Die Krone der Schöpfung

In seiner schrillen Satire „Das hündische Herz“ lässt Michail Bulgakow den Hund auf den Menschen kommen

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Teufel muss ihn geritten haben, als Michail Bulgakow 1925 den Erzählband „Teufeliaden“ veröffentlichte. Im vergleichsweise liberalen Klima der Neuen Ökonomischen Politik war es ihm gestattet, die „NEP-Burshuis“ satirisch aufs Korn zu nehmen. Einzig der Erzählung „Das hündische Herz“ wurde die Druckerlaubnis verweigert, weshalb sie in der Erstausgabe des Bandes fehlte. Sie blieb ungedruckt bis gegen Ende der Sowjetherrschaft.

Michail Bulgakow (1891-1940) war ein literarischer Einzelgänger und für die Machthaber ein höchst unverlässlicher Autor. Ursprünglich Arzt, versuchte er sich im nachrevolutionären Moskau als Satiriker und Theaterautor durchzuschlagen, eher schlecht als recht und von den Zensurbehörden beargwöhnt. Sein Opus magnum „Der Meister und Margarita“ hatte schon gar keine Chance, zu Lebzeiten veröffentlicht zu werden.

Beide streitbaren Texte, den Roman „Das hündische Herz“ und die Erzählung „Der Meister und Margarita“, hat Alexander Nitzberg nun neu übersetzt. In seinem Nachwort zur Erzählung zeichnet Nitzberg nach, wie diese während all der Jahre in verstümmelten Versionen und entsprechend entstellten Übersetzungen kursierte. Selbst Thomas Reschkes deutsche Fassung im Rahmen der Werkausgabe in den 1990er-Jahren fußte darauf.

Für seine Neuübersetzung hat Nitzberg auf eine von Bulgakow überarbeitete Textfassung zurückgegriffen, die 1989 in einer kritischen Ausgabe auf Russisch erschien und worin die schillernde, ungehobelte Form der Erzählung stärker akzentuiert ist. Nitzberg wird ihr auf Deutsch gerecht, indem er virtuos, lebhaft gerade auch die sprachlichen Eigenheiten, insbesondere die charakteristischen Alliterationen, nachbildet.

Die Differenz zu früheren Übersetzungen ist gleich im ersten Satz erkennbar. In der Fassung von Thomas Reschke heißt es: „Huuuuuh! Oh, seht mich an, ich sterbe. Der Schneesturm im Torweg heult mir das Sterbegebet, und ich heule mit. Ich bin verloren, verloren.“ Bei Nitzberg klingt die Stelle wiefolgt: „U-u-u-u-huh-huh-huuuuh! Da schaut, wie ich vor die Hunde gehe. Der Schneestrum heult durch den Hof adieu, und ich heule dazu. Alles hin, alles hin.“

Bulgakow erzählt von Lumpi, einem Straßenköter, der Unterschlupf bei einem reichen Herrn findet. Die Wohltat erweist sich schnell als zwiespältig, spätestens als Lumpi eine menschliche Hypophyse eingepflanzt bekommt. In seiner Spezialpraxis experimentiert der Arzt Preobraschenski mit chirurgischen Eingriffen, stets auf der Suche nach dem verjüngten Leben. Dafür genießt er die Protektion der (Partei-)Elite. Im Falle von Lumpi geht der Versuch jedoch schief. Anstatt verjüngt zu werden, wird Lumpi gänzlich vermenschlicht und verwandelt sich zurück in den Spender der Hypophyse, den primitiven Trinker Tschugunkin. Durch seine Anwesenheit geraten Haushalt und Praxis von Doktor Preobraschenski gehörig durcheinander. Tschugunkin wird anmaßend, stellt den Frauen nach und verbrüdert sich mit dem Genossen Hausverwalter. Schließlich findet er eine Anstellung als städtischer Katzenjäger.

Auch wenn das Hündische in Tschugunkin weiterlebt, besteht das Furchtbare darin, wie Preobraschenski selbstkritisch anmerkt, „dass er kein hündisches Herz mehr hat, sondern eben ein menschliches. Und zwar das scheußlichste von allen, die der Planet hergibt.“ Einzig eine neuerliche Operation kann dem Zustand Abhilfe schaffen.

Bulgakows Satire fragt nach dem, was den Menschen ausmacht und worin das Menschliche besteht. Im Bestreben nach körperlicher Veredelung und Verjüngung suchen die Menschen ihr Heil in Eugenik, Schönheitschirurgie und Gesundheitskult. Bulgakow schildert es auf eine grelle, schillernde Weise und hält so (nicht nur) seiner Epoche einen Spiegel vor. So klar dabei seine Kritik am Zeitgeist ersichtlich wird, so vehement sträubt sich Bulgakow gegen eine allzu vorschnelle Vereinnahmung. Seine eigentliche Subversivität bezieht dieser Satiriker daraus, dass er weder politisch noch thematisch auf eine simple Tendenz zu reduzieren ist. Tschugunkin ist ein Ekel, doch Preobraschenki nicht minder. Wo aber liegt die Wahrheit begraben?

Genau darin gründet die Modernität dieser Erzählung, so dass sie heute noch bestens lesbar ist. Bulgakow deutet nichts aus, er lässt vieles ahndungsvoll und womöglich widersprüchlich stehen. Mit seinem Text bedient er weder die Fortschrittler noch die Konservativen, weder die Kommunisten noch die Liberalen, vielmehr schneidet er schmerzhaft in dieses unsinnige Streben nach Gesundheit, Jugend und dem ganzen Therapiepopanz. Dazu kreiert er eine Reihe von höchst menschlichen, also zwielichtigen Figuren, die, zumindest was die Männer betrifft, ihre animalischen Triebe keineswegs verleugnen.

Mit seiner Neuübersetzung hat Alexander Nitzberg der Bulgakow’schen Erzählung die in ihr vibrierende Ungebärdigkeit, ihr poetisches Herz wieder zurück gegeben.

Titelbild

Michail Bulgakow: Das hündische Herz.
Übersetzt aus dem Russischen von Alexander Nitzberg.
Galiani Verlag, Köln 2013.
170 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783869710693

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