Was nicht passt, funktioniert gerade deswegen

Über Sandra Da Vinas Erzählband „Sag es in Leuchtbuchstaben“

Von Pia SoldanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pia Soldan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„,Jemand. Irgend Jemand‘, hatte er sich vorgestellt.“ Es sind einfache Sprachspiele, die Sandra Da Vina sich in ihrem ersten Erzählungsband „Sag es in Leuchtbuchstaben“ gekonnt zunutze macht, um große Effekte zu erzielen. Bereits der Name, den sie für Herrn Jemand wählt, funktioniert schon als Geschichte mit intellektueller Tiefe.

Dass ein auktorialer Erzähler überhaupt in einer Badewanne sitzen kann, ist in mehrfacher Hinsicht absurd: Eigentlich ist es ein Widerspruch, dass ein auktorialer Erzähler selbst eine Figur in einer Geschichte wird. Und genau das macht deren Verlauf so interessant. Was passiert, wenn grundlegende Regeln der Narratologie außer Kraft gesetzt werden und der Erzähler von seinem Protagonisten als Figur deklariert wird? Da Vina liefert Antworten, die in ihrer Absurdität Komik und erkenntnistheoretische Einsichten vereinen.

Wahrscheinlich macht ihr Witz die Poetry Slammerin so erfolgreich. Obwohl es als abgedroschene Masche erscheint, das Publikum zum Lachen zu bringen, funktioniert genau dies bei Da Vina anders als beim deutschen Meister Jan Philipp Zymny oder dem ebenfalls sehr erfolgreichen Slammer Thorsten Sträter. Sie wählt alltägliche Dinge und Situationen, um sie aufeinanderprallen zu lassen. Ein Dinosaurier ist an sich keine alltägliche Erscheinung; als Figur in einem Prosatext aber ist er jedem Kind vertraut. Nicht so, wenn er Physik studiert. Oder sich vor nackten Frauen fürchtet.

Nackte Frauen findet der Tod aber nur zum Lachen, besonders wegen der Nagelschere, die im Augapfel der Frau ihm gegenüber steckt. Er hat vor ganz anderen Dingen Angst. Da Vina bewegt sich in ihren Texten ständig zwischen trivialen Bemerkungen und tiefergehenden Sinnebenen. Ist es Slapstick, dass der Tod sich vor Schwänen fürchtet, weil sie ihre Aggression mit Unschuld tarnen? Oder geht es hier vielleicht um sehr viel mehr? Beinahe jeder Satz in diesem komischen Erzählband eröffnet so viele Bedeutungsdimensionen, dass unklar bleibt, ob Lachen (das man sich nicht verkneifen kann) eigentlich angebracht ist. Und genau das macht die literarische Qualität dieser Geschichten über Liebe, Arbeit, Literatur, Sex und all der anderen Themen aus, die hier aufscheinen, sich aber keiner Kategorie zuordnen lassen.

Die Zauberei zum Beispiel: „Wo ist denn all die Magie, wenn man sie mal braucht?“ Vielleicht in den Alpträumen eines kleinen Mädchens oder in den Briefumschlägen, in denen die Großmutter ihre Liebe verstaut. Vielleicht in den Nilpferden, die manchmal über den Schulhof galoppieren oder in den Hochzeitstorten, die sich durchaus auch mit der Säge anschneiden lassen. Oder vielleicht auch in den richtigen Worten zur richtigen Zeit.

Da Vina ist eine Meisterin dieser richtigen Worte, die genau dadurch funktionieren, dass sie auf den ersten Blick die falschen Worte zur falschen Zeit sind. Was nicht zusammen passt, wirkt in „Sag es in Leuchtbuchstaben“ besser als alle Stilelemente, die sich womöglich aufeinander abstimmen ließen. So wie die Figur der spießigen Bürodame, deren „warme Gefühle“ zum Zeitpunkt ihres Eisprungs Kim Jong-un gelten. Der scheinbare Widersinn macht Da Vinas Texte zu Kurzgeschichten, von einer Virtuosin komponiert.

Die Qualität der Texte in „Sag es in Leuchtbuchstaben“ beschränkt sich nicht auf die Komik. Scharfsinnig beobachtet die Autorin und beschreibt, was sie wahrnimmt, mit skurril (un)passenden Worten. Manchmal gelingt ihr dies auch nur, indem sie ein einfaches Indefinitpronomen zum Familiennamen macht. 

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Sandra Da Vina: Sag es in Leuchtbuchstaben. Kurzgeschichten.
Lektora, Paderborn 2014.
172 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783954610167

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