Früher war mehr Zigarette

Renate von Mangoldts Buch über „Autoren – Fotografien 1963-2012“ und das optische Gedächtnis der Literatur

Von Marc ReichweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Reichwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ich heirate jemanden aus dem Literaturbetrieb und fotografiere den Literaturbetrieb – so könnte man das Leben von Renate von Mangoldt pointiert zusammenfassen. Was nach Strategie klingt, war natürlich eine Geschichte, die das Leben schreibt, in diesem Fall das literarische Leben: Auf dem Erlanger Poetenfest 1963 lernt Mangoldt Walter Höllerer kennen, den späteren langjährigen Leiter des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB). Sie werden ein Paar, und als Frau an seiner Seite spezialisiert sie sich fotografisch auf Porträts von Schriftstellern, die im LCB sowieso ein- und ausgehen. Nun ist die Schriftsteller-Fotografie kein Lehrberuf und selbst als Berufung nichts, womit viele Leute in Deutschland berühmt werden können. Isolde Ohlbaum wäre vielleicht noch zu nennen. Oder auch Roger Melis, der vor allem das Bild der Literatur des Ostens prägte.

Renate von Mangoldt war im Laufe ihres Berufslebens viel mehr als bloße Hausfotografin des LCB. Sie unternahm immer wieder Reisen, besuchte Schriftsteller im Osten und außerhalb Berlins. So sehen wir Max Frisch beim Tischtennis in Berzona, Elfriede Jelinek im Achtziger-Jahre-Jeans-Look oder Friederike Mayröcker in ihrer guten Messie-Stube.

Das Bild der Literatur? Ist manchmal überraschend: Günter Grass schiebt Hans Werner Richter, den Vater der „Gruppe 47“, im Rollstuhl. Manchmal aufgeladen: Ingeborg Bachmann posiert in einem lackartigen Etwas in Rom. Und manchmal rührend: Ernst Jandl rezitiert vor Kindern, denen Mund und Nase offen stehen.

Und ist es nicht bezeichnend: Viele der landläufigen Klischees über Schriftsteller setzen gerade an optischen Insignien an. Martin Walsers Augenbrauen, Günter Grass’ Pfeife, Peter Handkes Häuschen in Chaville. Man braucht gar keine Literatur, um eine Menge Bilder des literarischen Lebens im Kopf zu haben. Eher schon könnte man umgekehrt feststellen, dass es nicht einmal der Literaturkritik gelingt, von allem Visuellen abzusehen. Warum noch einmal empfahl Elke Heidenreich der frischgekürten Nobelpreisträgerin Herta Müller 2009 eine neue Frisur?

Die Paratext-Kultur ist definitiv professioneller und allumfassender geworden, und natürlich hat daran auch Renate von Mangoldt ihren Anteil: „Ich habe ja viele Bilder nicht für mich gemacht, sondern mehr oder weniger den Autoren gedient. Sie sollten ein Foto von sich erhalten, auf dem sie sich wiedererkannten und sich vorzeigbar fanden und die Verlage zufrieden waren“, erklärt Mangoldt. Ihr Gespräch mit der Schriftstellerin Felicitas Hoppe bildet den Auftakt des prächtigen Bildbandes mit dem Titel „Autoren. Fotografien 1963-2012“. Die nachfolgenden 500 Seiten Bildteil dokumentieren ein halbes Jahrhundert Schriftsteller-Fotografie und sind für sich natürlich auch ein Bekenntnis des Steidl-Verlags zum Lebenswerk dieser Fotografin, die ausleitend noch einige persönliche „Erinnerungen“ formuliert – zum Beispiel an den Fototermin mit Thomas Bernhard, der sich vor seinem Holzstapel ungemein launig gab: „Einen Monat später erschien sein Buch Holzfällen. Jetzt war mir eine seine angriffslustige Laune, die er geboten hatte, klar. Er hatte eine Art Vorfreude auf den Coup demonstriert.“

Mit dem Pelzkragen-Porträt von Judith Hermann hat Renate Mangoldt auch ein ikonisches Foto der jüngeren Literaturbetriebsgeschichte produziert. Gerade durch das „literarische Fräuleinwunder“ gab es von Seiten der Kritik und Wissenschaft ein verstärktes Nachdenken darüber, inwieweit Autoren in die allgemeine Ikonografie prominenter Persönlichkeiten eingerückt sind. Wobei die Autorenfotos früherer Zeiten womöglich gar nicht weniger stilisiert waren; sie waren nur medial weitaus weniger verbreitet – die Feuilletons zum Beispiel waren kaum bebildert – und konnten sich insofern auch weniger leicht zu Ikonen aufladen: „Heutzutage gibt es immer mehr Autoren, die zu viel und zu oft fotografiert werden“, gibt Mangoldt zu Protokoll, und natürlich klingt da eine Entwertung ihres Metiers mit. Wobei die Entwertung des einzelnen Fotos qua Handyknipsmasse längst zum kollektiven Erfahrungsschatz einer ganzen Gesellschaft gehören dürfte. Heute, wo einen schon das bloße E-Mailprogramm zum Profilfoto auffordert, sind Medien in gewisser Weise alle illustriert. Aus dem fotografischen Werk von Renate von Mangoldt spricht hingegen noch Scheu und Unbehagen einer anderen Zeit gegenüber dem Medium Bild. Das mag von Teilen der ‚Spracharbeiter‘ auch bewusst ausgestellt gewesen sein, und dennoch: „Daß Schriftsteller schwieriger oder eitler sind als andere Menschen, glaube ich nicht. Sie müssen nur mehr auf ihr Bild in der Öffentlichkeit achten und sind so dem Fotografiertwerden gegenüber bewußter.“

Der Bildband lädt auch ein zu Zeitreisen ins literarische Feld, das wird vor allem auf den (wenigen) Gruppenfotos deutlich. Man sieht Tagungsbilder von der Gruppe 47. Oder die versammelte Suhrkamp-Kultur vor der Klettenbergvilla – noch mit Hilde Unseld, ohne Ulla Berkéwicz.

Und dann spricht aus 50 Jahren Autorenfotografie auch Zeitgeschichte: „Die Brillen […] geben ungeniert Auskunft über die Zeit, in der sie Mode waren. Die Kleidung natürlich auch. Und die Frisuren.“ Ein markantes Symbol sind schließlich auch die schwindenden Zigaretten: „Während auf meinen früheren Bildern Zigaretten allgegenwärtig sind, sind sie jetzt fast verschwunden. Selbst Raucher lassen sich nicht mehr gern mit einer Zigarette abbilden, während früher hin und wieder auch ein Nichtraucher zu diesem attraktiven Requisit griff.“

Angeblich wurden Renate von Mangoldt gerade die Autoren, die sie literarisch verehrte, die fotografisch schwierigsten. Vielleicht aber ist das die eigentliche Pointe dieses Lebens: Die literarisch unbedarfte Literaturbetriebsfotografin an der Seite von Walter Höllerer, die sich anfangs allerlei Namenswitze gefallen lassen musste („Na, Sie junges Gemüse?“), wurde mit der Zeit selbst eine begeisterte, selbstbewusste Leserin.

Titelbild

Renate von Mangoldt: Von Achternbusch bis Zanzotto. Autoren-Fotografien 1963-2012.
Steidl Verlag, Göttingen 2012.
544 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783869305264

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