Denkräume der Frühaufklärung

Detlef Döring – Aufsätze zur deutschen Wissenschaftsgeschichte

Von Jan Alexander van NahlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Alexander van Nahl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Studien zur Wissenschafts- und Bildungsgeschichte in Deutschland um 1700 – der Titel der vorliegenden Aufsatzsammlung deutet ein weites Spektrum der versammelten Beiträge an. Tatsächlich erfassen diese dennoch nur einen kleinen Ausschnitt der jahrzehntelangen Forschungstätigkeit Detlef Dörings, eine Tätigkeit, aus der Monographien, Sammelbände und Editionen zur deutschen Geistes- und Gelehrtengeschichte hervorgegangen sind. Grob gegliedert in „Gelehrte Sozietäten“, „Universitäten“ und „Höfe und Schulen“, lassen sich die zwölf hier versammelten Aufsätze daher zunächst nur bedingt unter einen griffigen Nenner bringen.

Hilfreich ist Dörings Einleitung, kurz vor seinem Tod im April 2015 noch selbst verfasst: Rückblickend sieht er seine Beschäftigung mit wissenschaftshistoriographischen Fragestellungen vor allem darin motiviert, dass viele etablierte Forschungsansätze auf abstrakter Metaebene verharren würden, etwa bei Unterscheidung in ‚Wissensprekariat‘ und ‚Wissensbourgeoisie‘, in fortschrittlich denkende Akademien und vermeintlich orthodoxe Universitäten. Konkrete Räume wissenschaftlichen Wirkens seien gegenüber dieser Vogelperspektive merkwürdig unbeachtet geblieben. Diesen Räumen, Denkräume im eigentlichen Sinne, widmen sich nun die versammelten Aufsätze, vornehmlich seit der Jahrtausendwende entstanden. Der Fluchtpunkt der Beiträge liegt, wie angedeutet, in der Widerlegung oder doch zumindest Auflockerung eines allzu starren Bildes von der Rolle unterschiedlicher wissenschaftlicher Institutionen in der Frühen Neuzeit: Gegen die verbreitete Ansicht, die deutsche Universität sei erst um 1800, vor allem unter Einfluss Wilhelms von Humboldt, aus ihrem Verharren in schulischen Konventionen herausgetreten, entwickelt Döring die These, dass bereits über ein Jahrhundert früher gerade Universitäten zur Entwicklung der Wissenschaft in Deutschland beigetragen hätten.

Der Blick ruht dabei einerseits auf übergeordneten Entwicklungslinien, andererseits, wie eingefordert, auf konkreten Orten und Personen. Mit großer Gelehrsamkeit versteht es Döring, zahlreiche Detailbeobachtungen zu verknüpfen; akribisch arbeitet er einzelne Quellen auf, teils mit eigener Edition der Texte, setzt sich aber auch zu aktueller Forschungsliteratur in kritische Beziehung. Der oft umfängliche Fußnotenapparat steuert gerade in letzterer Hinsicht allerlei Hintergründe bei und ist somit eine wahre Fundgrube. Überhaupt eröffnet die Zusammenführung von leitenden Fragestellungen – etwa nach der Rolle der Philologie für die Herausbildung der historischen Forschung, um nur ein wichtiges Beispiel zu nennen – mit fokussierten Betrachtungen einzelner Persönlichkeiten einen derart umfassenden Fundus an Informationen und auch Spekulationen, dass man sich in der Lektüre vielfach zu weiterführenden Überlegungen angestoßen fühlen muss: Manches Mal ist es eine Nebenbemerkung, manchmal die Behandlung eines vormals unbeachteten oder unbekannten Briefes, die eine ganz eigene Betrachtung motivieren würden. Trotz über dreißigjähriger Forschung gewinnt man daher abschließend den Eindruck, dass Döring gleichsam aus dem Zenit seiner Schaffenstätigkeit herausgerissen wurde. Die versammelten Aufsätze sollten zum Stimulus einer Revaluation bildungsgeschichtlicher Dogmen werden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Detlef Döring: Studien zur Wissenschafts- und Bildungsgeschichte in Deutschland um 1700. Gelehrte Sozietäten – Universitäten – Höfe und Schulen.
Herausgegeben von Joachim Bahlcke und Mona Garloff.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2015.
284 Seiten, 64,00 EUR.
ISBN-13: 9783447104258

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