Ein Sexist im Rampenlicht

David Grossman provoziert in seinem neuen Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“ mit Zynismus und Vulgärsprache.

Von Regina RoßbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Regina Roßbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

David Grossmans neuer Roman beginnt mit lautem Geschrei, das auf eine noch leere Bühne schallt. Wie das fiktive Publikum wird der Leser in gespannte Erwartungshaltung versetzt; er fühlt sich mitten im Geschehen, als plötzlich „ein mickriges, bebrilltes Männlein“ auf die Bühne fliegt. Es ist der Komödiant Dovele Grinstein; an diesem Abend tritt er in Netanja auf, einer Stadt an der israelischen Mittelmeerküste. Doch was nun folgt, ist keine angenehme Abendunterhaltung. Vulgär fluchend beginnt der Mann sein Publikum zu beleidigen, macht sich über die vollen Lippen einer Zuschauerin lustig, unterstellt ihr eine Brustverkleinerung: „Also, ich persönlich, ich hätte dem die Hände abgehackt, diesem Chirurgen. Das können Sie mir glauben.“

Ist das eines David Grossman würdig, möchte man sich auf den ersten Seiten fragen. Überall flach-sexistische Witze, primitivstes Sprachniveau: „Eine progressive Fleischsteuer, das ist meine Forderung! Veranlagt wird nach Zahl der Schwimmringe, nach Wampe, Arsch, Schenkel, Cellulitis, Brüsten bei Männern und dem Schwabbelzeug, das Frauen von den Oberarmen hängt!“ Zwar hatte Grossmann schon in früheren Texten mit Sprachregistern experimentiert, meist allerdings poetisches Gespür bewiesen; sein großer Roman Eine Frau flieht vor einer Nachricht hat lyrische Qualitäten. Erschüttert hatte im Jahr 2006 die Nachricht, dass den für seine Werke und seine politischen Bemühungen um Frieden in Israel vielfach ausgezeichneten Schriftsteller noch während des Schreibprozesses das Schicksal seiner eigenen Romanfigur auch selbst getroffen hat. Wie Ora, die von dem Tod ihres Kindes nicht erfahren möchte, hat Grossman einen seiner Söhne durch einen Militäreinsatz verloren. Sein letztes Buch, Aus der Zeit fallen, ist ein empfindsames Buch über seine unendliche Trauer.

Und nun ein geschmackloser und gewollt provokativer Roman? Wie die beschriebenen Zuschauer möchte man mit hilflosem Kichern reagieren, um trotz der anstößigen Possen des zunehmend unangenehmer wirkenden Darstellers Normalität zu bewahren, den Abend oder die Lektüre durch ein Lachen zu erleichtern. Doch das Programm wird noch schwerer verdaulich, als Dovele persönliche Bekenntnisse in seine Performance mischt. Der Tag ist sein Geburtstag, was er mit einem Vorwurf an seine Mutter quittiert: „Diese Frau hat mir immer erzählt, sie wolle nur mein Bestes, und auf die Welt gebracht hat sie mich dann doch.“ Auf quälende, aggressive Weise spricht der Mann über sich selbst, über seine Eltern, seine Exfrauen, seine Kinder. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass hier eine kranke Seele im Rampenlicht steht. Und so stellt sich neben voyeuristischer Neugier beim Leser langsam auch ein Interesse an der Geschichte dieses Menschen ein, der gleichermaßen abstößt und fasziniert. Hinter platter Provokation kommen die tieferen Schichten eines gebrochenen Charakters zum Vorschein.

Tatsächlich wird entgegen des ersten Eindrucks immer deutlicher, dass auch Kommt ein Pferd in die Bar ein großer Roman geworden ist. Die zeitdeckende Erzählung des Theaterabends in Kombination mit der rätselhaften Erscheinung Doveles evoziert beim Leser eine enorme Spannung und starke Gefühle. Sie werden in der Fiktion durch die Identifikationsfigur eines pensionierten Richters gespiegelt, der ebenfalls im Publikum sitzt: „Ich bestelle einen Wodka und ein Bier. Wie hat er gesagt? Um das durchzustehen, braucht man eine Betäubung. Eine Betäubung? Ich brauche eine Vollnarkose!“ Er ist von Dovele persönlich eingeladen worden, wie sich später herausstellt. Früher müssen sie sich einmal gekannt haben, der Richter erinnert sich aber kaum noch daran. Hingegen für Dovele unerwartet sitzt noch eine weitere Person im Publikum, die ihn als Kind gekannt hat; wie er ist sie ausgesprochen klein. Als sie zur Zielscheibe einiger seiner Witze wird, schreit sie entsetzt: „Warum bist du so? Du warst doch ein guter Junge.“ Wie diese beiden spürt das Publikum und auch der Leser, „dass sie auf merkwürdige Weise mit diesem Mann schon viel verstrickter sind, als sie es eigentlich wollen.“

Dovele hat den Abend als letzten Auftritt seiner Karriere gewählt und damit als Anlass für eine Lebensbeichte. Er gibt immer mehr Einblicke in seine Familiengeschichte, die – charakteristisch für Grossman – zugleich mit der Geschichte Israels verbunden ist. Seine Mutter ist Holocaust-Überlebende, sein Vater, so behauptet Dovele zynisch, habe ihn als „Vergeltungsaktion“ gezeugt: Neun Monate vor seiner Geburt habe der ägyptische Präsident Abdel Nasser die Verstaatlichung des Suezkanals – Anlass des späteren Sinai-Feldzugs – angekündigt. So verstrickt uns der Text mit dem Schicksal Doveles, indem er Fragen aufkommen lässt: Wie entwickeln sich Kinder von traumatisierten Eltern, aufgewachsen in einem von andauerndem Kriegszustand geprägten Land? Wieviel Verantwortung trägt die Gemeinschaft für den Verlauf des einzelnen Lebens? Welchen Einfluss hat das Individuum auf seine Schicksalsschläge und seine Weltsicht?

Nicht zuletzt handelt der Roman von der Kraft des Erzählens selbst. Der Witz, als Hauptthema schon im Titel angegeben, macht die Auseinandersetzung mit schmerzhaften, vielleicht grenzüberschreitenden Bereichen des Lebens möglich, verschafft dabei zugleich auch ein Stück Erleichterung. Ebenso steht es mit Grossmans Roman im Ganzen, der die Nerven des Lesers mal strapaziert und herausfordert, um an anderer Stelle Empathie und Verständnis zu fordern. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

David Grossman: Kommt ein Pferd in die Bar. Roman.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer.
Hanser Berlin, Berlin 2016.
252 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783446250505

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