Der doppelte Brussig

In seinem neuen Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“ bewegt sich Thomas Brussig elegant und gewitzt zwischen (fikiver) Autobiografie und Nummernrevue

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vom Schriftsteller und Bestsellerautor Thomas Brussig hat man lange nichts mehr gehört. Elf Jahre sind seit dem Erscheinen seines letzten Romans, „Wie es leuchtet“, verstrichen. Zwar hat Brussig sich in dieser Zeit nicht auf die faule Haut gelegt, aber mit dem, was viele Leser an ihm und seinen Büchern in den 1990er-Jahren so schätzten, dennoch gegeizt. Wen es im vergangenen Jahrzehnt nach Brussig verlangte, der musste statt in die gut sortierte Buchhandlung ins Kino („NVA“, 2005) oder ins Theater („Hinterm Horizont“ – das Lindenberg-Musical, seit 2011 im Stage Theater am Potsdamer Platz in Berlin) gehen. Zu lesen bekam man höchstens einmal eine kleine Fingerübung – etwa den satirischen Monolog „Schiedsrichter fertig“ (2007) –, aber an die großen Erfolge dieses Autors reichte das bei Weitem nicht heran.

Nun ist er also wieder da, und das gleich doppelt: als Autor und als Hauptfigur. Das neue Buch, „Das gibts in keinem Russenfilm“, hangelt sich nämlich – mal mit kleineren, mal mit größeren Abweichungen – an den biografischen Stationen eines DDR-Erfolgsautors namens Thomas Brussig entlang. Dass es dennoch nicht unter die Genrebezeichnung „Autobiographie“ fällt, sondern sich schlicht „Roman“ nennt, liegt daran, dass es zu 99 Prozent aus Erfindungen besteht. Die betreffen allerdings weniger den Helden als sein Umfeld. Und das heißt auch im Jahre 2014 immer noch „DDR“.

Eingefleischte Ostalgiker werden jubeln. Schafft es Brussigs bis in unsere Gegenwart verlängerter ostdeutscher Staat doch tatsächlich ins Fußball-WM-Finale 2006, wo er gegen die Brüder aus dem Westen allerdings den Kürzeren zieht. Und das kleine Land hat auch abseits des Sports so einiges zu bieten. Zum Beispiel emsige, zu Steuerfahndern umgeschulte Stasispitzel. Oder eine aus umweltfreundlicher Windkraft sich speisende Energieversorgung und Elektroautos, die weltweit Neid erregen. Auch geht es nicht mehr ganz so streng zu östlich der Elbe, es darf in den Westen gereist und sogar dort gearbeitet werden. Erich Honecker hat den Löffel abgegeben, Egon Krenz regiert und Gregor Gysi lauert in den Startlöchern. Die Nachrichten der „Aktuellen Kamera“ werden von Sahra Wagenknecht verlesen und Alexander Osang kümmert sich um den richtigen Ton im „Neuen Deutschland“. Da verschmerzen eingefleischte Merkel-Fans es dann sicher auch, dass aus der großen politischen Karriere der Physikerin aus Mangel an einem wiedervereinigten Deutschland nichts wird. Stattdessen backt sie hervorragende Apfelkuchen.

„Das gibts in keinem Russenfilm“ sagte man einst in der DDR, wenn ganz und gar Unwahrscheinliches passierte. Brussigs Idee, den 1990 verschwundenen Staat literarisch bis in unsere Tage weiterleben zu lassen, bringt Unmengen an Einfällen hervor, die in diese Kategorie fallen. Das „kontrafaktische“ Anerzählen gegen die historische Wahrheit mit Figuren der Zeitgeschichte verlangt für jede einzelne von ihnen eine ganz neue Biografie. Was soll man etwa mit einem Joachim Gauck machen, aus dem nun einmal in der vorliegenden Konstellation kein Bundespräsident mehr werden kann? Was tun mit einem Wolfgang Thierse ohne Bundestag? Wie umgehen mit Günter Grass, Daniel Kehlmann, Hermann Kant, Lothar Bisky, Maxim Biller und, und, und?

Brussig bringt sie alle unter auf den 400 Seiten seines Romans, vergisst auch nicht seinen Schriftstellerkollegen Ingo Schulze, dem er den Literaturnobelpreis im Jahre 2010 zuerkennt. Lässt gutmütigen Spott anklingen, wenn er den Hang Uwe Tellkamps zu mehr als umfangreichen Büchern beschreibt. Zeigt Heiner Müller an seinen Zigarren saugend und Wolf Biermann große Reden schwingend. Und am Ende wird sogar noch Simon Urbans gedacht, der der eigentliche Erfinder der bis in unsere Gegenwart prolongierten DDR ist. „Plan D“ allerdings, Urbans 2011 erschienener Roman über eine deutsche Wende, der nach einer kurzen Zeit der zunehmenden Enttäuschung das Wiederauseinanderfallen der beiden Teile Deutschlands folgt, gefällt Brussigs Helden nicht nur deshalb nicht, weil er selbst in ihm nicht vorkommt, sondern weil er eine historische Wahrheit behauptet, die derjenigen in „Das gibts in keinem Russenfilm“ diametral entgegensteht.

Das alles macht Spaß und liest sich wunderbar, auch wenn es gelegentlich doch sehr nach einer Nummernrevue aussieht. Doch überreizen sollte man es nicht. Also Finger weg von einem eventuellen zweiten Teil des „Russenfilms“. Auf „Helden wie wir“ folgte vor fast zwei Jahrzehnten die schöne kleine Geschichte „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“. Im vorliegenden Buch bekennt sich der fiktive Thomas Brussig übrigens nicht zu diesem erfolgreich verfilmten Roman, sondern schiebt dessen Autorschaft dem Berliner Schriftsteller, Journalisten und Lesebühnenautor Falko Hennig in die Schuhe. Von seinem Erfinder würde man sich eine ähnlich präzise und näher an unserer Gegenwart angesiedelte Geschichte dennoch wünschen. Und wenn sie halt einmal nicht in der DDR spielen würde: Auch kein Problem!

Titelbild

Thomas Brussig: Das gibts in keinem Russenfilm. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.
383 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100022981

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