Studien zur mittelalterlichen Literatur im Deutschen Orden

Bernhart Jähnig und Arno Mentzel-Reuters geben Grundlagenforschungen heraus

Von Jelko PetersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jelko Peters

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Studien der letzten zwanzig Jahre zur Literatur im Deutschen Orden resultieren aus der grundsätzlichen Kritik an dem Begriff „Deutschordensdichtung“ bzw. „Deutschordensliteratur“. Bis 1995 ging man noch davon aus, dass die Deutschordensritter ein eigenes, wenn auch nicht einheitliches Literaturprogramm verfolgten und demgemäß Texte verfassten, übersetzten oder sammelten. Allerdings erwies sich die „Deutschordensliteratur“ nach genauer Prüfung als ein Konstrukt der germanistischen Forschung, welches aber kaum mit den historischen Gegebenheiten korrelierte. Da ferner der Terminus „Deutschordensdichtung“ bis in die 1950er-Jahre durchaus auch als politischer Begriff in nationalistischen Kontexten verwendet wurde, nimmt die jüngere Forschung von ihm Abstand und spricht stattdessen in der Regel von der Literatur im Deutschen Orden. Seitdem untersucht die Mediävistik in Deutschland und Polen insbesondere das literarische Leben im Deutschen Orden, indem sie die in der Gemeinschaft verfassten, abgeschriebenen und rezipierten Texte versucht zu ermitteln, der literarischen Interessenbildung nachgeht und in diesem Zusammenhang auch die im Deutschen Orden gelesenen Werke interpretiert.

Die Beiträge in dem von Bernhart Jähnig und Arno Mentzel-Reuters herausgegebenen Band widmen sich hauptsächlich der Überlieferung von Handschriften und dem literarischen Leben im Deutschen Orden. Der Band ist in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil werden „Grundlagen“ für das literarische Leben im Deutschen Orden, aber auch in den Städten des Preußenlandes ausgeführt. Arno Mentzel-Reuters stellt heraus, dass die Lektüre und Leseprogramme der Deutschordensritter „nur im Kontext der europäischen Literatur verständlich“ sind. Er betont und begründet überzeugend die Notwendigkeit der Überwindung einer nationalen Sicht auf das literarische Leben im Deutschen Orden.

Bedeutsam sind ferner die Ausführungen zur Förderung der geistlichen (insbesondere biblischen) Texte, die Chroniken und weltlichen Sachtexte im Preußenland, bei denen der erhebliche persönliche „Einsatz der Ordensleitung“ herausgearbeitet wurde, und die Darlegungen über die ungewöhnliche und breite Rezeption der Figur König Artus im Preußenland, welche erstaunlicherweise buchlos erfolgte. Zwar ließen sich in den Städten Artushöfe nachweisen, aber in den Bibliotheken und Buchverzeichnissen finde man keine Artusromane. Das Wissen über König Artus brachte der europäische Hochadel wohl auf seinen Preußenreisen mit.

Vermisst wird bei den „Grundlagen“ eine theoretische und grundsätzliche Darlegung der Perspektive auf die Literatur im Preußenland in einem europäischen Kontext. Diese erscheint aber umso dringlicher, da der Begriff „Deutschordensliteratur“ – wenn auch in Anführungszeichen – von einigen Wissenschaftlern weiter und teilweise nicht ausreichend reflektiert verwendet wird.

Die beiden folgenden Teile werden mit „Geistliche Dichtung“ und „Historiographie“ überschrieben, ohne dass aber mit dieser Gliederung eine thematische Fragestellung verbunden ist. Tatsächlich beschäftigt sich die Mehrzahl der Aufsätze mit der Überlieferung und den Entstehungszusammenhängen der im Deutschen Orden rezipierten Texte. Die zukünftige Forschung wird auf die gründlichen und detailreichen textgeschichtlichen und historischen Erkenntnisse zum Väterbuch, zur Apokalypse Heinrichs von Hesler, zu den Anfängen der Ordensgeschichtsschreibung, zur Chronik des Preußenlandes Peters von Dusburg und der Kronike von Pruzinlant Nikolaus von Jeroschin nicht verzichten wollen und können. Die übrigen Aufsätze enthalten Interpretationen einzelner, zum Teil randständiger Aspekte zum mitteldeutschen Hiob, zu den Werken Tilos von Kulm, Peters von Dusburg und Nikolaus von Jeroschin; werkübergreifend ist die Untersuchung Mary Fischers der Darstellung der Frauen in der Geschichtsschreibung des Deutschen Ordens.

Weder übergreifende Merkmale, noch Besonderheiten der „Geistlichen Dichtung“ oder „Historiographie“ im Deutschen Orden werden in diesen Abschnitten angesprochen, so dass sich diese Einteilung als rein äußerlich erweist. Eine Gliederung des Bandes in „Grundlagen“, „Überlieferung und Entstehung“ sowie „Interpretationen“ hätte die thematische Ausrichtung der Beiträge besser getroffen.

Das von den Herausgebern angestrebte Ziel einen Band mit Grundlagenforschung zu veröffentlichten, wird grundsätzlich erreicht. Jähnig und Mentzel-Reuters gelang es, ausgewiesene Experten für ihren Band zu gewinnen und entsprechend fundiert und kenntnisreich fallen die Ausführungen aus, die teilweise durch umfangreiche Anhänge und kleine Editionen ergänzt werden. Freilich greifen die Autoren – im Unterschied zum Titel, der „Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden“ verspricht –, ihre teilweise seit Jahrzehnten andauernde Forschungen zu bestimmten Themen des literarischen Lebens im Deutschen Orden und Preußenland auf, fassen sie zusammen und akzentuieren sie. Auffällig ist zudem, dass alle Beiträger programmatische Auseinandersetzungen um die Literatur im Deutschen Orden bzw. zur sogenannten „Deutschordensliteratur“ vermeiden. Trotz fehlender methodologischer Innovation stellen die meisten Aufsätze eine gewichtige Zwischensumme fundierter literaturhistorischer und philologischer Forschungen dar. Der Band erweist sich damit als ein wichtiges und unverzichtbares Fundament für eine zukünftige Gesamtdarstellung der Literatur im Deutschen Orden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Bernhart Jähnig / Arno Mentzel-Reuters (Hg.): Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden.
Hirzel Verlag, Stuttgart 2014.
320 Seiten, 52,00 EUR.
ISBN-13: 9783777622361

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