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Ein Nachruf auf den Kölner Germanisten und Literaturkritiker Walter Hinck

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Ein Literaturprofessor, der nicht trocken am Pult stehen blieb, sondern buchstäblich auf seine Zuhörer zuging und sich ohne falsche Scheu unter die Dichter begab: Wo Walter Hinck sprach und schrieb, kam Leben in die deutsche Literatur, vor allem in die der Gegenwart, an der er sich, mit mehreren Erzählungen, noch in seinen hohen Achtzigern beteiligte. Am 21. August 2015 ist der Kölner Germanist und Literaturkritiker Walter Hinck im Alter von 93 Jahren gestorben.

In seiner 1998 unter dem treffsicheren Titel „Im Wechsel der Zeiten“ erschienenen Autobiographie zeigt sich der Literaturwissenschaftler als gewandter Erzähler. Geboren in der Nähe von Bremen, kam Walter Hinck früh nach Berlin und legte 1940 an der Albrecht-Dürer-Schule, die auch der vier Jahre jüngere Günter de Bruyn besuchte, sein Abitur ab. „Falscher Kompaß“ und „Kleine Papageien in Uniform“ heißen die Kapitel über seine Zeit als Soldat und Offizier im nationalsozialistischen Deutschland. Sie schildern eindringlich, wie heftig sein Jahrgang „umworben, angeworben und missbraucht vom Gewaltsystem“ war. Gegen Ende des Krieges geriet er in jugoslawische Kriegsgefangenschaft. Er verweigerte eine Mitarbeit bei Titos Geheimdienst. Zur Strafe wurde er als „Kriegsverbrecher“ abgestempelt, zu einem „Geständnis“ erpresst, durch einen Schauprozess gedemütigt und danach zu Straßenbauarbeiten im Internierungslager gezwungen.

Nach der Heimkehr 1950 nahm Walter Hinck in Göttingen das Studium auf und schloss es 1956, noch bevor die große Brecht-Renaissance begann, mit einer Doktorarbeit über die „Dramaturgie des späten Brecht“ ab. Brecht und Heine, der profanen Linie der deutschen Dichtung, gehörte seine Liebe, zum Drama und zur Lyrik verdanken wir ihm Standardwerke. Seine akademischen Stationen waren zunächst Kiel, dann die längste Zeit (1964-1987) Köln. Jürgen Flimm zählt zu seinen Schülern, auch Ulla Hahn. Legendär sind die Literaturbegegnungen in seinem Rösrather Haus. Überall standen Bücher und mitten im Wohnzimmer ein großer Kamin. Hinter ihm suchte Heinrich Böll Schutz, um gegen das ärztliche Verbot rauchen zu können.

Walter Hinck gebührt das Verdienst, erstmalig die Literaturkritik an die Universität geholt zu haben. 1973 lud er – unterstützt von seinem Kölner Kollegen Werner Keller – Marcel Reich-Ranicki zu literaturkritischen Übungen an die Alma Mater ein. Der Andrang der Studenten war enorm. Für Reich-Ranickis Frankfurter Anthologie, deren Preis er 2003 erhielt, hat Walter Hinck einige seiner schönsten Interpretationen geschrieben, für die FAZ etwa neunhundert Rezensionen, vor allem über Romane und über Lyrik der Gegenwart.

Nie hat Hinck mit dem Rücken zum Publikum geschrieben; er warb dafür, die Literatur zur Vertiefung der „Wahrnehmung des Lebens“ zu verstehen. Seine Überzeugung war dabei immer, im Sinne Goethes und Heines: „Der Kritiker muß – lesend – dem Schriftsteller auf die Spur kommen“.

Hinweis der Redaktion: Bisher in literaturkritik.de erschienene Artikel über Walter Hinck sind hier aufgelistet.