Wider die Exklusion

In seiner jüngsten Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ ermahnt Ilija Trojanow den Leser einmal mehr, Unruhe zu bewahren

Von Sabrina WagnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabrina Wagner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sind politische Streitschriften, zumal wenn sie von sogenannten engagierten Schriftstellern kommen, nicht längst überflüssig? Ein entschiedenes Nein entgegnet dem Ilija Trojanow, der einmal mehr zu der für ihn inzwischen schon typischen Form des Schriftstellerpamphlets gegriffen hat. Und „überflüssig“ ist darin genau eines der Attribute, die in einer auf reine Effizienz und ökonomischen Ertrag getrimmten Gesellschaft des Spätkapitalismus hinterfragt werden müssen. In seiner jüngsten Streitschrift Der überflüssige Mensch schreibt Trojanow an gegen die Deklassierung und die Exklusion als überflüssig bewerteter Menschen, die in einer sozialdarwinistischen Systemlogik als minderwertig und unnütz gelten.

„Unruhe bewahren“ heißt die Vorlesungsreihe der Universität Graz, in der Trojanows Text entstanden ist, bevor das schmale Bändchen 2013 im Residenz Verlag erschienen ist. Mehr als beunruhigend liest sich Trojanows Kritik an der Klassifizierung des Menschen nach rein ökonomischen Kriterien, die als konstitutiv für die spätmodernen Gesellschaften des Westens identifiziert werden. Die „zwei bestimmenden Realitäten“ der Gegenwart seien „Markt und Müll“, zu „Müll“, so eine der Leitthesen, werde der Mensch, sobald er als (ökonomisch) überflüssig betrachtet werde. Aber wer bestimmt, wer warum überflüssig ist? Trojanow beantwortet diese Frage in zwei sich ergänzenden Dimensionen. In globaler Hinsicht erklärt er Vertreter der reichen Industriestaaten zu den Urhebern der Überflüssigkeitsdefinition. Überbevölkerung ist das diagnostizierte Problem, jener „selbstgefällige Evergreen der oberen Schichten“, wonach sich die „Armen ungebremst reproduzierten“. Wer zuviel sei, wer Geburten reduzieren müsse, das, so Trojanow, definieren die reichen Eliten insbesondere in Europa und Nordamerika und richten ihren Zeigefinger auf Kontinente wie Afrika, Südamerika und Teile Asiens wie beispielsweise den indischen Subkontinent.

Man müsse sich nur die Verteilung des weltweiten Energieverbrauchs sowie der weltweit produzierten Nahrungsmittel anschauen, um die Paradoxie und Absurdität solcher Diagnose zu entlarven: Zwei Drittel des globalen Energieverbrauchs liegen bei den OECD-Staaten. In der für Trojanow typischen Zuspitzung lautet diese Relation: Ein einziger Superreicher verbraucht etwa so viel Energie wie eine ganze afrikanische Kleinstadt. Dass es sich also um ein Verteilungsproblem und nicht etwa um Resourcenknappheit handelt, führt Trojanow für vergangene wie aktuelle Hungersnöte aus, die er in drastischer Form als Genozide bezeichnet, würden die weltweit produzierten Nahrungsmittel doch vollkommen ausreichen, den Tod durch Hunger zu verhindern. Allein die in Europa und Nordamerika weggeworfenen Nahrungsmittel würden zur Ernährung sämtlicher Hungernde auf der Welt genügen. Trojanow führt damit Argumente ins Feld, wie sie in den letzten Jahren (dankenswerterweise) immer lauter artikuliert werden. Inzwischen sind sie nicht mehr nur in Kleinforen belächelter Weltverbesserer zu finden, sondern sind ebenso in Dossiers der großen überregionalen Zeitungen und Zeitschriften wie in Fernsehreportagen in den Mainstream-Massenmedien angekommen. Ein Anfang?

Doch nicht nur in globaler Perspektive problematisiert Trojanow die Rede vom überflüssigen Menschen. Auch in Deutschland findet er ‚Überflüssige‘. Prekariat heißen sie hier, ihres Zeichens Hartz IV-Empfänger, Rentner, Vollzeitjobber und sogenannte Aufstocker, von den selbst ernannten Leistungsträgern, das heißt den „Unentbehrlichen“, abgeschrieben: keine Arbeit, kein Eigentum, kein Konsum. „To become redundant“, heißt es üblicherweise im englischen Sprachgebrauch für den, der seinen Arbeitsplatz verliert: „überflüssig werden“. Und der Mensch schließlich, der als Folge nicht mehr konsumiert beziehungsweise konsumieren kann, wird ein wertloser, ein „Kollateralschaden des Konsumzwangs“. So lautet eine Schlussfolgerung: „Die Schattenseite des Überflusses ist der überflüssige Mensch.“ Und das wiederum bedeutet nicht nur materielle, sondern zugleich politische Ungleichheit. „Geld ist Macht“ zitiert Trojanow den Volksmund und konkretisiert: „Massiver persönlicher Reichtum beschädigt den Gleichheitsanspruch, auf den eine halbwegs demokratische Gesellschaft nicht verzichten darf.“ Eine Vermögenskonzentration auf einige Wenige lasse sich demnach mit den demokratischen Grundgedanken schlicht nicht vereinbaren, und, so Trojanow wertend, „massives Vermögen“ sei „moralisch nicht zu rechtfertigen.“

Es ließen sich zahlreiche Beispiele aufzählen, an denen der Autor seine Position ausführt. Wie schon in seinen früheren Streitschriften versammelt er Anekdoten, Alltagsgeschichten, aber auch weit in der Vergangenheit liegende historische Beispiele, die in ihrer stark verkürzten Darstellung Haltung und Intention unmissverständlich klar machen. Bereits in seiner gerade heute vielfach zitierten, mit Juli Zeh gemeinsam verfassten Schrift Angriff auf die Freiheit (2009) gegen die Praktiken weltweiter staatlicher Überwachung oder auch in der 2007 erschienenen Kampfabsage (2007) (gemeinsam mit Ranjit Hoskoté), einer Art Gegenschrift zur Kulturkampf-Rhetorik der 2000er-Jahre, wird Trojanows Verfahren sichtbar, das ihm nicht selten von der Literaturkritik vorgeworfen wurde: Starke Verkürzung, Einseitigkeit und Polemik sind essentielle Bestandteile der Texte und für den Autor Mittel zum Zweck. Trojanow popularisiert, um möglichst viele Leser zu erreichen, er provoziert, um Aufmerksamkeit zu erhalten, und er polemisiert, um unmissverständlich seine Position zu untermauern – allesamt typische Charakteristika des politischen Manifests und vor diesem Hintergrund schwerlich als Unvermögen des Autors einzustufen.

Trojanows Position ist insbesondere in seinen politischen Texten immer die des Fürsprechers der Benachteiligten. Die Texte des sich selbst so bezeichnenden Anarchisten und Kosmopoliten durchziehen eine energische Kapitalismuskritik ebenso wie der immer wiederkehrende der Vorwurf der „eurozentrischen Verblendung“. In diesem Sinn ist auch der aktuelle Text ein typischer und kann durch seine Befürwortung wenigstens partieller Vergesellschaftung übermächtigen Besitzes kaum verwundern. Allerdings bleibt er darüber hinaus konkrete Vorschläge, wie der diagnostizierten „Verüberflüssigung“ entgegen zu wirken wäre, schuldig. Trojanow gemahnt, in Anbetracht des fortschreitenden Ersetzens menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen und dem daraus resultierenden Ende der Lohnarbeit bräuchte es „eine grundsätzliche Heilung“, eine Utopie vom „Ende von Profit und Kapital“.

Indem der Autor eine solche Utopie aber kaum zu konkretisieren weiß, verbleibt er im Dilemma auch jener Autoren befangen, die sich zwar wie er politisch zu Wort melden, einen tatsächlichen Lösungsvorschlag aber nicht zu liefern instande sind. So klingt es eher unbefriedigend für den nun erfolgreich in Unruhe versetzten Leser, wenn Trojanow am Ende resümierend lediglich konstatiert, das „organisierte, gemeinsame Handeln“ sei alternativlos, da der Einzelne zu schwach sei, etwas grundlegend zu verändern. Das Einzige, was jeder einzelne tun könne und solle, sei, sich genau zu überlegen, was er mit dem eigenen Geld anstelle. Auch solle jeder doch seine freie Zeit statt zum Fernsehen lieber zur Kontemplation nutzen.

So schwach dieser Schluss, so erfreulich und anerkennungswürdig bleibt Trojanows unermüdliches Engagement, die Unruhe in sich selbst wie beim Leser zu bewahren. In diesem Sinne sei ein Büchlein wie dieses nicht für überflüssig, sondern ganz im Gegenteil für unbedingt notwendig befunden.

Titelbild

Ilija Trojanow: Der überflüssige Mensch. Unruhe bewahren.
Residenz Verlag, St. Pölten 2013.
96 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783701716135

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