Endstation Sehnsucht

Howard Jacobson entwirft in „Liebesdienst“ eine ungewöhnliche Geschichte

Von Jana BehrendsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Behrends

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was lässt einen gebildeten, gut situierten Mann, der mit der Liebe seines Lebens verheiratet ist, all sein Lebensglück mutwillig zerstören? Dieser Frage geht der britische Autor Howard Jacobson in seinem jüngsten Roman „Liebesdienst“ nach. In ihm geht es um den Londoner Buchhändler Felix Quinn, der mit der attraktiven und eloquenten Marisa verheiratet ist. Das Paar ist beruflich erfolgreich, hat einen kultivierten Freundeskreis und pflegt einen hedonistischen Lebensstil. Und doch quält Felix Quinn ein Wunsch: der nach unbändigem Schmerz, der aus der Eifersucht entsteht und von dem sich Felix höchsten Lustgewinn verspricht. Als er den raubtierhaften, latent aggressiven und gut aussehenden Marius kennenlernt, setzt er alles daran, dass seine Frau ihn mit diesem betrügt.

Doch das Spiel gleitet dem Londoner aus den Fingern, nicht nur, weil er sich immer stärker entfernt „von der abenteuerlichen Bühne, die Marisas Leben war“. Jacobson entwickelt im Laufe des Romans eine Dreiecksbeziehung, die sich aus Angst und Unterwürfigkeit, aus Liebe, Verehrung, Gewalt und Zorn speist und tragisch endet. Dennoch zeigt sich Felix mit dem Ergebnis zufrieden: „Man liebte nicht nur in der Erwartung, den anderen zu verlieren, sondern um zu verlieren – so hatte ich es aus meinen Lieblingsbüchern gelernt und jetzt, da ich es an der Wirklichkeit erprobt hatte, wusste ich, dass sie recht hatten“, resümiert er.

„Liebesdienst“ ist kein Roman, der sich mal eben zwischen Hausarbeit und Strandurlaub herunter liest. Vielmehr wimmelt es auf den beinahe 400 Seiten voll von literarischer Anspielungen auf das Motiv des Glücksgefühls, das Eifersucht hervorbringen kann – sei es in James Joyce „Verbannten“ oder Herodots „Historien“, um nur einige zu nennen. Und in dieser gewissen Schwere unterscheidet er sich massiv von seinem etwas leichtfüßigerem Vorgänger „Die Finkler-Frage“, für den der Autor 2010 in seiner Heimat Großbritannien den renommierten Booker-Price abgeräumt hat. In einem Motiv sind sich aber beide Romane unheimlich ähnlich: Nämlich in dem Glück, das sich erst aus dem vermeintlichen Unglück ergibt.

Sowohl Julian Treslove, der gescheiterte BBC-Redakteur aus „Die Finkler-Frage“ als auch Felix Quinn sind mit dem, was die bürgerliche Allgemeinheit unter Glück und Wohlbefinden versteht – eine intakte Beziehung, Kinder und insgesamt geordnete Verhältnisse – nicht einverstanden. Beide Figuren sehnen sich nach dem Schmerz, in der Hoffnung, durch ihn Bedeutung zu erlangen und in letzter Konsequenz der eigenen Profanität zu entkommen. Dass ihnen das nicht gelingen mag, ist die eigentliche Tragik beider Romane. Dass in „Liebesdienst“ zusätzlich Felix Quinns Umfeld in den Abgrund gesogen wird, während er selbst sich halbwegs intakt befreien kann – das ist der Grund, weswegen der Roman den Leser etwas verstört zurücklässt.

Titelbild

Howard Jacobson: Liebesdienst. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Stegers.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012.
390 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783421044068

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch