Der Wissenschaftsunternehmer

Rolf Wiggershaus gibt eine prägnante Einführung zum Leben und Werk Max Horkheimers

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Angesichts der Vielzahl von Büchern, Artikeln, Dissertationen, Symposien und Seminaren zum Themenkomplex „Frankfurter Schule“ sprach Leo Löwenthal im Jahre 1978 von einer „Frankfurter Schul-Industrie“. Diese Unternehmungen hätten zuweilen, schrieb er, „den Charakter talmudischer Auseinandersetzungen über die zu verschiedenen Zeiten divergierende Bedeutung dieses oder jenes Theorems oder über die wechselseitigen Beziehungen dieses oder jenes Mitglieds der Gruppe in dieser oder jener Phase“. Während aber Theodor W. Adorno oder Walter Benjamin sich bis heute einer uneingeschränkten akademischen Aufmerksamkeit erfreuen können, sind die Auseinandersetzungen mit dem führenden Kopf der „Frankfurter Schule“, Max Horkheimer, eher spärlich.

So ist es verdienstvoll, dass Rolf Wiggershaus, dessen im Jahre 1986 erschienene Studie zur Geschichte der „Frankfurter Schule“ neben Martin Jays Buch „Dialektische Phantasie“ (1973) als Standardwerk gilt, einen konzentrierten Überblick zur Biografie und zum Denken Horkheimers vorlegt, den er im Untertitel des schmalen Buches als „Unternehmer in Sachen ‚Kritischer Theorie‘“ bezeichnet. Basierend auf der von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr herausgegebenen 19-bändigen Edition der gesammelten Schriften und Materialien aus dem Max-Horkheimer-Archiv zeichnet Wiggershaus die biografische und intellektuelle Entwicklung Horkheimers nach. 1895 in Zuffenhausen bei Stuttgart als Sohn des jüdischen Unternehmers Moritz Horkheimer geboren, begehrte er in seiner Jugend gegen das konservative Milieu seiner Familie auf und begann nach dem Ersten Weltkrieg Philosophie zu studieren. Im Jahre 1930 wurde er Ordinarius für Sozialphilosophie an der Frankfurter Universität und übernahm an Stelle des erkrankten Carl Grünberg das von Felix Weil großzügig geförderte Institut für Sozialforschung. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Horkheimer nach New York, wohin auch der Sitz des Instituts verlegt wurde, das künftig mit der Columbia University assoziiert war.

Wiggershaus beschreibt Horkheimer als widersprüchlichen, von einer „peinigenden Zerrissenheit“ geprägten Charakter: Auf der einen Seite stand der geniale und scharfe Analytiker der bürgerlichen Gesellschaft und Begründer der „kritischen Theorie“, während Horkheimer andererseits als „Wissenschaftsunternehmer“ agierte, der erfolgreich die Projekte „Studien über Autorität und Familie“ und „Studies in Prejudice“ leitete, aber auch wenig Skrupel besaß, seine Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen oder sie strikt nach ihrem Nutzen oder ihrer Verwendbarkeit für das Institut zu beurteilen. „Weder in Briefen noch in Notizen ist überliefert“, bemerkt Wiggershaus, „dass Horkheimer als Institutsleiter und sendungsbewusster Wissenschaftsunternehmer besondere Probleme bei Gehaltskürzungen, Stellenabbau oder Verabschiedung von Mitarbeitern gehabt hätte“.

Die „Zeitschrift für Sozialforschung“, die in den 1930er Jahren als interdisziplinäres gesellschaftskritisches Projekt fungierte, wurde 1941 aufgegeben, und das Institut begann zu schrumpfen, als viele Institutsmitglieder wie Herbert Marcuse, Leo Löwenthal und Franz Neumann während des Zweiten Weltkrieges in staatliche Institutionen der USA wechselten. Zusammen mit seinem langjährigen Freund Friedrich Pollock und Theodor W. Adorno siedelte Horkheimer nach Kalifornien über, wo er an den Büchern „Dialektik der Aufklärung“ und „Eclipse of Reason“ (deutsch „Zur Kritik der instrumentellen Vernunft“) arbeitete. Trotz Vorbehalten gegenüber dem bundesrepublikanischen Staat als Nachfolger des „Ditten Reiches“ kehrte er 1949 nach Deutschland zurück, wo er bis zu seiner Emeritierung als Rektor der Universität Frankfurt wirkte.

Wiggershaus bietet mit seinem Buch eine prägnante, kenntnisreiche und gut lesbare Einführung zum Leben und Werk Max Horkheimers, wobei er jedoch neuere Studien wie Thomas Whiteheads „The Frankfurt School in Exile“ (2009) oder Andrew Rubins „Archives of Authority“ (2012) außer Acht lässt. So bleiben beispielsweise der Einfluss des US-amerikanischen Exils auf Horkheimers Werk, das Spannungsverhältnis zwischen der Kritik der Massenkultur und der geplanten Indienstnahme des Films im Rahmen des Projekts „Studies in Prejudice“, die David Jenemann in seinem Buch „Adorno in America“ (2007) rekonstruiert, oder die Auswirkung der FBI-Überwachung auf die Arbeit des Instituts für Sozialforschung außen vor. Daher lässt das Buch den Leser etwas unbefriedigt zurück, denn es hätte durchaus etwas ausführlicher und wagemutiger sein können.

Titelbild

Rolf Wiggershaus: Max Horkheimer. Eine Einführung.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2013.
240 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783596195749

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