Kreuzzüge, Hanse und steife Brise

„Friesisch Blau“ von Lothar Englert vergibt viel Mittelalter-Flair

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Friesisch Blau“ ist der dritte historische Roman von Lothar Englert, der ganz sicher Erzähltalent und ein Gespür für interessante Stoffe hat, das er in diesem Fall allerdings nicht vollständig ausschöpft.

Englert führt uns an der Seite eines jungen Handelsherrn aus Emden in das friesische Mittelalter und den aufblühenden Handel der Hanse, der sich schon im 12. Jahrhundert, unter anderem in London, fest etabliert hat. So wie Wibolt Flaskoper nach und nach in die Geheimnisse der Krämerei von erfahrenen Kaufmännern eingeweiht wird, die den Grundstein für die Hanse bilden, folgen wir ihm durch ein Geflecht von Handelsverbindungen, die auf persönlichen Beziehungen, Risikobereitschaft und einer großen Portion Glück basieren.

Die Heimat Wibolts ist Emden und wird niemals Hansestadt werden, sodass die historische Ausgangslage des Romans vielversprechend ist: Die aufstrebenden Städte Hamburg, Bremen und besonders Lübeck werden kontrastiert mit der friesischen Siedlung Emden, der im Roman durchaus etwas Kleinbürgerliches anhaftet. Die kaufmännische Konkurrenz ist nicht nur unter den Städten vorhanden, sondern auch innerhalb der Stadt selbst und Englert entwirft ein buntes Potpourri an menschlichen Gestalten, von zwielichtig und unsympathisch bis träge oder ehrgeizig. Warum diese eigentlich schon vielversprechende erzählerische Ausgangslage mit einer sehr langen Reise Richtung Livland unterbrochen wird, ist nicht ganz nachvollziehbar und schadet der Spannung. Besonders das Ende wirkt fast lustlos nachgetragen, die interessanten Geschehnisse im persönlichen Beziehungsgeflecht der Emdener werden nicht mehr dargestellt, sondern nachgetragen – die Herren des Magistrats stürmen am Ende in den Schneefall Ostfrieslands und die Leser bleiben im Regen stehen. Der dazugehörige Schirm fällt durch den Epilog reichlich dürftig aus.

Der lange, nicht nur für die fiktiven Teilnehmer streckenweise quälende Kreuzzug Richtung Osten erscheint weder für die Händler lohnend noch für die Leser, die in das Land der Semgallen geführt werden, das aber sehr papieren bleibt. Heerführer Balduin im Honigtopf entlockt oft genug ein Schmunzeln, aber darüber hinaus ergibt sich kein weiterer Spannungsbogen, sodass der unsaubere Wollhandel die einzige Gelegenheit ist, bei der man wirklich um Wibolt bangt, da dieser Glückspilz einem in über mehr als 400 Seiten ans Herz wächst.

Wibolts Glück fußt aber auf manchmal reichlich mager begründeten Tatsachen: Seine zukünftige Ehefrau taucht aus heiterem Himmel zuerst vor seiner Haus- und dann vor seiner Kammertür auf, erweist sich als spendabel und sofort an dem Emdener interessiert, und auch die befreundeten Handelsherren aus Bremen, Lübeck und Hamburg sind dem jungen Konkurrenten grundsätzlich immer wohlgesonnen, ernstzunehmende Gegner in der eigenen Heimatstadt manövrieren sich mit Leichtigkeit selbst gegen die Wand und weder Pest noch sonstige Seuchen können den Figuren ernstlich Schaden zufügen. Gleiches gilt für die filz-behuteten Semgallen.

Diese Glücksfälle bleiben ebenso platt wie die Figuren selbst, obwohl in ihnen viel Potential steckt: Der Bremer Kaufherr Düsterhenn wird im Nebensatz mit jüdischen Wurzeln ausgestattet, aber weiterverfolgt wird dieses Thema nicht; das Hamburger Rauhbein Hopper wird durch eine derbe Sprache und Augenklappe charakterisiert, aber weiter zeichnet auch er sich nicht aus. Der etwas zwielichtige Lübecker Handelsherr Kampen bleibt immer ein wenig im Schatten, was vielleicht auch daran liegen mag, dass keine der Figuren, noch nicht einmal Wibolt selbst, mit einer noch so kleinen Beschreibung beehrt wird, was einerseits dem Leser sehr viel Freiraum lässt, aber andererseits fällt es dadurch schwer, jedem der Händler ein Gesicht zu geben.

Man vermisst auch eine Zeittafel mit den historischen Ereignissen, die die Handlung des Romans in einen Kontext einordnen würde und so einen Überblick über das Geschehen liefern könnte, aber diese Kleinigkeit wird zum Teil durch die präzisen Ort- und Zeitangaben relativiert, die jedes Kapitel neben einem kleinen Absatz aus der Nowgoroder Schra (oder ein paar Zeilen, die von ihr inspiriert wurden) einleiten, was ein guter und sinnvoller Einfall ist. Die Kunstwörter, um moderne Ausdrücke zu vermeiden, sind passend und fantasievoll erdacht, der Anhang sowie die vereinzelten Fußnoten durchaus hilfreich. Weniger gelungen ist die durchgehende Beschreibung Miekes mit dem nichtssagenden Epitheton ‚Schwarze Glutäugige‘, was nicht nur den Figuren in den Mund gelegt wird, sondern auch dem Erzähler geläufig ist.

Auf über 400 Seiten dürfen sicher kleinere Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler passieren; ärgerlich sind sie aber trotzdem.

Insgesamt bleibt ein durchschnittlicher Eindruck: liebenswerte Figuren, die aber ihre papierene Existenz nie ganz ablegen können, ein etwas zu kurz gedachter Spannungsbogen, der thematisch durchaus mehr in sich hätte, schöne und detailverliebte Einfälle, die leider durch die oben genannten Mängel ausgehebelt werden. Ein Buch für ein verregnetes Wochenende aus dem Sofa, aber leider keines, das zu den Lieblingsbüchern avancieren wird, die man immer wieder liest.

Titelbild

Lothar Englert: Friesisch Blau. Historischer Roman.
Leda Verlag, Leer 2013.
480 Seiten, 11,95 EUR.
ISBN-13: 9783864120602

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