Jacobi, mit denen er einen intensiven Austausch pflegte. Seinem Sohn Max gibt er hingegen recht alltagspraktische Hinweise, allerdings nicht ohne die allgegenwärtigen Allegorien und humoristischen Vergleiche: Er solle sich in seinem Studium in München vor dem „Auflasten mehrerer Kollegien hintereinander“ hüten, denn „die Kornsäcke der Kenntnisse werden dann nur faul getragen, aber nicht zum Selber-Tragen auseinandergesäet“. Zur Lektüre empfiehlt er Hegel, jedoch mit Einschränkungen, um schließlich doch wieder auf die eigenen Schriften zu verweisen.

Erstaunlich sind die zahlreichen, oft höchst schwärmerischen Liebesbriefe, vorzugsweise an adlige und zum Teil berühmte Damen wie Juliane von Krüdener oder Charlotte von Kalb, die der äußerst begehrte Dichter trotz mehrmaliger Verlobungen aber dann allesamt, sehr zu deren Leidwesen, nicht heiratete sondern – in Material für seine Werke transformierte. Aber diese Werke führen auch ein Eigenleben: „Mir war, als würden meine Romane lebendig und nähmen mich mit“, schreibt Jean Paul im Juli 1817 an den engen Freund Emanuel Osmund, nachdem ihm in Heidelberg von Hegel persönlich die Ehrendoktorwürde verliehen und von Studenten eine triumphale Bootsfahrt bereitet worden war.

Wenn der Mensch, nach einem berühmten Satz Jean Pauls, „der große Gedankenstrich im Buche der Natur“ ist, dann ist sein Werk offenbar der große Gedankenstrich in der Literaturgeschichte. Es kommt nie zur Ruhe, lässt sich nicht eindeutig klassifizieren und ist beständig nur in der Selbstreflexion und im immer wieder neu sich ausrichtenden Humor.

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Jean Paul: Erschriebene Unendlichkeit. Briefe.
Herausgegeben von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Nobert Miller.
Carl Hanser Verlag, München 2013.
784 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783446241367

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Titelbild

Bernhard Setzwein / Christian Thanhäuser: Jean Paul von Adam bis Zucker. Ein Abecedarium.
Haymon Verlag, Innsbruck 2013.
264 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783852187600

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