Erklärt statt verklärt: Friedelind Wagner

Eva Weissweiler dokumentiert ihre Auseinandersetzung mit der Wagner-Enkelin

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum hat man Eva Riegers „Rebellische Enkelin“ zur Seite gelegt, erscheint auch schon die zweite Biografie zur Wagner-Enkelin Friedelind, und die Frage nach dem plötzlichen Interesse an ‚Mausi‘, wie Friedelind im Familienkreis genannt wird, stellt sich erneut, kaum, dass sie verklungen ist. Das ist in der Tat nicht nur mit dem Wagner-Jahr zu erklären, und auch nicht mit den Verdiensten Friedelinds. Diese zweite Biografie ist vielmehr die Fortsetzung der Vorarbeit der Autorin, der Musikwissenschaftlerin Eva Weissweiler, der wir den 1994 erschienenen Reprint von Friedelinds seinerzeit praktisch verschollener Autobiografie, „Nacht über Bayreuth“ (deutsche EA 1945) verdanken. Dass diesem lobenswerten Schritt keine sachliche Auseinandersetzung mit der Person Friedelinds folgte, liegt gleichsam in der Natur der Sache – ein(e) Wagner polarisiert fast zwangsläufig. Hinzu kommt, dass Friedelinds Aufzeichnungen in der Tat mit vielen ihrer Zeitgenossen hart ins Gericht gehen – ein Teil der Kritik, der sich Friedelind seit Erscheinen des Buches ausgesetzt sah, darf deshalb zumindest als verständlich und berechtigt betrachtet werden. Allerdings ergibt sich gerade im Kontext dieser Polemik die Frage, wer beziehungsweise wie diese Friedelind eigentlich war.

Nun gibt es – etwas überspitzt formuliert – grundsätzlich zwei Ansätze zum Verfassen einer Biografie: Entweder hat man bereits ein fertiges Bild der zu biografierenden Person im Kopf, das es nun gilt, anhand von geeigneten Quellen und Belegen überzeugend aufs Papier zu bringen. Oder man lässt sich von der eigenen Neugier leiten, rekonstruiert und hinterfragt, was es zu rekonstruieren und zu hinterfragen gibt, und ist, nachdem man seine Arbeit ordentlich dokumentiert hat, selbst erstaunt über das, was man über diese Person herausgefunden hat. Diesen zweiten Weg ist Weissweiler gegangen, denn anders als in vielen anderen Biografien wird hier nicht die Sichtweise des Verfassers dargestellt, der sich alle Quellen, Zitate und Belege in seinem Sinne untertan macht, sondern es werden im Zuge der (im Untertitel angekündigten) ‚Spurensuche‘ auch zahlreiche Widersprüche aufgedeckt und offene Fragen formuliert.

Dabei muss sich die Autorin natürlich auch mit dem kolportierten Bild Mausis auseinandersetzen, das, – wie könnte es anders sein? –, ambivalent ist: Abtrünnige und ‚Enfant terrible‘ einerseits, einzige echte Widerständlerin des Wagner-Clans andererseits. Keines dieser beiden Etiketten trifft vollständig zu, und doch enthält jedes einige Körnchen Wahrheit. Eine in vielerlei Hinsicht auffällige Erscheinung ist Friedelind zweifellos, den Eindruck einer dezidiert Politik-Interessierten macht sie aber nicht, nicht einmal, als sie in England ihre insgesamt zwölf Artikel für den ‚Daily Sketch‘ verfasst, die gerne als Beweis ihres Widerstandes angeführt werden. Die Texte zeugen in der Tat weniger von einer tiefer gehenden Beschäftigung mit Adolf Hitler und dem „Dritten Reich“, als vielmehr von der Koketterie einer 20-Jährigen, die sich in der Rolle einer privilegierten Nähkästchen-Plauderin gefällt.

Als chronologisch Zweite nach Riegers „Rebellischer Enkelin“ muss sich Weissweiler selbstverständlich auch dem Vergleich stellen. Dies tut sie zunächst einmal selbst, indem sie sich in ihrem Vorwort von Riegers „orthodox-feministischen Ansatz“ distanziert und auf vorhandene Lücken verweist, die sie zu schließen verspricht. Gemeint ist hier vor allem die Auseinandersetzung mit „Nacht über Bayreuth“, das die Grundlage auch von Weissweilers Spurensuche bildet. Damit trägt die Autorin der Bedeutung dieser Autobiografie als wichtigem zeitgenössischem Dokument Rechnung. Gleichzeitig liest sie die Aufzeichnungen aber auch mit der gebotenen kritischen Distanz – eine Haltung, die allen autobiografischen Schriften angemessen ist.

So ist die vorliegende Biografie, zumindest für den Zeitraum bis 1940, vor allem eine kommentierte Auseinandersetzung mit „Nacht über Bayreuth“ und mit der jungen Frau, die diese Aufzeichnungen verfasst hat. Dabei geht es in keinem Moment darum, Friedelind Unwahrheiten nachzuweisen, sondern darum, sich dem Menschen Friedelind anzunähern und zwischen den Zeilen zu lesen. Was dort verschwommen erscheint oder ganz fehlt, versucht Weissweiler nachzuliefern. Dabei scheut sie auch nicht davor zurück, offensichtliche Fehler und bewusste oder unbewusste Ungenauigkeiten aufzudecken, vor allem der Jahre 1930 bis 1939. Was in diesem Zusammenhang gerne übersehen wird, ist das Alter Friedelinds: 1930, im Todesjahr von Großmutter Cosima und Vater Siegfried, ist Friedelind 12 Jahre alt; als sie Bayreuth und Deutschland verlässt, gerade einmal 20. In jenen Jahren vollzieht sich nicht nur die Entfremdung von Bayreuth, sondern, teilweise damit einhergehend, Friedelinds Abkehr von Hitler und seinem Deutschland, allerdings nicht plötzlich und punktuell, sondern sukzessive. Rekonstruierbar ist dieser Prozess anhand von Friedelinds Aufzeichnungen allerdings nicht, denn sie selbst stellt sich der Einfachheit halber als Hitler-Gegnerin der ersten Stunde dar. Der Biografin bleibt also nichts anderes übrig, als zentrale Ereignisse – und derer gab es viele in jenen Jahren – akribisch nachzurecherchieren, um Widersprüchen auf die Spur zu kommen und Mausis eigene Entwicklung zu rekonstruieren.

Das Hinterfragen, Recherchieren und Kommentieren wirft aber nicht nur immer wieder neue Fragen auf, sondern stößt nicht selten an Grenzen, an denen konstatiert werden muss, dass keine eindeutige Antwort gefunden werden kann. Nun sind solche Stellen in aller Regel unbefriedigend für den Leser, der ja am liebsten klare Aussagen und ‚Wahrheiten‘ vorfindet. Seltsamerweise stellt sich in dieser Biografie das Gefühl des Unbefriedigt-Seins ob fehlender Antworten nur sehr selten und dann auch nur sehr maßvoll ein, was in erster Linie mit der Persönlichkeit Friedelinds zu tun hat. Ihre Impulsivität und ihre Spontaneität, im negativen Sinne auch unreflektiertes Handeln zu nennen, bringen es nun einmal mit sich, dass Vieles Jahrzehnte später nicht mehr logisch erklärbar ist, weil es im Moment des Entstehens eben auch nicht oder kaum logisch begründet oder rational motiviert war. Weissweiler zeichnet auf diese Weise ein ehrliches, weil widersprüchliches Bild von Friedelind, das genug Raum lässt für die Gedanken und Eindrücke des Lesers, der sich auf diese Weise auch ein ganz eigenes Bild von Friedelind machen kann.

Für die Zeit nach „Nacht über Bayreuth“ greift Weissweiler in bewährter Manier auf weitere interessante Quellen zurück, so auf die bereits erwähnten journalistischen Arbeiten von Friedelinds England-Aufenthalt und verschiedene Briefwechsel, darunter der mit Friedelinds Ziehvater Toscanini und den Tanten Daniela Thode und Eva Chamberlain. Hinzu kommen die erneute Auswertung geheimdienstlichen Materials und Gespräche mit Zeitzeugen. Auf diese Weise werden verschiedene Aspekte von Friedelinds Leben vertieft, so etwa die Jahre, in denen sie der Siegfried-Wagner-Gesellschaft vorstand oder die Zeit, in der sie sich mit dem realistischen Musiktheater der DDR und besonders mit der Komischen Oper in Berlin beschäftigt hat. Und schließlich hat sich auch die Sopranistin Anja Silja für Gespräche zur Verfügung gestellt. Ihre künstlerische wie private Beziehung zu Wieland Wagner bot nach dessen Tod die Grundlage für ihre Freundschaft mit Friedelind. Eine wesentliche Quelle blieb der Autorin allerdings verwehrt: Friedelinds Erbe und Nachlassverwalter, der Theateragent Neill Thornborrow, verweigerte ihr die Einsicht in den Nachlass. Schade, denn die erneute Auswertung dieser Hinterlassenschaften wäre sicher eine Bereicherung für dieses Buch gewesen.

Dessen ungeachtet profitieren Weissweilers 300 Textseiten nicht nur von der Sorgfalt und der Unvoreingenommenheit der Recherchen, sondern auch von einem szenischen Erzählstil, dessen Lebendigkeit über den Verzicht auf Fotomaterial hinwegzutrösten vermag. Der Anhang bietet, neben dem umfangreichen Anmerkungsapparat, einem Literaturverzeichnis und einem Personenregister, auch eine ergänzte und fortgeführte Stammtafel des Wagner-Clans.

Und Friedelind? Ihr hat es weder an Ideen noch an Begabungen noch an Kontakten und Freunden gefehlt. Wenn ihr Lebenswerk sich schlussendlich sehr bescheiden ausnimmt, dann deshalb, weil sie nicht in der Lage war, aus diesen Zutaten ein schmackhaftes Menü zu bereiten. Dass dies durchaus auch fernab des Bayreuther Herdes hätte stattfinden können, belegen ihre ‚Opera Company‘ und später ihre Meisterklassen in Stockton-on-Tees.

Doch Friedelind fehlte es zum einen an Disziplin und Ausdauer, eine Sache konsequent zu Ende zu bringen. Zum anderen mangelte es ihr an der nötigen Portion Bodenhaftung, um ihre Projekte in einem realistischen Rahmen zu entwerfen und umzusetzen. Und schließlich fehlte es noch an gesunder Selbstkritik, die sie befähigt hätte, ihre eigenen Schwächen – niemand muss schließlich alles können – zu erkennen und mit diesen konstruktiv umzugehen, etwa, indem sie die kaufmännische Seite ihrer Projekte an entsprechend befähigte Menschen delegiert. Doch auch das Delegieren gehörte nicht zu ihren Stärken, und so verbleibt Friedelind, die sympathisch-kompromisslose Anarcho-Chaotin, als Opfer ihrer eigenen Schwächen im kollektiven Gedächtnis.

Titelbild

Eva Weissweiler: Erbin des Feuers. Friedelind Wagner - Eine Spurensuche.
C. Bertelsmann Verlag, München 2013.
350 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783570551905

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