Die Macht des Betrugs
Unter dem Titel „Fake“ demonstriert Peter Köhler eine Auswahl von gewitzten wie peinlichen Fälschungen, die die Welt (nicht) bewegt haben
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUm das Jahr 2000 herum machte der Physiker Jan Hendrik Schön exakt jene bahnbrechenden Entdeckungen, auf die die Forschung seit langem gehofft hatte. Der von ihm entdeckte Supraleiter würde Strom schon bei minus 156 Grad ohne Widerstand leiten. Dem Höhenflug folgte jedoch unvermittelt der Absturz: Schön hatte seine Beweise unrühmlich geschönt mit Tabellen, die sich allzu sehr glichen und jeder realen Entsprechung entbehrten. Er habe in der Hektik des Wissenschaftsbetriebs schlicht keine Zeit gehabt, alles haarklein empirisch zu belegen, rechtfertigte er sich im Nachhinein. Alles Betrug also? Oder behalten Schöns theoretische Überlegungen nicht doch ihren Wert, auch wenn die unumstößlichen Beweise dazu (noch) fehlen?
Das Dilemma zwischen Fakt und Fiktion, Wahr und Falsch prägt Geschichte, Wissenschaft und Kunst seit jeher. Die Grenze zwischen Geschichte und Geschichten ist fließend. Der nur notdürftig belegte Freiheitsheld Wilhelm Tell ist die Übertragung eines nordischen Mythos in den Alpenraum, und die „Protokolle der Weisen von Zion“ finden trotz ihrer haarsträubenden Verlogenheit bis heute Resonanz. Immer wieder haben gefälschte Dokumente die historische Entwicklung angestoßen und beschleunigt. So basiert die Kirchengeschichte im Wesentlichen auf Urkunden, etwa der „Konstantinischen Schenkung“, die sie selbst erfunden hat. Peinliche Ungereimtheiten blieben lange unerkannt, und als der Betrug offenkundig wurde, rechtfertigte die Kirche ihren Anspruch mit Argumenten, die wiederum auf Fälschungen beruhten. Sie gelten angeblich noch immer.
Fälschung und Manipulation sind ein patentes Doppelgespann im politischen Alltag – in neuerer Zeit nicht zuletzt im Namen des eigenen Renommees wie im Fall zu Guttenberg. Doch auch Wissenschaft und Kunst bedienen sich des Öfteren falscher Dokumente und Belege. Die Literatur darf sich von Natur aus als Expertin fürs Fälschen betrachten – ästhetisch begründet. Das „was wäre wenn“ der guten Erzählkunst spielt nur zu gerne mit dem Zwielicht von wahr und falsch. Dazu kann auch die neutestamentarische Erzählung gezählt werden, die bei vergleichender Betrachtung erstaunliche Parallelen zwischen Cäsar und Jesus offenbart. Waren die beiden nicht einst ein- und dieselbe Person?
Unter dem Titel „Fake“ hat Peter Köhler ein Panorama der Fälschungen, Manipulationen und Lügengebäude von der römischen Antike bis in die Gegenwart zusammengestellt. Thematisch locker und nicht immer ganz nachvollziehbar geordnet weiß er einen Strauß von Geschichten zu erzählen, die manchmal infam, manchmal hanebüchen, manchmal schlicht komisch anmuten. Dabei geht es ihm weniger darum, die Fälschung und ihre Umstände theoretisch zu reflektieren, er demonstriert vielmehr ihr breites Repertoire von Cagliostro bis Glykol, von vermeintlichen Fossilien bis Helene Hegemann. Der Autor konzentriert sich dabei aufs Nacherzählen. Seine Quellen sind nur summarisch im Literaturverzeichnis aufgeführt, zusätzlich hilft ein Register beim Auffinden von Personen. Aus der Stofffülle ergibt sich, fast zwangsläufig, das Fehlen der einen oder anderen Sache, beispielsweise der Undercoveraktionen von Günther Wallraff oder der Fotoarbeiten von Matthias Wähner. Ebenso wenig Erwähnung findet das seltsame Wirken von urban legends, in denen sich Fakten und Gerücht zuweilen unauflöslich verwirren.
Wie auch immer, mit seinem locker aufzählenden Modus ergänzt „Fake“ frühere Sammlungen und grundlegende Studien zum Thema. Die Auswahl liest sich leicht und mit Vergnügen. Die menschliche Infamie erscheint darin unerschöpflich. Kein Betrug, der nicht versucht worden wäre, sei er noch so dilettantisch inszeniert. Insbesondere die Wissenschaft bewegt sich auf einem schmalen Grad zwischen Idee und Beweis, naiver Behauptung und bewusster Fälschung. Im hektischen „publish or perish“ ist der saubere Nachweis von wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht immer leicht. Der Fall von Jan Hendrik Schön ist ein Beispiel dafür. So erstaunt es nicht, dass Harvard, laut Köhler, nicht nur eine der renommiertesten Universitäten ist, sondern im Herbst 2014 auch „die Rangliste der Fälschungen“ angeführt hat.