Seismografien der Gelehrtenrepublik

Der Briefwechsel von Hans Blumenberg und Jacob Taubes liegt nun erstmals in einer ausgezeichneten Edition vor

Von Martin IngenfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Ingenfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Blick von Jacob Taubes auf das Werk seines drei Jahre älteren Philosophen-Kollegen Hans Blumenberg bildet gewissermaßen den Beginn wie auch das Ende ihrer Korrespondenz. Am 1. August 1961, gerade auf der Rückreise aus Berlin, wo Taubes einen Ruf auf den neu zu errichtenden Judaistik-Lehrstuhl der Freien Universität erhalten hatte – diese Stelle wird er jedoch erst im Jahr 1966 antreten können –, schreibt er nach Gießen, er sei in der Bibliothek Dieter Henrichs auf Blumenbergs „Paradigmen zu einer Metaphorologie“ gestoßen: „Ich kannte einige Ihrer Aufsätze und sah deshalb ein in das Buch. Es ist grossartig.“ Zwanzig Jahre später, am 14. Oktober 1981, ist es dann Blumenbergs „Lesbarkeit der Welt“, die Taubes zum Anlass wird, dem inzwischen in Münster Lehrenden zu schreiben – und ihn nebenbei auf einen Druckfehler hinzuweisen. Lässt sich Blumenberg 1961 mit seiner Replik noch mehrere Wochen Zeit, so antwortet er 1981 gar nicht mehr, soweit es sich aus dem überlieferten Briefwechsel erschließen lässt. Beides darf man als symptomatisch betrachten.

Dank der nun bei Suhrkamp vorliegenden, von den Herausgebern sorgfältig kommentierten und nachrichtlich mit Zusammenhänge erschließenden Materialien versehenen Briefausgabe ist die Korrespondenz zwischen Taubes und Blumenberg jetzt auch einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich. Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml haben mit ihren Mitarbeitern die insgesamt 58 Schreiben aus den Jahren 1961 bis 1981 aus den Beständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach und des Berliner Zentrums für Literatur- und Kulturforschung gehoben. Der überwiegende Teil des Briefwechsels stammt von Jacob Taubes (41 Briefe); angesichts der Überlieferungslücken in der Korrespondenz lässt diese schiere Quantität freilich nur bedingte Rückschlüsse zu. Soweit der Briefwechsel also erhalten ist und aufzufinden war, rückt ihn die Edition durch ausführliche und präzise Kommentare einerseits sowie durch Materialienteil und Nachwort, die mehr als ein Drittel des Umfangs ausmachen, andererseits in seine historischen und biografischen Zusammenhänge.

Der Schwerpunkt des von Taubes, der anfangs noch an der New Yorker Columbia University lehrte, angestoßenen Briefwechsels liegt in den Jahren 1965 bis 1967. Mehr als die Hälfte der Briefe entfällt auf diesen Zeitraum. Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt dabei naturgemäß auf der Arbeit der Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“ – wenigstens solange ihr Gründungsmitglied Blumenberg noch mit von der Partie war. Auch Jacob Taubes nahm bereits an der ersten Zusammenkunft der Gruppe 1963 in Gießen teil. Seine Briefe an Blumenberg dokumentieren dabei nicht nur seine durchaus kritischen Voten zu den Beiträgen Blumenbergs. Hinzu kommt auch, dass Taubes, ein „Reisender in Ideen“ (Jerry Muller), unermüdlich Vorschläge unterbreitet, wen man noch zu den Tagungen einladen könnte: Ricoeur, Marcuse, Foucault, Bourdieu, Cioran etwa werden vorgeschlagen. Doch auch unabhängig von „Poetik und Hermeneutik“ schlägt Taubes immer wieder Brücken zu anderen Denkern, beispielshalber zu Hans Jonas oder Eric Voegelin, von Carl Schmitt ganz zu schweigen.

Ein zweiter Schwerpunkt betrifft die Publikationstätigkeit des Suhrkamp Verlags. Wiederum ist es Jacob Taubes, der den zunächst skeptischen Blumenberg für den Schritt gewinnt, seine Werke bei Suhrkamp zu veröffentlicht – in dieser Zeit, da Siegfried Unseld den Verlag in wissenschaftlicher und philosophischer Literatur erst zu profilieren sucht, mitnichten eine Selbstverständlichkeit. 1965 erscheint daher mit Band 138 der edition suhrkamp ein erster Blumenberg-Band im Frankfurter Verlag: „Die kopernikanische Wende“. Außerdem tritt Blumenberg neben Taubes, Habermas und Henrich in den Kreis der Herausgeber der Reihe „Theorie“, aus dem er sich jedoch schon 1970 wieder zurückzieht.

Neben der Taubes’schen Geschäftigkeit ist es nämlich ein sich früh einstellender Ton von Bitterkeit und Unduldsamkeit auf Seiten Blumenbergs, der die Korrespondenz charakterisiert. „Es hat sich als wenig ertragreich erwiesen, daß ich Sie mit den Produkten meiner Feder überschwemmt habe“, schreibt er am 29. Juli 1965 an Taubes, indem er sich über dessen Einwendungen gegen seine eigenen Ausführungen zum Problem der Gnosis oder zum nominalistischen Gottesbegriff des Spätmittelalters, in welchem Blumenberg eine Wurzel der Neuzeit erkannte, verwundert. Genauso wenig verläuft auch seine Zusammenarbeit mit dem Verlag konfliktfrei. Im Unterschied zu den anderen Herausgebern der „Theorie“-Reihe bemerkt er beispielsweise eine „Sonderbehandlung“ seiner Person durch Unseld, die ihn in seiner Entscheidung, aus dem Herausgeberkreis auszuscheiden, zweifellos bestärkt, wenngleich Suhrkamp auch in den späteren Jahren sein Hausverlag bleibt.

Weder die schriftliche Form noch der kollegiale Ton können also die ziemlich grundlegenden Differenzen zwischen den beiden Autoren überdecken, die letztlich Differenzen der beiden Gelehrtentypen repräsentieren. Während Blumenberg sich mit den Jahren immer kompromissloser seinem eigenen Werk widmet und sich dementsprechend aus dem wissenschaftlichen „Betrieb“ soweit als möglich heraushält, ist es andererseits gerade solche Betriebsamkeit, in der Taubes aufzugehen scheint. Sein Institut für Hermeneutik an der Freien Universität macht er zu einem „Zentrum einer oft wilden Interdisziplinarität“ (Henning Ritter). Wie er Korrespondenz und Gespräch gegenüber anderen mit Eifer pflegt, ist auch sein Denken dialogisch und kritisch angelegt. Blumenberg jedoch vermag diesem von Taubes ihm gegenüber betriebenen Wechselspiel von Kritik und Replik keinen produktiven Aspekt abzugewinnen. Seinem generellen Unbehagen dem zeitgenössischen Affekt für die Kritik gegenüber entspricht daher ein sichtlicher Überdruss, was den Kontakt mit Taubes angeht. Wenn Blumenberg so in einem Schreiben an Taubes vom 24. Mai 1977 feststellt, dass sich das „ubiquitäre Schlagwort“ der Kritik auch dadurch auszeichne, dass die Kritisierer „selbst nie in die Lage gekommen sind, für eine eigene konsistente Lebensleistung ins Visier von Kritik zu geraten, sondern immer nur andere ins Visier genommen haben“, richtet er sich auch an Jacob Taubes selbst.

Mehr noch irritiert ihn aber, als ihm Taubes das Projekt einer „Anti-Festschrift“ für Gershom Scholem vorträgt. Taubes hatte sich mit Scholem bereits in den 1950er- Jahren überworfen und beabsichtigte diesen anlässlich seines 80. Geburtstages mit einem Band Kritik zu ehren. Dazu Blumenberg: „Man muß ja nicht jeden ehren, der einem nicht behagt […]. Aber ich betrachte meine Abneigungen nicht als eine öffentliche Angelegenheit.“ (28. Juni 1977) Und ebenso hält er Taubes dessen ostentative Ablehnung von Carl Schmitt vor: „Sie brüsten sich, den persönlichen Kontakt mit einem heute fast Neunzigjährigen zu meiden, weil er vor fast einem halben Jahrhundert wahrhaft abscheuliche Dinge geschrieben hat […]. Aber das intellektuelle Spiel mit diesem Widerstand, […] widert mich an.“ (24. Mai 1977) – Dass Taubes’ eigener Briefwechsel mit Schmitt just in den Monaten nach dieser Zurechtweisung durch Blumenberg seinen Anfang nimmt, wird man kaum als einen Zufall betrachten können.

Gewissermaßen in der Summe seiner Irritation sieht sich Blumenberg nach Taubes’ frühem Tod 1987 nicht in der Lage, namens der Gruppe „Poetik und Hermeneutik“ einen Nachruf zu verfassen. Im Materialienteil des Bandes werden Blumenbergs notierte „Gedanken zu einem Nachruf auf Jacob Taubes“ mitgeteilt. Privatissime „nachhake(l)nd“ vermerkt er überdies angesichts des Taubes durch Henning Ritter in einem Nachruf für die FAZ attestierten „seismographischen Gespürs für die theologischen Unterströme des Zeitgeistes“: „jenes Seismographische ist das eigentlich Auszeichnende, ein Wofür findet sich dann schon.“

Die Lektüre des Briefbandes samt der beigegebenen Quellentexte vermittelt daher den Eindruck einer Korrespondenz zweier Gelehrter, die sich gründlich fremd bleiben. Auf der einen Seite der skeptische, konzentrierte und jegliche Zerstreuungen zurückweisende Blumenberg, auf der anderen der keinen Konflikt scheuende, jede Anregung energisch aufnehmende Taubes, der dem Briefwechsel auch seine persönlichen Krisen nicht vorenthält. Freilich wäre es falsch, anzunehmen, dass sich die beiden nichts zu sagen gehabt hätten. Herbert Kopp-Oberstebrink stellt in seinem Nachwort daher völlig zurecht eine tiefere Nähe zwischen Blumenberg und Taubes heraus: Stehen sich ihre philosophischen Anliegen auch geradezu als wechselseitige Verkehrungen gegenüber, sei es eine „Geste des Heraufholens“, in der man ihr Gemeinsames aufzusuchen habe. Dank Kopp-Oberstebrinks und Martin Tremls ist es nun möglich, sich diese Affinitäten und Differenzen im Briefwechsel unmittelbar vor Augen zu führen. Die Edition vervollständigt im Übrigen in Verbindung mit dem bereits 2007 bei Suhrkamp erschienenen Briefwechsel zwischen Blumenberg und Schmitt sowie der im vergangenen Jahr edierten Korrespondenz von Schmitt und Taubes gewissermaßen eine „trialogische“ Korrespondenz, in der jeweils einer als unbeteiligter Dritter dennoch präsent bleibt. Mit dem Briefwechsel von Hans Blumenberg und Jacob Taubes liegt nun also ein weiterer, durchaus spannender und in einer exzellenten Edition präsentierter Baustein einer Ideengeschichte der bundesdeutschen Gelehrtenrepublik vor.

Titelbild

Jacob Taubes / Hans Blumenberg: Hans Blumenberg / Jacob Taubes Briefwechsel 1961–1981.
Herausgegeben von Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml Mit einem Nachwort von Herbert Kopp-Oberstebrink.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
349 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783518585917

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