Wo einst scharf geschossen wurde
Rüdiger Dingemanns „Entdeckungen an der ehemaligen Grenze“ bebildern Reisen in ein einmaliges Naturgebiet
Von Manfred Orlick
Mitten durch Deutschland zieht sich von der Ostsee bis ins sächsisch-bayerische Vogtland ein rund 1400 Kilometer langes Grünes Band. Seit 25 Jahren ist es gewissermaßen eine Perlenkette der Natur und gleichzeitig ein lebendiges Denkmal deutscher Geschichte.
Der von Rüdiger Dingemann publizierte, reich illustrierte Band „Mitten in Deutschland“ erzählt die Geschichte jenes Bandes, das einst der Todesstreifen zwischen Ost- und Westdeutschland war, das Landschaften und Dörfer zerschnitt und Familien trennte und wo sich nach 1989 die Natur ganz ungestört entfalten konnte. Das „Grüne Band“ bietet heute über 1.200 bedrohten Tier- und Pflanzenarten Zuflucht.
Dingemann ist dem ehemaligen Grenzverlauf von Nord nach Süd gefolgt. Gemeinsam mit seiner Frau Renate Lüdde hatte er sechs Jahre lang recherchiert, um diese Zone kennen zu lernen. In ehemals randständigen, ja fast vergessenen Regionen war er unterwegs, die jetzt mitten in Deutschland liegen und auch 25 Jahren nach der Grenzöffnung noch vielfach unbekannt sind.
Im ersten Kapitel geht es von der „Ostsee bis an die Elbe“. Hier prägen sehr verschiedene Küstenabschnitte und vorrangig landwirtschaftliches Hinterland den ehemaligen Grenzverlauf. So lag der Schaalsee jahrzehntelang fast unberührt im Niemandsland an der innerdeutschen Grenze. Heute erschließen Wander- und Radwege das Biosphärenreservat. Das Kapitel „Vom Wendland bis in den Harz“ verfolgt den Abschnitt von Wittenberge bis an den Nordrand von Deutschlands nördlichstem Mittelgebirge. In dem ehemals getrennten Doppeldorfes Zicherie-Böckwitz bündelte sich die deutsche Teilung wie einem Brennglas und wurde deshalb als „Klein-Berlin“ bezeichnet.
Das dritte Kapitel „Vom Harz bis in die Rhön“ verfolgt das grüne Band vom Nationalpark Harz bis zu den riesigen Abraumhalden des Werrakali-Bergbaus, wobei der Brocken das weithin sichtbare Symbol der deutschen Teilung bildete. Hier war der Horchposten der Sowjets und der Stasi, während sich die US-Streitkräfte mit Point Alpha in der Rhön positioniert hatten. Das Abschlusskapitel „Von der Rhön bis ins Vogtland“ verfolgt schließlich den ehemaligen südlichen Grenzverlauf, der überwiegend entlang des Thüringer Waldes verlief. Am Ende der Grenz-Entdeckungen steht die „Brücke der Deutschen Einheit“ bei Hirschberg, die heute die beiden Bundesländer Thüringen und Bayern verbindet.
Ergänzt werden die Reiseentdeckungen des Autors durch zahlreiche Zeitzeugenberichte wie in den Kapiteln „Pfarrer im Sperrgebiet“ oder die „Idee zum Bau eines Heißluftballons“. Darüber hinaus erzählt der Autor von Zwangsumsiedlungen, von Grenzanlagen und Grenzzwischenfällen und vom Leben in der Grenzzone. Auch spezielle Aspekte des Gebietes wie die Elbfischerei oder die Darstellung der „Grenze in der Literatur“ werden beleuchtet. Wunderbare, meist großformatige Farbfotos zeigen, wie vielfältig die Natur- und Kulturschätze entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze sind. Abgerundet wird diese Reise durch ein „unbekanntes Stück Deutschland“ durch eine kompakte Chronik (1945-1990) der deutschen Teilung. Insgesamt ein informatives und repräsentatives Buch zur Erinnerung und Mahnung.